«Ein Mehraufwand, der sich gelohnt hat!»

Vor zehn Jahren startete die ETH Zürich zusammen mit der TU Delft und der RWTH Aachen ein trinationales Joint Master-Programm in Angewandter Geophysik. Wir befragten den Geophysik-Professor Hansruedi Maurer nach den Erfahrungen der ETH Zürich mit dem Pionierprojekt.

Vergrösserte Ansicht: Joint Master Geophysik
Studierende des «Joint Master in Applied Geophysics» führten diesen Sommer seismische Tests in Wangen (SZ) durch. (Foto: ETH Zürich / D-ERDW)

ETH-News: Herr Maurer, welche Vision führte vor zehn Jahren zur Gründung eines Masterprogramms, das über drei Hochschulen in drei Ländern verteilt ist?
Hansruedi Maurer: Die ETH Zürich ging vor 16 Jahren mit der TU Delft in den Niederlanden, der RWTH Aachen und dem Imperial College in London unter dem Namen IDEA League eine strategische Partnerschaft ein. Die ursprüngliche Idee des damaligen ETH-Rektors Konrad Osterwalder, von ETH-Geophysikprofessors Alan Green und Jacob Fokkema, dem ehemaligen Rektor der TU Delft, war ein Austausch von Geophysik-Masterstudierenden zwischen den beiden Hochschulen aufzuziehen. Das Konzept eines Joint Masters wurde erst später entwickelt. Die Vision: die Expertise von drei führenden technischen Universitäten in diesem Bereich zu bündeln und den Studierenden dadurch ein exzellentes Studienangebot zu eröffnen.

Welche Expertise brachte das Institut für Geophysik der ETH Zürich in den Studiengang mit ein?
Wir sind vor allem bei Analysen und Einschätzungen von Naturgefahren sehr stark, also zum Beispiel bei Erdbeben oder Hangrutschen. Zudem sind wir spezialisiert in Ingenieurgeophysik, die unter anderem beim Tunnelbau oder der Endlagerung von radioaktiven Abfällen gefragt ist. Schliesslich verfügen wir über viel Expertise in der Charakterisierung des untiefen Untergrunds, was für viele Prospektionsvorhaben in der Geothermie sowie in der Exploration von Erdöl, Erdgas oder mineralischen Rohstoffen bedeutend ist.

Vergrösserte Ansicht: Hansruedi Maurer (Bild: ETH Zürich)
Geophysik-Professor Hansruedi Maurer. (Bild: ETH Zürich)

Wo lagen zu Beginn die grössten Herausforderungen bei der Etablierung des neuartigen Masterprogramms?
Wir hatten es mit drei unterschiedlichen Ländern zu tun, mit drei unterschiedlichen Gesetzgebungen und drei unterschiedlichen Studienkulturen. Das war eine riesige Herausforderung! Ein kleines Beispiel: An der ETH dürfen Studierende ihre Prüfungen nur einmal wiederholen. An der RWTH Aachen zweimal und an der TU Delft unbegrenzt. Wie sollte also die Regelung für den Master lauten?

Und, wie haben Sie entschieden?
Die Studierenden verbringen ja jeweils ein Semester in Zürich, Aachen und Delft. Während der jeweiligen Aufenthalte sind nun die Reglemente der entsprechenden Hochschule gültig.

Was haben Sie in der Anfangsphase sonst noch gelernt?
Zu Beginn organisierten wir das gesamte Studium in Blockkursen neben dem regulären Studienbetrieb. Das entpuppte sich als sehr ineffizient. Heute sind die Kurse komplett ins reguläre Studienprogramm integriert und stehen auch anderen Studierenden offen.

Für den Joint Master schreiben sich Studierende aus der ganzen Welt ein. Sind die unterschiedlichen Wissensstände zu Beginn nicht ein Problem?
Doch, denn unsere Studierenden kommen nicht nur von unterschiedlichen Hochschulen, sondern haben auch einen anderen fachlichen Hintergrund. Wir bieten deshalb neu Online-Kurse an, mit denen sie sich auf das Studium vorbereiten können und ihre fachlichen Lücken individuell schliessen.

Wie verhält sich während des Studiums der Anteil von Theorie zur Praxis?
Obwohl wir «angewandte» Geophysik lehren, nimmt die Theorie gerade zu Beginn des Studiums sehr viel Raum ein. Wir wollen, dass unsere Studierenden ein solides fachliches Fundament haben. Erst am Ende des zweiten Semesters in Zürich betreiben sie einen Monat lang Feldforschung. Zum Beispiel vermass in diesem Jahr eine Gruppe die Hangstabilität in der Nähe eines Steinbruchs am Zürichsee. Eine andere kümmerte sich währenddessen um die archäologische Prospektion von Resten alter römischer Villen.  

Wie hat sich das Joint-Master-Programm über die Jahre entwickelt?
Er hat sich schnell etabliert und gehört heute zu den wichtigsten Ausbildungen für angewandte Geophysik in Europa. Die Studierenden haben sehr gute Jobaussichten und erhalten oft schon vor Studienabschluss erste Stellenangebote. Viele werden auch von unseren Industriepartnern nach einer gemeinsamen Masterarbeit gleich eingestellt. Darunter sind Unternehmen wie Shell, Schlumberger, Statoil, Wintershall und Nagra. In der Geophysik herrscht nach wie vor ein Fachkräftemangel, während die Nachfrage nach Rohstoffen und den entsprechenden Prospektionstechniken kontinuierlich ansteigt.

In welchen Bereichen sind die Abgänger vor allem tätig?
Der grösste Teil in der Exploration von Erdöl und Erdgas in Skandinavien, Holland und den USA. Andere in Ingenieurbüros, die Naturgefahren abschätzen oder zum Beispiel die Nagra bei der Wahl von Endlagerstätten für nuklearen Abfall beraten. Man muss jedoch berücksichtigen, dass sich fast die Hälfte der Studierenden nach Abschluss für ein Doktorat entscheidet.

Worauf sind Sie bei der Etablierung des Joint Masters heute rückblickend besonders stolz?
Ein solches Programm bedeutet für die Hochschule einen finanziellen Mehraufwand und für  Professoren und weitere Involvierte punkto Koordination eine zusätzliche Belastung. Es gab Zeiten, wo wir uns gefragt haben, ob sich dieser Mehraufwand tatsächlich lohnt? Heute weiss ich: Er hat sich gelohnt, denn es ist uns gelungen, ein einzigartiges Programm auf die Beine zu stellen.

Und was bringt die Zukunft?
Derzeit sehe ich keine Notwendigkeit für Änderungen. Jährlich beginnen nun durchschnittlich 30 bis 40 Studierende das Masterstudium. Das sind viele, aber solange die Qualität stimmt und die Abgänger in der Industrie gefragt sind, möchten wir die Anzahl auch künftig nicht begrenzen.

Hansruedi Maurer ist seit 2007 Professor für Geophysik an der ETH Zürich.

Studieren in drei Ländern: «Joint Master in Applied Geophysics»

Der trinationale externe SeiteStudiengang für angewandte Geophysik von ETH Zürich, RWTH Aachen und TU Delft wurde 2006 gestartet. Die Studierenden lernen je ein Semester an den beteiligten Hochschulen und leben vor Ort. Während des letzten Semesters verfassen sie eine Masterarbeit an einer der Hochschulen oder in Zusammenarbeit mit einem Industriepartner. In den vergangenen zehn Jahren haben 160 Studierende das Studium erfolgreich abgeschlossen. Am 28. August feiern die involvierten Partnerhochschulen das 10-jährige Jubiläum des Joint Masters an der TU Delft mit einem Kolloquium zur erdwissenschaftlichen Ausbildung in Europa.

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert