Anno 1914: Erdbeben im Visier

Mit einem Bundesgesetz wurde die Erdbeben­überwachung vor hundert Jahren zu einer staatli­chen Aufgabe. Sie wird seither vom Schweizeri­schen Erdbebendienst wahrgenommen. Dieser baute im Laufe der Zeit ein dichtes und leistungs­fähiges Messnetz auf.

Cover Globe 1/2014

Dieser Artikel erschien in Globe, Ausgabe
1/März 2014
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Nicht ein typisches «Erdbebenland» wie Italien oder Japan, sondern die vergleichsweise ruhige Schweiz war es, die 1878 als erstes Land der Welt eine offizielle ständige Orga­nisation zur Beobachtung von Erdbeben ins Leben rief. Die Schweizerische Naturforschende Gesellschaft gründete da­mals an ihrer Jahresversammlung die Erdbebenkommission. Diese sammelte und archivierte auf ehrenamtlicher Basis Berichte über aktuelle und historische Erdbeben und setzte sich zum Ziel, Erdbebenmessstationen auf dem ganzen Ge­biet der Schweiz einzurichten.

Bis letztere Aufgabe wahrgenommen werden konnte, dau­erte es allerdings noch: Erst 1908 bewilligte das Parlament einen Beitrag von 12'000 Franken, um im Degenried bei Zürich eine Erdbebenwarte einzurichten. Drei Jahre später wurde die Station eröffnet. Ein kleines, unscheinbares Haus im Wald bot Raum für zwei sperrige Geräte: einen Mainka-Horizontal-Seismographen und einen Wiechert-Vertikal-Seismographen. Noch im gleichen Jahr registrierte die Sta­tion das erste Ereignis: ein Erdbeben im Kanton Thurgau.

Alfred de Quervain, erster Leiter des SED
Alfred de Quervain, erster Leiter des SED, in der Baugrube für den von ihm entwickelten 20 Tonnen schweren Universalseismographen (Bild: SED ETH Zürich)
Historische Aufnahmen vom Erdbeben 1946 bei Siders
Das letzte schwere Erdbeben in der Schweiz ereignete sich 1946 bei Siders (VS). Dabei kam es zu schweren Schäden an Gebäuden (Bild: Schweizer illustrierte Zeitung)

Die Erdbebenkommission, die sich bei ihrer Arbeit bis­her vor allem auf Meldungen aus der Bevölkerung gestützt hatte, kam mit der neuen Messstation jedoch schnell an ihre personellen Grenzen. Das Gremium wurde deshalb aufgelöst und durch den Schweizerischen Erdbebendienst (SED) ersetzt, der als neue Abteilung der Meteorologischen Zentralanstalt (der Vorgängerin der heutigen MeteoSchweiz) angegliedert wurde.

Mit dem Bundesgesetz vom 1. April 1914 wurde der SED endgültig zu einer offiziellen Institu­tion, deren Aufgaben von besoldeten Wissenschaftlern im Staatsdienst übernommen wurden. Erster Leiter des neuen Dienstes wurde der Geophysiker und Meteorologe Alfred de Quervain, der kurz zuvor von seiner berühmten Grönlandexpedition zurückgekehrt war.

Gleiche Kernaufgabe

Erdbebenmessstation im Degenried bei Zürich
Die allererste Erdbebenmessstation der Schweiz war in diesem Haus im Degenried bei Zürich untergebracht. (Bild: SED ETH Zürich)

Die Kernaufgabe des SED ist seit seiner Gründung vor hundert Jahren die gleiche geblieben: die Schweiz und das grenznahe Ausland seismisch zu überwachen. Dazu wurde das Messnetz im Laufe der Zeit immer weiter ausgebaut. Ein wichtiger Schritt erfolgte in den 1920er-Jahren: An den drei Standorten Zürich, Chur und Neuchâtel rüstete der SED drei Messstationen mit Universalseismographen aus, die das erste einheitliche seismische Netzwerk bildeten.

Der eigentliche Ausbau zu einem modernen flächendeckenden Netzwerk begann dann in den 1970er-Jahren. Heute erfasst der SED an über 100 Standorten Erschütte­rungen des Untergrunds. Der technische Fortschritt spiegelt sich nicht nur in der Zahl der Messstationen wider, son­dern auch in deren Bauweise.

Waren die Universalseismo­graphen noch über 20 Tonnen schwer, wiegen die heutigen Messgeräte nur noch einige Kilogramm. Diese sind auch wesentlich präziser, können sie doch zehntausendmal feinere Signale aufzeichnen, als die Universalseismographen es konnten. Dadurch sind sie in der Lage, auch feinste Be­wegungen zu registrieren – zum Beispiel Erschütterungen, die durch einen Überschallknall verursacht werden.

Ereignisse sofort erkennen

Eine wichtige Änderung erfuhr der SED im Jahr 1957. Per Bundesgesetz wurde er dem Institut für Geophysik der ETH Zürich unterstellt. Der Erdbebendienst sollte fortan nicht nur Messstationen betreiben und die Erdbebenakti­vität beobachten, sondern vermehrt selber Forschungsprojekte durchführen und in internationalen Organisatio­nen mitwirken. Nachdem der SED in den 1970er-Jahren neu ausgerichtet wurde, erfolgte der zügige Ausbau der Erdbebenüberwachung. Insbesondere wurde ein automati­sches Auswertungssystem etabliert, das Erdbeben innert 30 Sekunden lokalisieren kann. Dadurch können die zu­ständigen Behörden im Ereignisfall rasch alarmiert werden.

Heute ist der SED als eigenständige Einheit direkt dem Vizepräsidenten für Forschung und Wirtschaftsbeziehun­gen unterstellt und beschäftigt etwa 60 Personen. Neben den vielen Projekten in der Schweiz engagiert sich der SED auch im Ausland. Unter anderem betreibt er im Moment ein (temporäres) Erdbebennetz in Bhutan sowie einige Messstationen in Grönland. In der Schweiz selbst regist­riert der SED etwa zwei Erdbeben pro Tag, jährlich also zwischen 500 und 800 Ereignisse. Nur etwa zehn davon sind so stark, dass sie von der Bevölkerung verspürt wer­den.

Dabei ist die Verteilung der Beben nicht gleichmässig: Im Wallis, im Raum Basel, im St. Galler Rheintal, in Mittel­bünden, im Engadin und in der Zentralschweiz werden mehr Erdbeben registriert als in anderen Gebieten. Starke Beben mit einer Magnitude von etwa 6 kommen in der Schweiz etwa alle 60 bis 100 Jahre vor. Das wohl bekann­teste Starkbeben ereignete sich 1356 in Basel. Damals wurde ein Grossteil der Stadt stark beschädigt. Das letzte schwere Ereignis fand 1946 bei Siders im Kanton Wallis statt; auch dort kam es zu grossen Schäden.

Die aufgezeichneten Daten nutzt der SED auch für an­dere Aufgaben – etwa um die Eigenschaften des Unter­grunds zu bestimmen oder Geothermieprojekte zu überwachen. Und er beteiligt sich an der Umsetzung des Atomteststopp-Vertrags der Uno. Eine 2003 in Betrieb ge­nommene Station bei Davos gehört zum weltweiten Über­wachungsnetz, das die Einhaltung des Vertrags sicherstellt.

Auch 100 Jahre nach seiner Gründung wird der SED das Messnetz weiter optimieren. Forschungsbedarf besteht etwa bei den Frühwarnsystemen. Da sich elektromagneti­sche Wellen schneller ausbreiten als seismische, können im Prinzip Gebiete, die sich in einiger Entfernung zum Epi­zentrum befinden, bereits Sekunden vor dem Eintreffen der stärksten Erschütterung gewarnt werden – sofern das das Beben schnell genug erkannt wird.

Der SED im Jubiläumsjahr

Der SED präsentiert sich im Jubiläumsjahr auf vielfältige Weise: Am 21. September mit einem Tag der offenen Tür sowie ab dem 6. Septem­ber mit einer Jubiläumsausstellung wird er im Herbst dem Publikum seine vielfältigen Aktivitäten vorstellen. Wer sich bereits vorher mit der Erdbebenforschung in der Schweiz beschäftigen möchte, dem bieten die Snapshots, die jeden Monat auf der SED-Webseite aufgeschaltet werden, einen ungewöhnlichen und anregenden Zugang zum Thema.

Informationen zum SED-Jubiläum

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