Weltoffene Expertin für Stadtklima

Als Architektin schöne Gebäude zu entwerfen, reichte Estefania Tapias schon im Studium nicht aus. Heute ist sie eine gefragte Expertin für Urbanisierung und Klimawandel und erforscht städtische Wohlfühlklimata.

Vergrösserte Ansicht: Die Stadtklima-Expertin Estefania Tapias wurde für die "Forbes 30 under 30"-Liste in der Kategorie Wissenschaft nominiert. (Bild: Florian Bachmann)
Die Stadtklima-Expertin Estefania Tapias wurde für die "Forbes 30 under 30"-Liste in der Kategorie Wissenschaft nominiert. (Bild: Florian Bachmann)

Estefania Tapias zählt zu den anerkanntesten Expertinnen für thermischen Komfort und erforscht, wie Temperatur, Luftfeuchte oder Luftgeschwindigkeit das Wohlbefinden von Menschen in Städten beeinflussen. Dafür pendelt die 29-jährige regelmässig zwischen dem ETH Future Cities-Labor in Singapur und dem Departement für Architektur in Zürich hin und her. Dazu hat sie seit 2014 eine Serie von sogenannten MOOC (massive open online courses) zur Planung der Stadt der Zukunft aufgebaut. Über 116'000 Menschen haben daran bereits weltweit teilgenommen. Als Postdoktorandin in der Forschungsgruppe von Gerhard Schmitt, ETH-Professor für Informationsarchitektur, ist sie zudem in das interdisziplinäre Forschungsprojekt «Cooler Calmer Singapore» involviert, bei dem es unter anderem darum geht, das Wohlbefinden der Menschen durch eine Reduktion von Hitze zu steigern.

Städteforscherin statt Künstlerin

Ursprünglich hatte Estefania Tapias gar nicht vor, in die Forschung zu gehen. Sie wollte Künstlerin werden. Doch als es an die Wahl des Studienfachs ging, riet ihr Vater davon ab. Der ausgebildete Ökonom und Begründer einer Bildungsinstitution für Unternehmer aus der ärmeren Bevölkerung Kolumbiens, die er gemeinsam mit seiner Frau leitet, legt viel Wert auf eine solide akademische Grundlage. Seine älteste Tochter hatte Politikwissenschaften und die mittlere Medizin gewählt.

Als Kompromiss entschied sich Estefania Tapias für ein Architekturstudium an der Pontificia Universidad Javeriana in ihrer Heimatstadt Bogota. Schon bald stellte sie jedoch fest, dass ihr das Studium nicht genug zu bieten hatte. «Ich wollte nicht nur schöne Häuser bauen, sondern Zusammenhängen auf den Grund gehen und Probleme lösen». Gesellschaftliches Engagement hatte sie von jeher im Elternhaus gelernt. Nachhaltigkeit war das Thema, das sie für sich entdeckte und das sie seitdem leidenschaftlich erforscht.

Um mehr darüber zu lernen, wechselte sie fürs Masterstudium in nachhaltiger Architektur nach Italien an die Polytechnische Universität in Turin. «Unsere Eltern haben uns früh zu Selbständigkeit erzogen», sagt sie und erzählt, wie sie bereits mit sechs Jahren für einige Monate mit ihren Schwestern Verwandte in Kalifornien besuchte – ohne Eltern. Mit elf Jahren lebte sie für drei Monate bei einer Tante in Frankreich. «Ich habe dort zwar nicht, wie von meinen Eltern erhofft, Französisch gelernt, da meine Tante meist Spanisch gesprochen hat. Doch seitdem weiss ich, wie ich mich im Ausland zurecht finde.» Heute fühlt sich die Forscherin in der ganzen Welt zuhause.

Rückkehr als Forscherin

Nach Kolumbien kehrte sie erst während ihrer Doktorarbeit zurück. «Für meinen Master habe ich gelernt, wie man ein nachhaltiges Gebäude errichtet», erläutert Tapias. «Im nächsten Schritt wollte ich wissen, wie sich die Technologie weiterentwickeln muss, um in Städten Nachhaltigkeit dauerhaft zu implementieren».

Bereits von Turin aus hatte sie Kontakte an der ETH Zürich aufgebaut und bewarb sich für ihre Doktorarbeit am Departement Architektur. Hier beschäftigte sich die Forscherin mit dem städtischen Komfortklima im kolumbianischen Barranquilla. «In der Stadt nahe der Karibik herrscht ein tropisches Klima, weshalb schon ein leichter Temperaturanstieg durch die Klimaerwärmung für die Menschen unerträglich wird.»

Unverkrampfter Umgang

Um ihre Arbeit zum Erfolg zu führen, brauchte Estefania Tapias neben der technischen Ausrüstung mit Messgeräten vor allem zuverlässige Partner vor Ort zur Datenerhebung. Dabei kam der Wissenschaftlerin zugute, dass sie nicht nur gerne forscht, sondern genauso gerne netzwerkt. «Ich bin an drei Hochschulen gegangen und habe Studierende an Bord geholt». Tapias entwickelte eine App, mit der die Studierenden Daten sammeln konnte.

Als weiteren Betreuer für ihre Doktorarbeit konnte die ETH-Forscherin Andreas Matzarakis, einen international bekannten Experten für Umweltmeteorologie von der Universität Freiburg, gewinnen. «Viele haben mich gefragt, wie ich das gemacht habe», erzählt sie. «Ich habe ihm einfach eine Mail geschrieben – wobei mir der Name der ETH sicher geholfen hat.» Parallel zum Doktorat an der ETH Zürich erlangte sie zudem ein Climate-KIC PhD-Label des Europäischen Instituts für Innovation und Technologie (EIT).

Alles verbinden

Trotz ihrer Erfolge ist sie bescheiden geblieben. «Ich fühle mich oft nicht als Wissenschaftlerin», sagt sie. Es ist wohl vor allem ihre Offenheit für Menschen und Themen, die sie antreiben. Das Ergebnis kann sich jedoch mehr als sehenlassen. Erst kürzlich wurde sie für die Forbes-Liste «30 under 30» in der Kategorie Wissenschaft nominiert.

Ob sie es in diese Auswahl schafft, entscheidet sich Anfang 2018. Wenn nicht, so ist es sehr wahrscheinlich, dass noch andere Ehrungen auf sie warten: Schon heute gehört sie den «Global Shaper» des World Economic Forum (WEF) an und hat die EIT Alumni-Organisation aufgebaut. Ausserdem möchte sie in ihrer Freizeit eine Initiative für Frauen gründen. «Meine Mutter war immer zerrissen zwischen ihrer Arbeit am Bildungsinstitut und ihrer Fürsorge für ihre Töchter», erzählt sie. «Ich möchte nicht, dass Frauen in Zukunft wählen müssen, sondern sie sollen in ihrem Leben beides verfolgen können, persönliche und berufliche Ziele.»

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