Ein neuer, überraschender Magnetowiderstand

Vor über 150 Jahren entdeckte William Thomson, der spätere Lord Kelvin, den magnetoresistiven Effekt, mit dessen Hilfe heute Sensoren die Autoraddrehzahl messen oder die Kompassnavigation und Robotersteuerungen ermöglichen. Jetzt haben ETH-Materialwissenschaftler eine neue Art Magnetowiderstand gefunden, der weitere Erkenntnisse in der Grundlagenforschung verspricht und sich dereinst vielleicht auch praktisch anwenden lässt.

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Eine Probe zwischen den Polen eines Elektromagneten. (Bild: Avci, Mendil und Gambardella / ETH Zürich)

Was Pietro Gambardella, Professor für Magnetismus und Grenzflächenphysik an der ETH Zürich, mit seinem Team entdeckt hat, erschien zwar erst dieser Tage im britischen Wissenschaftsmagazin «Nature Physics», doch die Vorabveröffentlichung der Arbeit vor wenigen Monaten auf einem Wissenschaftsportal sorgte in der Fachwelt bereits für Aufsehen und motivierte andere Forschergruppen zu ähnlichen Experimenten. Normalerweise bleibt der Magnetowiderstand eines leitenden Materials gleich, wenn sich die Richtung des elektrischen Stroms ändert. «Der von uns neu entdeckte magnetoresistive Effekt ändert sich jedoch, wenn man den Elektronenfluss umkehrt», erklärt Gambardella, «das ist sehr ungewöhnlich für Metalle.» Denn aufgrund physikalischer Prinzipien sollten solche mikroskopischen Prozesse unabhängig davon sein, ob sich die Elektronen in einem Leiter von links nach rechts oder von rechts nach links bewegen.

Die neue Entdeckung ist umso überraschender, weil der erste magnetoresistive Effekt bereits vor über 150 Jahren gefunden wurde und Widerstandsmessungen gemäss dem Fachmann «etwas vom simpelsten sind, das man machen kann». So stehen im Labor am ETH-Standort Hönggerberg neben modernen Supraleiter- und Laser-Instrumenten auch altgediente Elektromagnete. Eines davon rettete Pietro Gambardella an seinem früheren Arbeitsplatz, der EPFL, als es draussen für die Entsorgung bereitstand. Die Wissenschaftler spannen die im Labor hergestellten Proben in die Magnete ein und messen deren elektrischer Widerstand bei unterschiedlicher Magnetisierung.

Sensoren und Leseköpfe für Festplatten

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Verdrahtung einer Probe für Magnetowiderstands-Messungen. (Bild: Avci, Mendil und Gambardella / ETH Zürich)

Der elektrische Widerstand ist eine grundlegende Eigenschaft leitender Materialien. Er gibt an, wie gut man einen elektrischen Strom durch einen Draht schicken kann, und hängt von der Magnetisierung des Materials ab. 1856 entdeckte William Thomson, der später den Adelstitel Lord Kelvin erhielt, dass sich der elektrische Widerstand einer Eisenplatte ändert, je nachdem in welche Richtung deren Magnetisierung verläuft. Dieser so genannte anisotrope magnetoresistive Effekt, kurz AMR, wird heute in einer Vielzahl von Sensoren genutzt. In Autos wird so die Radgeschwindigkeit, aber auch die Pedal- und Sitzposition gemessen und die Servolenkung gesteuert. AMR-Sensoren stecken in Kameras und werden in der Maschinenindustrie und der Medizinaltechnik eingesetzt. Sogar auf dem Mars gibt es inzwischen über 100 AMR-Sensoren an Bord der Roboter zur Steuerung der beweglichen Teile.

Die AMR-Sensoren basieren auf dünnen magnetischen Schichten, in denen der Widerstand um einige wenige Prozent verschieden ist, wenn der Strom senkrecht oder parallel relativ zur Magnetisierung eingespeist wird. Einen viel grösseren Widerstandsunterschied von 50 Prozent entdeckten der französische Physiker Albert Fert und sein deutscher Kollege Peter Grünberg in Dünnfilm-Strukturen, bei denen sich Lagen aus magnetischen und nicht-magnetischen Materialien abwechseln. Für diesen «Giant Magnetoresistante Effect», kurz GMR, erhielten die Forscher 2007 den Nobelpreis für Physik. Der GMR-Effekt wird heute unter anderem in Magnetfeldsensoren und zum Lesen von Daten auf Computer-Festplatten genutzt.

Ferromagnet auf Schwermetall

Eine GMR-Struktur besteht typischerweise aus zwei Filmen aus ferromagnetischem Material wie Eisen- oder Kobalt, die durch einen nicht magnetischen Film aus Kupfer getrennt sind. Ist die Magnetisierung der Eisen- oder Kobaltfilme parallel ausgerichtet, so ist der elektrische Widerstand der Struktur klein, bei antiparalleler Ausrichtung ist er gross. «Wir beschränken uns auf zwei anstatt drei Schichten», erklärt Pietro Gambardella. Die Struktur der ETH-Forscher besteht aus einem dünnen Film eines Schwermetalls wie Platin oder Tantal und einer darüber liegenden zweiten dünnen Schicht Eisen oder Kobalt. «Die äusserst klevere Idee für diese Versuche stammte von einem unserer Studenten, Can Onur Avci», erklärt der ETH-Professor.

In ihren zweilagigen Proben massen die Forscher, wie erwartet, den normalen AMR-Effekt, bei dem sich der Widerstand je nach Magnetisierung des Ferromagneten ändert. Doch überraschenderweise fanden sie zudem den neuen magnetoresistiven Effekt, bei dem der Widerstand abhängig von der Richtung des Elektronenflusses ist. Erklären lässt sich das seltsame Verhalten der Proben aufgrund des magnetischen Moments der Elektronen, des sogenannten Spins. Im Schwermetall werden Elektronen mit entgegengesetztem Spin in unterschiedliche Richtungen abgelenkt. Deshalb sammeln sich die Elektronen mit der gleichen Magnetisierungsrichtung jeweils an einer Grenzfläche des Platins oder Tantals an. Platziert man nun eine Schicht Eisen oder Kobalt auf das Schwermetall, so hängt der totale elektrische Widerstand davon ab, wie die akkumulierten Spins und die Magnetisierung des ferromagnetischen Materials zueinander ausgerichtet sind.

Kleiner Effekt – grosse Hoffnung

Die entgegensetzte Ablenkung der Elektronen mit entgegengesetztem Spin nennt man Spin-Hall-Effekt. Deshalb tauften die ETH-Forscher den neu entdeckten, richtungsabhängigen Magnetowiderstand auf den Namen «Unidirectional Spin Hall Magnetoresistance». Das Phänomen gleiche zwar dem «Giant Magnetoresistive Effect», erklärt Pietro Gambardella, doch beim neu entdeckten Effekt handle es sich nicht bloss um eine Materialeigenschaft, sondern er sei direkt proportional zur Strommenge, die ins Material geleitet werde. Allerdings warnt ETH-Forscher vor übertriebenen Erwartungen: «Unser Effekt ist zwar sehr interessant für die Grundlagenforschung, aber er lässt sich noch nicht praktisch anwenden.» Dafür seien die Widerstandsunterschiede mit Prozentbruchteilen viel zu klein.

Doch vielleicht lassen sich dereinst massgeschneiderte Materialien herstellen, bei denen der neue Magnetowiderstand genutzt werden könnte. Die Forscher denken dabei an Halbleiter oder sogenannte topologische Isolatoren, bei denen sich die Elektronen auf der an der Grenzfläche zwischen zwei Materialkomponenten bewegen. Spintronik nennt sich das Forschungsgebiet, das mit der Entdeckung des GMR-Effekts lanciert wurde und auch für den neuen Magnetowiderstand Anwendungsmöglichkeiten bieten könnte. Dabei dienen nicht nur die Ladungen, sondern auch die Spins zur Informationsspeicherung und -verabeitung.

Literaturhinweis

Avci CO, Garello K, Ghosh A, Gabureac M, Alvarado S F, Gambardella P: Unidirectional spin Hall magnetoresistance in ferromagnet/normal metal bilayers, Nature Physics, 8. Juni 2015, doi: externe Seite10.1038/nphys3356

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