Mehr Konzepte, weniger Fakten

ETH-Biologiedozentinnen testeten das biologische Konzeptwissen von Maturanden und Studierenden. Ihre Bilanz ist ernüchternd: Viele haben falsche Auffassungen von solchen Konzepten, etwa der Bedeutung des Zufalls in der Biologie. Jetzt handeln die Dozierenden.

Vergrösserte Ansicht: Biologische Konzepte
ETH-Lehrforscherinnen nahmen das Konzeptwissen von Maturandinnen und Maturanden unter die Lupe. (Illustration: Annie Champagne Queloz / ETH Zürich)

Im Biologieunterricht lernen die Schülerinnen und Schülern sehr viel Faktenwissen. Die der Biologie zugrundeliegenden Konzepte der Evolution, der Genetik oder auch der molekularen Zusammenhänge hingegen gehen vergessen oder werden am Rande thematisiert. Gymnasiasten und Studierende haben deshalb von diesen Konzepten oft falsche Auffassungen – wenn überhaupt. Und diese lassen sich später auch nur mit grossem Aufwand und mit Mühe korrigieren. Dies zeigt eine Gruppe von ETH-Forschenden des Instituts für Molekulare Systembiologie auf, die vor kurzem in der Fachzeitschrift PLOS One eine entsprechende Studie veröffentlicht hat.

Konzeptwissen gezielt abgefragt

Für die Studie hat die Biologiedoktorandin Annie Queloz Champagne 475 Gymnasiastinnen und Gymnasiasten vor der Matura mit einem speziellen Fragebogen auf ihr Konzeptwissen hin getestet. Dabei mussten die Gymnasiasten 24 Fragen beantworten. Diese betrafen vor allem Konzepte der Evolution, der Genetik sowie die Eigenschaften und Funktionen von Molekülen. Die Maturanden konnten aus mehreren Antworten die am besten zutreffende wählen.

In einer früheren Studie wurden mit demselben Fragebogen schon Studierende der ETH und der Universität Zürich im ersten und dritten Semester des Biologiestudiums durchleuchtet. Dadurch konnten die Forschenden das Wissen der verschiedenen Gruppen direkt vergleichen. Die Befragung der Schüler bereits vor der Matura verschafft den ETH-Dozierenden einen Zeitvorsprung: so können sie ihre Lehre im Grundstudium noch anpassen, bevor die Studierenden zum Biologiestudium kommen.

Deutliche Mängel beim Konzeptwissen

Die aktuelle Studie mit Gymnasiasten zeigt nun auf: Ihr Konzeptwissen ist mangelhaft. Und dieses Wissen wächst in den ersten Semestern des Biologiestudiums um maximal 20 Prozent gegenüber dem Maturitätswissen an. Für die Mitautorin der Studie und Biologiedozentin der ETH Zürich Katja Köhler ist klar: «Der Wissenszuwachs ist erschreckend gering, es ist aber das Maximum, was man mit traditioneller Lehre – sprich Frontalvorlesungen im Grundstudium – erreicht.» Dieser Wert sei nicht ETH-spezifisch und decke sich mit Erhebungen von anderen Hochschulen und in den USA.

So haben die Schülerinnen und Schüler insbesondere Mühe mit dem Zufallsprinzip, das in der Biologie herrscht. Im Unterricht wird ein Bild von zielgerichteten Vorgängen und Abläufen vermittelt, der ausser Acht lässt, dass vieles zufällig ist, wie etwa Wechselwirkungen von Molekülen oder evolutionäre Prozesse. «Viele klassische Lehrbücher vermitteln ein deterministisches Bild der Biologie. Das führt Schüler und Studierende in die Irre», sagt Köhler.

Eine weitere Problemzone des Biologie-Unterrichts: Die Studierenden können Konzepte aus anderen Fächern, wie etwa Physik oder Chemie nicht in die Biologie übertragen. Jedes Fach wird separat unterrichtet, ohne Querbezüge oder Anwendungen im jeweils anderen Fachgebiet aufzuzeigen.

Generalrevision von Vorlesungen

Die Resultate der ersten Studie mit Studienanfängern habe vor rund zwei Jahren den Ausschlag gegeben, Unterrichtsstil und -inhalt im Biologiestudium an der ETH zu verändern. «Auch wir haben den Studierenden oft Faktenwissen mit Frontalunterricht geboten», sagt Köhler. «Wir sind seit der ersten Studie daran, den Lernstoff in den ersten Jahren des Biologiestudiums gründlich zu überarbeiten und stärker auf die Vermittlung von biologischen Konzepten zu setzen.»

So haben ETH-Biologiedozierende damit begonnen, die Rolle des Zufalls in den Vorlesungen zu thematisieren. «Wir entwickeln vermehrt eigenes Lehrmaterial, das wir zusätzlich zu den klassischen Lehrbüchern einsetzen», betont die Dozentin.

Brückenschlag zur Physik

Neu konzipiert wurde zudem auch die Physikvorlesung für angehende Biologinnen und Biologen. Die Vorlesungen befassen sich stärker mit biologisch relevanten Themen als bisher. Köhler betont: «Das Beispiel des Apfels, der wegen der Gravitation zu Boden fällt, hat nichts mit Biologie zu tun, auch wenn ein Apfel darin vorkommt.» Es gehe in der Physik für Biologen darum, physikalisches Wissen zu vermitteln, das für die Biologie relevant sei. Dieses Herangehen soll künftig auch auf andere Service-Vorlesungen im Biologiecurriculum ausgeweitet werden.

Eine Knacknuss auf dem Weg zur besseren Lehre sind die Massenvorlesungen im Grundstudium. Dort sitzen bis zu 600 Studierende aus teilweise unterschiedlichen Studienrichtungen. «Bei einer solch grossen Zahl von Studierenden mit so heterogenem Vorwissen ist es sehr schwierig, allen gerecht zu werden», weiss Köhler aus eigener Erfahrung.

Eine Lösung ist, dass die Biologiedozierenden den Studierenden vor der Lehrveranstaltung Vorbereitungsunterlagen aushändigen. Die Studierenden bereiten sich damit auf die Vorlesung vor und erarbeiten sich ein Teil des Lernstoffs in ihrem eigenen Tempo selbst. In der Vorlesung arbeitet der Dozent dann verstärkt mit Fragen, Diskussionen oder Übungen. Dies soll effizienter dafür sorgen, die biologischen Konzepte in den Köpfen zu verankern.

Regelmässiges Wissensinventar

Der verwendete Test, als Biological Concepts Instrument (BCI) vor einigen Jahren in den USA entwickelt, wurde von ETH-Forschenden zum ersten Mal ausserhalb der Vereinigten Staaten angewendet. Sie werden ihn weiterhin verwenden, um das Konzeptverständnis der Studierenden in den ersten Semestern des Biologiestudiums zu testen. «Für uns ist dieser Fragebogen sehr wertvoll. Wir können dadurch Forschung und Anwendung verknüpfen. Ergebnisse können direkt im eigenen Studiengang umgesetzt werden», sagt Köhler.

Literaturhinweis

Champagne Queloz A, Klymkowsky MW, Stern E, Hafen E, Köhler K. Diagnostic of students’ misconceptions using the Biological Concepts Instrument (BCI): A method for conducting an educational needs assessment. PLOS ONE 12(5) : e0176906. doi: 10.1371/journal.pone.0176906

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