Ein ausgleichender Geist

Der ETH-Friedens- und Konfliktforscher Lars-Erik Cederman hat den wichtigsten Schweizer Wissenschaftspreis, den Marcel-Benoist-Preis 2018, gewonnen. In seiner Forschung untersucht er, wie eine faire Verteilung von Macht und Ressourcen die Risiken ethnischer Konflikte reduzieren kann. Auch als Mensch und Forscher kennzeichnet ihn eine ausgewogene Natur.  

Vergrösserte Ansicht: Lars-Erik Cederman. (Bild: Daniel Rihs / 13 Photo)
Lars-Erik Cederman. (Bild: Daniel Rihs / 13 Photo)

Ist ein geteiltes Syrien friedfertiger als ein intaktes? Würde eine Sezession Kataloniens, also die regionale Abtrennung von Spanien, den Konflikt mit Madrid eher verstärken oder eher vermindern?

Fragen dieser Art untersucht Lars-Erik Cederman in einer weltweit vergleichenden Perspektive. Cederman ist Politikwissenschaftler und arbeitet mit modernen daten- und computergestützten Methoden.

Er war überrascht, als Bundesrat Johann Schneider-Ammann ihn persönlich anrief. Umso mehr freute es ihn, dass er als erster Sozialwissenschaftler seit dem Ökonomen Ernst Fehr 2008 den Schweizer Wissenschaftspreis Marcel Benoist gewonnen hat. Den Preis erhält er für seine Forschungsergebnisse über die Ursachen und Lösungsansätze von Konflikten zwischen ethnischen Minderheiten und einer zentralen Staatsgewalt.

Eine Leidenschaft für die Politik

Seit 2003 ist Cederman Professor für Internationale Konfliktforschung an der ETH Zürich. Er ist in Schweden aufgewachsen und lebt heute mit seiner Familie in der Schweiz. Beide Länder haben ihn geprägt. In beiden fühlt er sich zuhause, und in beiden ist er Staatsbürger. «Schweden und die Schweiz sind sich in vielerlei Hinsicht gleich», sagt er, «zum Beispiel teilen beide Länder die Überzeugung, dass man Konflikte rational und pragmatisch durch politische Beratung und Kompromisse lösen kann.»

Sein «leidenschaftliches Interesse» für die Politik begleitet den 1963 geborenen Cederman seit der Zeit, als er sich als Ingenieurstudent an der Universität Uppsala in der Studierendenpolitik engagierte. «Das gefiel mir so gut, dass ich mich von da an voll und ganz der Politik widmen wollte», erinnert er sich, «zugleich war mir klar, dass ich nicht unbedingt ein guter Politiker werden würde. Die Politikwissenschaft war daher die perfekte Lösung für mich.»

Er setzte seinen Plan um. Sein Ingenieurstudium schloss er zwar noch ab, doch danach wechselte er 1988 nach Genf, wo er am Institut für Internationale Studien ein Diplom in Internationale Beziehungen erlangte. Seine Promotion in der Politikwissenschaft erfolgte 1994 in den USA an der Universität von Michigan mit einer Dissertation über die Entstehung und den Zerfall von Staaten und Nationen. Danach lehrte er an den Universitäten von Oxford, Los Angeles und Harvard.

Von Professor Bienlein inspiriert

Dass er Professor werden wollte, wusste er schon mit 15 Jahren. Dazu angeregt hatte ihn die Figur des Professors Bienlein aus der bekannten Comic-Serie «Tim und Struppi». Anders als der leicht verrückt wirkende Wissenschaftler aus dem Comic ist Cederman freilich weder Einzelgänger noch exzentrisch. Vielmehr ist er ein auf Ausgleich bedachter Mensch.

Das spiegelt sich in seiner Forschung: Er konnte unter anderem aufzeigen, dass politische und wirtschaftliche Ungleichheiten zwischen Zentralstaat und Minderheiten das Konfliktpotenzial erhöhen, wohingegen eine ausgewogene Verteilung von Macht, Wohlstand und Grundversorgung ein Land stabilisieren kann.

Cedermans Sinn für den Ausgleich zeigt sich auch bei der Arbeit: In seiner Forschungsgruppe achtet er auf ein ausgeglichenes Verhältnis von individuellem Freiraum und Teamaufgaben. Schliesslich benötigt er für seine computergestützte Konfliktforschung nicht nur umfangreiche Datenbanken und grosse Rechnerkapazitäten, sondern auch ein Team, das sich in der Erhebung und Auswertung der unterschiedlichen Daten ergänzt.

«Mir ist es wichtig, dass wir ein Gleichgewicht zwischen der individuellen Kreativität und den kollektiven Leistungen finden », sagt er. Sein Team dankte es ihm, indem es ihn, ohne sein Wissen, für den Preis anmeldete. «Das macht mich stolz», sagt Cederman.

Das Jahr 2018 war bis jetzt für Cederman äusserst erfolgreich: neben dem Marcel-Benoist-Preis erhielt er auch einen ERC Advanced Grant, dank dem er nun die Wechselwirkungen zwischen Staatsveränderungen, Nationalismus und Krieg erforschen kann.

Ungleichheit und Machtteilung, Nationalismus, Staatspolitik und Konfliktlösung – diese Themen ziehen sich seit Beginn seiner Laufbahn durch Cedermans wissenschaftliches Werk: Vor drei Jahren konnte er zum Beispiel in einem Artikel in der American Political Science Review nachweisen, dass die Kombination von Föderalismus und Machtteilung im Zentrum eines Staates konfliktmindernd wirkt. «Die Schweiz ist ein glänzendes Beispiel dafür», sagt Cederman. Unumstritten sind solche Aussagen nicht, denn es gibt auch Gegenbeispiele – das frühere Jugoslawien zum Beispiel.

«Nationalismus ist eine Tatsache, die sich nicht aus normativen Gründen wegreden lässt.»Lars-Erik Cederman, Gewinner Marcel-Benoist-Preis 2018.

Nationalismus als Forschungsthema

Cederman und sein Team nutzen ihre breite Datenbank, die sowohl objektive, sozioökonomische Daten enthält als auch subjektivere Daten, welche die Motive und Einstellungen der Menschen betreffen, um solche Unklarheiten zu ergründen. Aktuell untersuchen sie zum Beispiel, wie sich Veränderungen von Staatsgrenzen auf Konflikte auswirken. «Wir haben Anhaltspunkte, dass die Zersplitterung und Grenzveränderungen von ethnisch definierten Nationen das Risiko von Bürgerkriegen erhöhen.» Solche Hypothesen möchte Cederman nun mit dem neuen ERC-Projekt untersuchen.

Auch bei kontroversen Themen wie dem Nationalismus konzentriert sich Cederman darauf, aufzuzeigen, wie sich dieser auf die Entwicklung von Staaten und Demokratien auswirken kann. Der Nationalismus, sagt Cederman, habe zum einen sehr grosse Nachteile und könne Konflikte verursachen. Anderseits: «Nationalismus ist eine Tatsache, die sich nicht aus normativen Gründen wegreden lässt. Er ist ein Teil unserer Identität und bis zu einem gewissen Grad hängt die repräsentative Demokratie von ihm ab.» Schliesslich trage er dazu bei, dass sich Bürger als eine nationale Gemeinschaft verstünden und einen demokratischen Staat mittragen, weil sie sich mit ihm identifizieren.

Entscheidend ist für Cederman, wie sich der Nationalismus entwickle: «Nationalismus muss nicht zwingend ethnisch definiert sein und andere ausschliessen. Man kann ihn wie in der Schweiz auch mit einem Verfassungsprinzip begründen. Ein solcher nichtethnischer Nationalismus kann andere ethnische Gruppen einschliessen und seine Souveränität mit anderen Staaten teilen.»

Teilen ist auch Cedermans Devise für seine Daten: Alle Daten zu den Themen Ungleichheit und Konflikt sind im Datensatz «Ethnic Power Relations» gebündelt und im Internet zugänglich.

Lesehinweis

Cederman, L-E, Gleditsch, K S, Buhaug H. Inequality, Grievances, and Civil War. Cambridge University Press, 2013.

Weitere Publikationen und Informationen der Forschungsgruppe von Lars-Erik Cederman finden sich auf dessen Website: icr.ethz.ch.

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