Madagaskars neue Forschergeneration

In Madagaskar wächst eine junge Generation heran, die selbstständig an der Erforschung und dem Schutz der einzigartigen Biodiversität der Insel beteiligt ist. Ermöglicht wird dies durch Bildungsprogramme, die noch weit über die Teilnehmenden hinaus wirken.

Vergrösserte Ansicht: Malegassische Studierende
Eine junge Generation von Naturforschern wächst in Madagaskar heran. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten der Vahatra-Association tauschen sich regelmässig zu ihren Projekten aus. (Foto: Johannes Schmidt)

10.000 der weltweiten Pflanzen- und knapp 800 der Wirbeltierspezies existieren nur auf Madagaskar und jedes Jahr werden neue Spezies auf Madagaskar entdeckt (siehe auch [1]). Gleichzeitig schrumpfen die natürlichen Lebensräume von Pflanzen und Tieren auf der Insel ständig [2]. Viele – oft internationale – Initiativen und Organisationen versuchen, diesem Trend entgegenzuwirken und gemeinsam mit Madagaskars Bevölkerung nachhaltige Konzepte zum Erhalt dieses Biodiversitäts-Hotspots zu realisieren.

Naturschutzprojekte können nur auf Basis solider Kenntnisse des jeweiligen Ökosystems und seiner Schlüsselarten gerechtfertigt und sinnvoll definiert werden. Leider fand Feldforschung in Madagaskar lange Zeit ohne die Beteiligung von Malegassen statt. Als Träger, Guides, Helfer oder Köchinnen eines internationalen Forschungsprojektes erfuhren sie selten etwas über dessen Ergebnisse, welche an Universitäten und in Fachjournalen fernab Madagaskars und der malegassischen Bevölkerung publiziert wurden und dort Anerkennung oder sogar Ruhm erlangten. Echte Berührungspunkte mit der Bevölkerung fehlten.

Vergrösserte Ansicht: Lemur im Blätterdickicht
Um die einzigartige Tier- und Pflanzenwelt Madagaskars zu schützen, braucht es genaue Kenntnisse des Ökosystems. Lange waren Malegassen jedoch nicht an der Erforschung der Biodiversität ihrer Insel beteiligt. (Foto: Adrien Sifre / flickr CC BY-NC-ND 2.0)

Madagaskars Bildungssystem

Das staatliche Bildungssystem der Insel liefert eine schlechte Grundlage für malegassische Forscherinnen und Forscher. Der Schulzugang ist nach wie vor stark einkommensabhängig und nur etwa ein Viertel der Kinder und Jugendlichen besucht eine Sekundarschule [3,4]. Während in der Schweiz knapp 40 Prozent der Bevölkerung eine höhere Ausbildung absolvieren, besuchen nur etwa 5 Prozent aller Malegassen eine Institution für höhere Bildung. Darüber hinaus begünstigen verhältnismässig hohe Studiengebühren, Ausfälle von Infrastruktur und Lehrangeboten und die generell schlechten Studienbedingungen eine hohe Abbruchrate und sehr lange Studienzeiten [3,4], weshalb nur relativ wenige Studenten innerhalb eines sinnvollen Zeitraums zu einem Abschluss geführt werden.

Die Vahatra Association

Wie können Madagaskars Studenten trotz aller Hindernisse Anschluss an die internationale Forschungswelt erhalten? Die Vahatra Association in Antananarivo versucht sie dabei zu unterstützen [5]. «Vahatra» bedeutet Graswurzel auf malegassisch und spielt mit dem englischen Begriff des «grassroot movements», aber auch dem der eigenen Wurzeln. Die Organisation hat ein Bildungs- und Forschungsprogramm ins Leben gerufen, das malegassische Studenten in moderner biologischer Feldforschung ausbildet, sie auf Umweltschutzprobleme spezialisiert und gleichzeitig versucht, das Wissen um die malegassische Biodiversität, Ökologie und Evolutionsbiologie zu mehren und der malegassischen Bevölkerung zugänglich zu machen.

Vergrösserte Ansicht: Steven Goodman
Der geistige Vater der Vahatra-Association, Steven Goodman. (Foto: Johannes Schmidt)

Geistiger Vater des Programms ist Steven Goodman, ein weltbekannter US-amerikanischer Biologe, der mit seinen Arbeiten und Entdeckungen im Bereich der malegassischen Flora und Fauna Meilensteine setzte [6]. In den frühen 90ern startete er das «Ecological Training Program» (ETP) und führte malegassische Biologiestudenten in zweiwöchigen Feldexkursionen in aktuelle Feldforschungsmethoden ein. 2007 zog das Projekt Bilanz: Mehr als 75 Studenten hatten in Zusammenarbeit mit ETP einen Hochschulabschluss im Bereich Zoologie, Botanik oder Artenschutz erreicht, 250 Studenten hatten insgesamt von den Field Schools profitiert, knapp 500 wissenschaftliche Publikationen entstanden aus ihren Projekten und circa 50 neue Tierspezies wurden entdeckt.

Nach diesem Erfolg wandelte sich das ETP in die heutige Vahatra Association, und man erweiterte die Aktivitäten. Um die Forschungsergebnisse anschaulich zu dokumentieren und möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, veröffentlicht Vahatra regelmässig zoologische Führer und hat ein eigenes Fachmagazin namens «Malagasy Nature» gegründet. Auch ein zoologischer Atlas sowie eine im Internet frei zugängliche Biodiversitätsdatenbank [7] sind Ergebnisse dieser Bemühungen. Neben Field Schools und universitären Lehreinsätzen offeriert Vahatra ausserdem Stipendien für talentierte Studentinnen und Studenten, die von den Vahatra-Mitgliedern während ihrer Master-, Doktor-, oder PostDoc-Arbeit betreut werden. Ziel ist es, Madagaskars junge Forscher und ihre Veröffentlichungen auf internationales Niveau anzuheben und untereinander sowie mit der weltweiten Forschergemeinde zu vernetzen. Auch Forschende der ETH Zürich pflegen Kontakte mit Vahatra [8].

Botschafter für den Artenschutz

Zwar muss man sagen, dass es sich bei den durch Vahatra Geförderten um Universitätsstudenten handelt, die einer privilegierten Minderheit des Landes angehören. Dennoch zeigt das Programm, dass es sich lohnt, zukünftige Führungskräfte für Umweltschutzthemen zu sensibilisieren: Zahlreiche Alumni des Programms sind heute in höheren Regierungsstellen oder Non-Profit-Organisationen für den Artenschutz tätig und immer noch sehr gut untereinander vernetzt.

Auch wenn Vahatra nur eine Minderheit fördert, multipliziert sich der Effekt der Bemühungen um eine bessere Ausbildung malegassischer Forscher: Die Programm-Teilnehmer werden selbst zu Botschaftern für den Artenschutz. Im Rahmen des Projekts «Science for the People» besucht Vahatra Schulen und Dörfer, organisiert Diskussionsrunden, händigt Infomaterialien aus, lädt zu Dokumentarfilmen und Wissensspielen ein, um Wissen und Wertschätzung für die Biodiversität Madagaskars in die Bevölkerung zu tragen.

------------------------------------------------------

Melanie Weisser hat an der ETH einen Masterabschluss in Biologie gemacht und arbeitet seit 2011 als Doktorandin in Strukturbiologie am Institut für Molekularbiologie und Biophysik. Ihr Interesse an Wissenschaft im Spannungsfeld zwischen Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Entwicklung führte sie im Oktober 2014 gemeinsam mit einer Gruppe anderer Doktoranden und Studierenden nach Madagaskar. Im Rahmen einer dreiwöchigen wissenschaftlichen Reise konnte die Gruppe verschiedene Forschungsprojekte und Nachhaltigkeitsinitiativen vor Ort kennenlernen. Im ETH Zukunftsblog möchte sie Einblicke in diese Projekte geben.

Weiterführende Informationen

[1] Blogbeitrag: Lokales Küstenmanagement in Madagaskar

[2] Umweltprobleme in Madagaskar: externe SeiteWachsende Zerstörung (WWF)

[3] externe SeiteInformationen zum malegassischen Bildungssystem (Wikipedia)

[4] externe SeiteStatistiken zur malegassischen Ausbildungssituation von UNICEF

[5] Vahatra externe SeiteHomepage

[6] Porträt von Prof. Steven Goodman externe Seiteim Science Magazin

[7] Zugang zur externe SeiteRebioma Datenbank

[8] Madagaskar Symposium an der ETH (2013)

Zur Autorin

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert