Rohstoffhandel: Transitland Schweiz

Die Schweiz ist ein rohstoffarmes Binnenland – und dennoch Drehscheibe für den globalen Rohstoffhandel. Bereits im 19. Jahrhundert waren Schweizer Handelsfirmen weltweit tätig. Was nach langer Tradition aussieht, ist allerdings die Geschichte eines radikalen Wandels.

Vergrösserte Ansicht: Rohwaren für den globalen Markt: Verladen von Stückgut in Westafrika.
Rohwaren für den globalen Markt: Verladen von Stückgut in Westafrika. (Bild: Basler Mission / BM Archives / Bild-Nr. QQ-30.106.0007)

Seit jeher gewinnen die Menschen Rohstoffe, verarbeiten und handeln sie. Ganze Epochen wie die Bronze- oder die Eisenzeit hat man nach einem prägenden Rohstoff benannt. Doch erst ab dem späten 17. Jahrhundert wurde der Rohstoffhandel sukzessive «globalisiert». Es war die Zeit des Dreieckhandels: Europäische Schiffe fuhren an die afrikanische Westküste, wo man Tuchwaren, Glasperlen und Waffen gegen Sklaven tauschte, die man auf der anderen Seite des Atlantiks an Plantagenbesitzer verkaufte, um die Schiffe darauf mit Baumwolle, Getreide oder Zucker für die europäischen Märkte zu beladen.

Nach dem amerikanischen Sezessionskrieg (1861 bis 1865) und der Abschaffung der Sklaverei rückten Asien und Afrika als neue Rohstofflieferanten in den Fokus. Schnelle Eisenbahnverbindungen, Dampfschiffe und die aufkommende Telegrafie erlaubten es, grosse Mengen Baumwolle oder Getreide über weite Distanzen zu transportieren und Preise fast in Echtzeit zu übermitteln. Man begann, agrarische Rohstoffe nach Qualitätsgraden zu klassifizieren, und konnte sie so an Rohstoffbörsen handeln, noch bevor sie geerntet wurden.

Globale Arbeitsteilung

Als die europäischen Staaten im späten 19. Jahrhundert erneut Kolonien unterwarfen, war ein erklärtes Ziel, mit den neuen Territorien in Indien und Asien die Rohstoffbasis für die heimische Industrie zu sichern. Damit zementierte man die globale Arbeitsteilung: Bis heute baut vor allem der globale Süden die Rohstoffe mit billigen Arbeitskräften an oder ab, während die Industriestaaten sie verarbeiten und verbrauchen.

Ein Zug wird beladen.
(Bild: Basler Mission / BM Archives / Bild-Nr. QU-30.003.0065)

Angesichts der politischen Brisanz des globalen Rohstoffgeschäfts wissen wir erstaunlich wenig über die Firmen, die den physischen Handel abwickelten. Während Industriebetriebe tief im kollektiven Gedächtnis verankert sind, bleibt der Handel eigenartig unsichtbar. Dabei attestierte der Soziologe Georg Simmel dem «fremden Kaufmann» 1908 eine grosse Innovationskraft.  Nur der Handel sei fähig, in sich geschlossene Wirtschaftskreisläufe zu sprengen und zu erweitern. Der Händler, so Simmel, sei eine Art «Supernumerarius» – ein Überzähliger in einem Kreis, in dem die wirtschaftlichen Positionen eigentlich schon besetzt sind, und der sich seine Existenzgrundlage schafft, indem er neue Märkte herstellt.

Unsichtbare Intermediäre

Dass vor allem England und Frankreich, aber auch kleinere Kolonialmächte mit grossen Seehäfen wie Belgien und Holland, signifikant am globalen Zwischenhandel beteiligt waren, erstaunt wenig. Als man nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals die Handelsstatistiken der einzelnen Länder sammelte, um die Daten in eine grosse Welthandelsmatrix zu integrieren, figurierte aber auch die Schweiz unter den grossen Middlemen Countries. Der Transithandel durch die Schweiz war keine physische Durchfuhr, sondern so genanntes «offshore merchanting»: Schweizer Handelsfirmen kauften in Indien, Japan, Südostasien, Ägypten oder an der Goldküste Kolonialwaren und Rohstoffe ein und verkauften diese auf der ganzen Welt, ohne dass die Waren je in die Schweiz gelangten. Ein Grund für diesen helvetischen Rohstoffhandel war, dass die Schweiz wegen einem protektionistischen Europa ihre industrielle Revolution bereits im frühen 19. Jahrhundert auf Exportmärkte abstützte, die wir heute zur «Dritten Welt» zählen.

Radikaler Wandel

Die grossen Schweizer Handelshäuser der damaligen Zeit – Simonius Vischer, die Paul Reinhart AG, Volkart, André & Cie., Diethelm & Co. in Singapur oder SiberHegner – waren Familienunternehmen. Dass im Hintergrund eine schlagkräftige Kolonialmacht fehlte, schien diesen Firmen nicht abträglich zu sein, im Gegenteil. Während der Weltkriege kamen zwar viele Schweizer Handelshäusern auf schwarze Listen wegen Geschäften mit dem Feind. Unter dem Strich erwies sich die Neutralität aber als vorteilhaft. Erst mit der Dekolonisation, dem Ende des Kalten Kriegs und dem Strukturwandel ab den 1970er Jahren kamen viele der alten Transithandelsfirmen in Schwierigkeiten. Die Preise wurden volatil, die Risiken und der Fremdkapital-Anteil stiegen, und mit der Digitalisierung wurde Information, dieses wichtigste und streng gehütete Gut der Händler, demokratisiert. Zahlreiche Firmen diversifizierten in Bereiche, von denen sie wenig Ahnung hatten. Wer konnte, fusionierte. Viele gingen um die Jahrtausendwende ein.

Parallel zu diesem Niedergang liessen sich aber zunehmend ausländische Rohstoffhändler in der Schweiz nieder – vor allem in Zug und am Genfersee. Es lockten günstige Steuersätze, politische Stabilität und ein bereits existierender Dienstleistungssektor: Banken, Versicherungen und der Warenprüfkonzern SGS waren längst mit dem Geschäft vertraut. Was nach einer langen Tradition des Rohstoffhandels in der Schweiz aussieht, ist die Geschichte eines radikalen Wandels.

Lea Haller hat diesen Beitrag nach einem Vortrag verfasst, den sie anlässlich der Sonderausstellung «BodenSchätzeWerte» von focus Terra hielt. Die Ausstellung läuft noch bis am 20. November 2016.

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Lea Haller
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