Spukhafte Phänomene nutzbar machen

ETH-Präsident Ralph Eichlers letzter «Lokaltermin» war seine Herzensangelegenheit: Den Vertreterinnen und Vertretern aus der Wirtschaft, der Politik und der Wissenschaft brachten er und fünf weitere ETH-Experten die aussergewöhnliche Welt der Quantenphysik näher und zeigten auf, wie sie künftig auch wirtschaftlich genutzt werden könnte.

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ETH-Präsident Ralph Eichler führte durch seinen letzten Lokaltermin. (alle Bilder: Oliver Bartenschlager / ETH Zürich)

Vor sechseinhalb Jahren lancierte ETH-Präsident Ralph Eichler die Veranstaltungsreihe «Lokaltermin», um interessierten Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft strategisch wichtige Forschungsthemen der ETH nahezubringen.

Am vergangenen Montag nutzte er die Möglichkeit, ein Thema vorzustellen, das ihn seit der Lancierung des Lokaltermins unter den Nägeln brannte: «Quantum Engineering – von der quantenphysikalischen Theorie zur technischen Nutzung» .

«Quantenphysik hat ein grosses volkswirtschaftliches Potenzial; als Thema bleibt sie aber für viele schwierig», sagte Eichler zu Beginn. Vom Potenzial der Quantenphysik und dessen unbekannter Zukunft hätten im Jahr 1927 bereits auch Niels Bohr und Wolfgang Pauli gesprochen. Heute verstehe man die Quantenphysik besser und könne quantenphysikalische Effekte besser kontrollieren; «es ist aber klar, dass die Weiterentwicklung für die Nutzbarmachung in Geräten hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung erfordert, die vor allem der öffentliche Sektor übernehmen muss», sagte Eichler.

Alte Physik in modernen Geräten

«Heutige Systeme basieren auf alter Physik», ergänzte Klaus Ensslin, Professor für Experimentalphysik der ETH Zürich, der die Lokaltermin-Gäste in die abstrakte Quantenwelt einführte. «Dort sind viele Dinge anders.» Ein Quantenbit nehme nicht wie ein herkömmliches Bit, auf denen heutige Computer aufbauen, entweder den Zustand eins oder null an. Es könne beides gleichzeitig sein. «Für Bundespräsident Didier Burkhalter wäre dies ein Vorteil, er könnte dann gleichzeitig in Bern politisieren und in der Ukraine Frieden schaffen».

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"Für einen Bundesrat wäre es praktisch, wenn er gleichzeitig an zwei Orten sein könnte": Der Experimentalphysiker Klaus Ensslin führte die Zuhörer in die Quantenphysik ein.

Diese Parallelität sei der grosse Vorteil eines Quantensystems. «Dadurch könnte ein Quantencomputer gewisse Probleme viel schneller lösen als ein herkömmlicher, etwa die Primfaktor-Zerlegung einer grossen Zahl, was heute für die Verschlüsselungstechnik genutzt werden könnte. Andererseits kann die Quantenmechanik für eine sicherere Art von Datenverschlüsselung eingesetzt werden, der sogenannten Quanten-Kryptographie. Entsprechende Geräte würden bereits verkauft, sagte der ETH-Physiker. «Vielleicht sind sie in wenigen Jahren in grossen Unternehmen Standard für den Datentausch.»

Quantenphänomene nutzen – aber wie?

Noch ist vieles, was in den Quantenwissenschaften herausgefunden wird, Grundlagenwissen. Oder wie es Lothar Thiele, Professor für Technische Informatik am Departement Informations- und Elektrotechnik, formulierte: Die Physiker wollen die Quantensysteme verstehen, die Ingenieure wollen wissen, wie sie es nutzbar machen könnten. Man sei bei den physikalischen Grundlagen mittlerweile gut unterwegs, habe aber noch nicht ganz verstanden, wie die «spukhaften Phänomene» der Quantenwelt nutzbar gemacht werden könnten. Dazu brauche es vor allem eine engere Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen, wie Elektrotechnik, Physik, Mathematik aber auch der Biologie, da dort natürliche Quantensysteme wie die Photosynthese vorkommen.

ETH-Alumnus Felix Mayer, Co-CEO von Sensirion, machte klar, dass die Nutzung quantenmechanischer Phänomene noch nicht bevorsteht. «Für Sensirion gibt es auch morgen kein Produkt, das auf Quantenphysik beruht.» Seine Firma setze weiterhin auf klassische Physik und reize dabei allenfalls die Grenze zu Quantensystemen aus. Die Firma sei seit 15 Jahren am Markt. «In der Zeit kam keine quantenmechanische Anwendung auf, und noch ist keine in Sicht. Oft dauern die Dinge länger als geplant», sagte er.

ETH-Professor Andreas Wallraff, Leiter des Quantum Device Lab, sieht eine Anwendung am ehesten bei der Quanten-Informationsverarbeitung. Grosse Firmen wie IBM würden in diesen Bereich viel investieren. Als mögliche Anwendung könnte er sich einen mittelgrossen Computer vorstellen, mit dem beispielsweise Quantensimulationen von kleineren Molekülen durchgeführt werden können.

Dieser Quantencomputer wäre die Weiterentwicklung heutiger kleiner Quantencomputersysteme, die mit wenigen Qubits funktionieren. Es stelle sich aber die Frage, wie ein Computer, der mit sehr vielen Qubit-Elementen laufe, Informationen verarbeiten könne. Der Segen der Parallelität könnte sich ins Gegenteil verkehren: «Die Gleichzeitigkeit spielt in einem solchen System eine wichtige Rolle.»

Partnerschaften verhelfen zu Quantensprüngen

Ralph Eichler machte in seinem Schlussvotum deutlich, dass die ETH Zürich im Bereich der Quantenwissenschaft bereits heute gut aufgestellt sei, dass der Moment aber gekommen sei, das Quantum Engineering an der ETH zu einem Zentrum auszubauen. Eine neue Professur in diesem Bereich sei bereits im Aufbau, was alleine aber nicht reichen werde. «Quantensprünge waren bisher vor allem dank Partnerschaften möglich, so soll es auch mit der Quantenwissenschaft sein», sagte Eichler zum Abschluss seines letzten Lokaltermins, den er zusammen mit der ETH Zürich Foundation veranstaltete.

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