Aufgepeppte Antibiotika

Einem internationalen Forschungsteam unter der Leitung von Wissenschaftlern der Universität und ETH Zürich gelang es, eine Klasse von Antibiotika einer frühen Generation zu verbessern: Sie konnten ihre ehemals gravierenden Nebenwirkungen ausschalten.

Struktur Antibiotikum
Die Forschenden erstellten mehrere Varianten eines Antibiotikamoleküls – hier sind vier überlagert dargestellt. Obschon sie strukturell ähnlich sind, sind sie unterschiedlich spezifisch. (iStockphoto / Fernandez-Perez et al. Nature Communications)

Immer mehr Bakterien erweisen sich als resistent gegen Antibiotika. Die Suche nach neuen Wirkstoffen erweist sich als schwierig, und auf kaum mehr eingesetzte Antibiotika früherer Generationen auszuweichen, ist wegen ihrer teils starken Nebenwirkungen oft keine Option. Ein Forschungsteam um Andrea Vasella, emeritierter Professor am Laboratorium für Organische Chemie der ETH Zürich, und Erik Böttger, Professor am Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Zürich, zeigte nun, wie sich die Wirkung herkömmlicher Antibiotika markant verbessern lässt.

Die Antibiotika, die sie «nachgebessert» haben, gehören zur Gruppe der Aminoglykoside. Sie bekämpfen Bakterien an einer empfindlichen Stelle: ihren Ribosomen. Das sind gleichermassen die Bauunternehmer der attackierten Krankheitserreger, denn sie produzieren Eiweisse, wichtige Bau- und Betriebsstoffe der Zelle.

Nun sind allerdings auch die menschlichen Zellen mit Ribosomen ausgestattet, die jenen der Bakterien täuschend ähnlich sehen. Deshalb docken die Aminoglykoside zuweilen auch bei ihnen an, was zu Schädigungen führt. Sogenannte ototoxische Nebenwirkungen können von einem Hörverlust bis hin zur Taubheit führen und gehen auf irreversible Schädigungen der Sinneszellen im Innenohr zurück.

Antibiotikum ist selektiver

«Wir haben nun den Wirkungsmechanismus von Antibiotika dieser Gruppe so modifiziert, dass sie viel besser zwischen den menschlichen Ribosomen und den Ribosomen der Krankheitserreger unterscheiden können», erklärt Böttger. Seine Forschungsgruppe identifizierte anhand einer Reihe von Verbindungen, die an der ETH synthetisiert wurden, die 4’-Hydroxyl-Position in der molekularen Struktur der Aminoglykoside als jene Stelle, die angepasst werden muss, damit diese künftig nicht mehr irrtümlich am menschlichem Ribosom andocken. Sodann entwickelten die beiden Arbeitsgruppen ein Modell, wie die Struktur an dieser Stelle zu verändern sei.

Als entscheidend für den Erfolg erwies sich ein experimentelles Testsystem, das die Gruppe Böttger entwickelt hatte und das es erlaubte, aus den Hunderten von der Gruppe von Vasella synthetisierten Verbindungen die passenden zu identifizieren. «Die Ergebnisse sind ein schönes Beispiel, wie fruchtbar die Zusammenarbeit von Chemikern und Biologen an Universität und ETH Zürich sein kann», sagt Vasella. An der Arbeit waren ausserdem weitere international führende Forschungsgruppen beteiligt, so unter anderem jenes des Strukturbiologen Venkatraman Ramakrishnan am MRC Labatory of Molecular Biology im britischen Cambridge, der 2009 für seine Ribosomenforschung mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet worden war.

Die in dieser Arbeit entstandenen Antibiotika wirken viel zielgerichteter als ihre Vorgänger: menschliche Gehörzellen wurden durch den veränderten Wirkstoff kaum mehr geschädigt, während die antibiotische Wirkung gegen Krankheitserreger erhalten blieb, wie Versuche an mit Staphylococcus aureus infizierten Mäusen zeigten. Als nächster Schritt folgen nun toxikologische Untersuchungen, bevor es an die eigentliche Medikamentenentwicklung gehen kann, in der die Effektivität und die antibakterielle Potenz optimiert werden.

Medikamente aus den 1940er-Jahren

Die Antibiotikaklasse der Aminoglykoside wurde in den 1940er-Jahren entdeckt und ist sehr potent. In den vergangenen Jahrzehnten ist sie allerdings in den Hintergrund getreten. Das hat nicht nur mit Gehörschädigungen und einer (reversiblen) Schädigung der Nieren zu tun, die sie verursachen können, sondern auch mit der Verabreichungsform. Als neue Antibiotika auf den Markt kamen, die man ganz einfach als Pille schlucken konnte, verdrängten diese bald die Aminoglykoside, die intravenös gespritzt oder über eine Infusion gegeben werden müssen. In der Folge wurde ihre Weiterentwicklung in den 1980er-Jahren eingestellt.

Inzwischen sehen es Experten angesichts der immer weiter um sich greifenden Resistenzen jedoch als unumgänglich an, auf diese Antibiotikagruppe zurückzugreifen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat die Aminoglykoside in die Gruppe der Medikamente hochgestuft, die im Kampf gegen resistente und multiresistente Krankheitserreger von «entscheidender Bedeutung» sind. Einsatzgebiete sind zum Beispiel Herzklappenentzündungen oder multiresistente Tuberkulose.

Dies ist eine leicht gekürzte Fassung eines Artikels von UZH-News-Redaktor Thomas Müller, der zuerst auf externe SeiteUZH-News erschien.

Literaturhinweis

Perez-Fernandez D et al.: 4‘-O-Ssubstitutions determine selectivity of aminoglycoside antibiotics. Nature Communications, Online-Publikation 28. Januar 2014, doi: externe Seite10.1038/ncomms4112

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