Hirn an Roboter: «Bitte bewegen!»

Mit Gedanken einen Roboter steuern, der die gelähmte Hand führt: Ein Projekt aus dem ETH-Labor für Rehabilitationstechnik könnte Therapie und Alltag für Schlaganfallpatienten grundlegend verändern.

Hand-Exoskelett
Das Hand-Exoskelett integriert therapeutische Übungen in den Alltag von Schlaganfall-patienten. (Bild: Gerber Loesch Photography)

Schlaganfall. Dieser Schicksalsschlag widerfährt jedem sechsten Menschen im Laufe seines Lebens. Allein in der Schweiz sind es 16 000 Menschen pro Jahr. Zwei Drittel der Betroffenen erleiden eine Armlähmung. In einem aufwändigen Training können Patientinnen und Patienten – je nach Schwere der Hirnschädigung – die Kontrolle über den Arm und die Hand bis zu einem gewissen Grad wiedererlangen. Das kann eine klassische Physio- und Ergotherapie sein, es können aber auch Roboter zum Einsatz kommen.

Roger Gassert, Professor für Rehabilitationstechnik an der ETH Zürich, hat verschiedene solcher Roboter zur Therapie der Handfunktion entwickelt und sieht in ihnen ein gutes Mittel, um Patienten bei der Therapie zu unterstützen. Ob aber Physio- oder Robotertherapie: Beide Formen sind meist auf ein bis zwei Trainingseinheiten pro Tag limitiert und für Patienten zudem aufwändig, wenn sie zur Therapie fahren müssen.

Exoskelett als Übungsroboter

«Meine Vision ist, dass Patienten die Übungen nicht mehr in einer abstrakten Situation in der Klinik machen, sondern zuhause im Alltag, und dass ein Roboter sie je nach Schweregrad der Schädigung unterstützen kann», sagt Gassert und präsentiert ein Exoskelett für die Hand. Die Idee für diesen Roboter hat er zusammen mit Professor Jumpei Arata von der Kyushu Universität (Japan) entwickelt, als dieser 2010 während eines Sabbaticals in Gasserts Labor arbeitete.

«Bestehende Exoskelette sind schwer, was ein Problem ist für unsere Patienten, weil sie dann die Hand nicht heben können», erklärt Gassert das Konzept. Zudem haben die Patienten Mühe, etwas zu spüren und die richtige Kraft auszuüben. «Deshalb wollten wir ein Modell, das die Innenfläche der Hand kaum berührt, damit man im Alltag Aktivitäten ausführen kann, die nicht nur die Motorik, sondern auch die Sensorik unterstützen», führt er aus. Arata entwickelte einen Mechanismus für den Finger mit drei übereinanderliegenden Blattfedern. Ein Motor bewegt die mittlere Feder, welche die Kraft über die anderen beiden Federn auf die verschiedenen Fingerabschnitte überträgt. Die Finger passen sich so automatisch dem Objekt an, das die Hand greifen will.

Mit den integrierten Motoren wog das Exoskelett allerdings 250 Gramm, was sich in klinischen Tests für die Patienten als zu schwer herausstellte. Die Lösung bestand darin, die Motoren von der Hand zu entfernen und am Rücken anzubringen. Über ein Fahrradbremskabel wird die Kraft auf das Exoskelett übertragen. So wiegt das Handmodul inzwischen knapp 120 Gramm und ist kräftig genug, um eine Literflasche Mineralwasser zu heben.

Das Hand-Exoskelett mit den Motoren, die am Rücken getragen werden
Das Hand-Exoskelett mit den Motoren, die am Rücken getragen werden: Ein Velobremskabel überträgt die Kraft, die ausreicht, um eine Literflasche Wasser zu heben. (Bild: Stefan Schneller)

Hirnabläufe erforschen

Was Gassert zurzeit aber wirklich umtreibt, ist die Frage, was im Hirn passiert und wie nach einem Schlaganfall die Befehle aus dem Hirn die Gliedmassen erreichen: «Gerade bei schwer betroffenen Patienten ist die Verbindung zwischen Hirn und Hand stark oder vollständig unterbrochen», erklärt Gassert. «Wir suchen deshalb nach einer Lösung, wie Patienten intuitiv Befehle an den Roboter geben können.» Die Absicht eines Patienten, die Hand zu bewegen, soll im Hirn detektiert und direkt ans Exoskelett weitergegeben werden. Dabei soll ein therapeutischer Nutzen entstehen. Verschiedene Studien zeigen laut Gassert, dass sich bestehende Nervenverbindungen zwischen Hirn und Hand durch regelmässiges Üben stärken lassen. Voraussetzung ist, dass das Hirn eine sensorische Rückmeldung von der Hand erhält, wenn es einen Befehl zur Bewegung gibt.

Um zu verstehen, was im Hirn abläuft, forscht Gassert mit Klinikern, Neurowissenschaftlern und Therapeuten an den Grundlagen. Hierfür stehen den Wissenschaftlern verschiedene bildgebende Verfahren zur Verfügung, etwa die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRI), mit der man die Aktivitäten des ganzen Hirns abbilden kann. Damit lassen sich grundlegende Erkenntnisse gewinnen, doch für die Therapie ist die Technologie wenig geeignet: fMRI ist sehr teuer und enorm komplex. «Und natürlich nicht tragbar», ergänzt Gassert mit Blick auf sein Projekt. Deshalb setzt er auf einfachere Verfahren wie die Elektroenzephalografie (EEG) – und insbesondere die funktionelle Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS), die günstigste dieser Technologien. An der Herausforderung, ob und wie sich fNIRS robust einsetzen lässt, arbeitet Gassert zurzeit mit einer Gruppe am Universitätsspital. Sie bringt Erfahrung in der klinischen Anwendung dieser Technik mit.

Grundlegende Erkenntnisse

Auch die Frage, wie das Gehirn Gliedmassen ansteuert, die mit der Umgebung interagieren, ist noch nicht vollständig geklärt. «Hier leistet die Robotik auch wertvolle Beiträge zur Grundlagenforschung, denn sie ist ideal, um eine Bewegung zu erfassen, sie zu stören und die Reaktion zu messen », erklärt Gassert. So haben die Robotiker etwa ein Exoskelett entwickelt, Das Hand-Exoskelett mit den Motoren, die am Rücken getragen werden: Ein Velobremskabel überträgt die Kraft, die ausreicht, um eine Literflasche Wasser zu heben. mit dem sich das Knie beim Gehen für 200 Millisekunden blockieren und über 5 Grad auslenken lässt. Mittels Sensoren messen die Wissenschaftler die Kräfte, die dabei wirken, und aus diesen Daten können sie darauf schliessen, wie das Hirn die Steifigkeit des Knies moduliert. Diese Erkenntnisse fliessen dann etwa in die Regelung von neuartigen aktiven Prothesen ein.

Gelingt es den Forschenden, die Verbindung zwischen Hirn und Exoskelett herzustellen, steht ein Gerät zur Verfügung, das sich bestens für die Therapie eignet. Sind die Defizite hingegen bleibend, könnte der Roboter auch Langzeitunterstützung bieten – als Alternative zu invasiven Methoden, an denen auch geforscht wird. Diese sehen beispielsweise vor, Elektroden ins Hirn einzupflanzen und Stimulatoren in den Muskeln anzusteuern. Solange ein Schlaganfallpatient aber davon ausgehen darf, dass er sich noch erholen kann, würde er den Roboter bestimmt vorziehen.

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