Unter Druck – Weltraumforschung in unserer Zeit

In der Raumfahrtindustrie nimmt ein neues Paradigma Gestalt an, denn immer mehr unterschiedliche Länder und Einrichtungen zieht es ins All. Diese dynamische Landschaft schafft Wettbewerb und Potenzial für wissenschaftliche Kooperationen und birgt sowohl Herausforderungen als auch die Chance auf Fortschritte.

AAAS speakers
Thomas Zurbuchen, Michelle Hanlon und David Malaspina sprechen mit der Wissenschaftsjournalistin Nadia Drake über Weltraumforschung, Diversität in Kooperationen und ethische Grundsätze. Bild: Chris Cassidy (Hintergrund) / Josef Kuster, ETH Zürich (Montage)

In den letzten zehn Jahren ist in der Raumfahrt die Entstehung und Expansion eines kommerziellen Sektors zu beobachten, in dem neue, private Akteure technologische Herausforderungen angehen, die vom Weltraumstart über die Kommunikation bis hin zu Satellitenbildgebung der Erde reichen. Mit mehr als 2660* Satelliten, interplanetaren Sonden, Landern und vielen anderen Objekten, die in die Erdumlaufbahn bzw. ins All geschossen wurden, hat die weltweite Raumfahrtindustrie letztes Jahr einen wahren Höhenflug erlebt. In den USA war SpaceX für fast 90 Prozent dieser Starts verantwortlich. Parallel dazu ist die Zahl der Länder, die über Raumfahrtfähigkeiten verfügen, auf mehr als 70** gestiegen. Dies unterstreicht den allgemeinen Konsens und die Absicht, zugunsten der Menschheit weiterhin auf Aktivitäten im Weltraum zu setzen. Durch diese Entwicklungen entsteht für Forschende eine neuartige Landschaft des Wettbewerbs und der Kooperation, die sowohl Herausforderungen als auch Chancen bietet.

In einer zunehmend fragmentierten Welt ist die Wissenschaftsgemeinschaft ein Beispiel für erfolgreiche internationale Kooperation und Diplomatie. Die Wissenschaft stützt sich auf eine lange Tradition des Wissensaustauschs zum Nutzen der gesamten Menschheit, oft über politische Grenzen hinweg. Kostengünstige kommerzielle Raumfahrttechnologien können neuartige Forschungsvorhaben ermöglichen oder die Kosten für Studien senken und der Wissenschaftsgemeinschaft damit neue Möglichkeiten eröffnen. Gleichzeitig können internationale Partnerschaften für mehr Dialog, Diversität und Kooperation in Wissenschaft und Weltraumforschung sorgen. Dies mag wie ein «Win-Win»-Szenario erscheinen, doch während das Interesse der Wissenschaftsgemeinschaft dem offenen Austausch von Daten und Analysen gilt, stellen unterschiedliche Prinzipien und Ideale der verschiedenen Akteure potenzielle Konfliktfelder dar. In dem Masse, in dem Regierungen und private Einrichtungen kühne neue Projekte finanzieren, machen sich Spitzenkräfte in Politik, Akademie und Recht Gedanken über die daraus entstehenden Konsequenzen sowie die möglichen Perspektiven.

Führung unter Erfolgszwang und die Marslandung

«Wenn jede Mission für die Menschheit eine Premiere ist, steht sehr viel auf dem Spiel», sagt Thomas Zurbuchen, der so lange NASA-Wissenschaftsdirektor war wie niemand sonst und in dieser Funktion 54 Missionen geleitet hat. «Wenn die Uhr tickt und die Welt zuschaut, ist das wichtigste Kapital einer Führungskraft ein wirklich diverses Team», sagt er. Hierbei kann Diversität sich aus internationalen und kommerziellen Partnerschaften ergeben und zu neuen Missionen führen. Tatsächlich sind geschätzt bei zwei von drei wissenschaftlichen Missionen internationale Partnerschaften im Spiel.

Jetzt, als Leiter von ETH Zürich Space in der Schweiz, denkt Zurbuchen über den Wert von Partnerschaften als Führungsinstrument nach. Anhand von Beispielen aktueller internationaler Missionen wie Mars InSight erklärt er, wie Diversität Chancen dafür schafft, dass neue und andere Ideen auf den Tisch kommen – auch wenn manche Ideen ein gewisses Risiko bergen. Zudem spricht er einige Herausforderungen an, die sich aus Partnerschaften ergeben. So ziehen es manche Unternehmen und Länder vor, ihre im Weltraum gesammelten wissenschaftlichen Daten nicht weiterzugeben, was die Reproduzierbarkeit für wissenschaftliche Analysen erschwert. 

Grenzüberschreitende Diffusion – Lernen aus Blitzen auf der Venus

«Wissenschaftliche Ideen bewegen sich wie Weltraumplasmen», sagt David Malaspina, Weltraumplasmaphysiker an der University of Colorado Boulder. «Wenn sie auf Grenzen stossen, finden sie trotzdem einen Weg hindurch.» Malaspina bezeichnet internationale akademische Kooperationen als wichtigen Motor für Entdeckungen und schreibt der Sprache der Wissenschaft zu, dass sie dem Universum gegenüber ein Gefühl der Ehrfurcht und des Staunens fördert, das Kulturen transzendiert. In der Wissenschaft wie bei Plasmen ist die Physik im Grenzbereich am interessantesten.

Malaspina engagiert sich in internationalen und generationenübergreifenden Forschungsteams. Eines dieser Teams baut eine Höhenforschungsrakete, um die Schnittstelle zwischen Erde und Weltraum zu erforschen. Ein anderes Team, indem Malaspina mitwirkt, erforscht anhand von Daten der Parker Solar Probe die Venus, um die Bedeutung eines planetaren Magnetfeldes für die Bewohnbarkeit erdähnlicher Planeten zu verstehen. Er erklärt, wie Teams, die sich für die Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven einsetzen, dem wissenschaftlichen Fortschritt neue Möglichkeiten eröffnen.

Warum Stiefelabdrücke auf dem Mond schützen?

Im Gegensatz zu vorzeitlichen Fussabdrücken, Höhlenzeichnungen und Steinzeitwerkzeugen, die hier auf der Erde gefunden werden, sind die ersten Spuren menschlicher Aktivitäten auf dem Mond nicht durch bestehende Gesetze oder Vorschriften geschützt, auch nicht Neil Armstrongs Stiefelabdruck. Das ist absurd, findet Michelle Hanlon, Weltraumrechtlerin und Geschäftsführende Direktorin des Center for Air and Space Law an der University of Mississippi School of Law.

Hanlon erklärt, warum der Schutz historischer Stätten auf dem Mond und anderswo im Weltraum nicht nur die Vergangenheit bewahrt, sondern auch eine wichtige Grundlage für die Zukunft darstellt. Hanlon erforscht die rechtlichen Lücken im Weltraum und fragt insbesondere, inwieweit das Weltraumrecht unterschiedliche Verpflichtungen für wissenschaftliche und kommerzielle Aktivitäten sowie für staatliche und private Akteure vorsieht. Sie geht davon aus, dass in Bezug auf die Nutzung des Weltraums Recht, Ethik, Politik und Verträge einen immer höheren strategischen Stellenwert einnehmen werden, weil Länder Konflikte vermeiden wollen.

Quellen

*Edouard Mathieu and Max Roser (2022) - “Space Exploration and Satellites”, In: OurWorldInData.org. Abgerufen auf: 'externe Seitehttps://ourworldindata.org/space-exploration-satellites', letzter Zugriff 15. Februar 2024.

**Daten von: 'externe Seitehttps://worldpopulationreview.com/country-rankings/countries-with-space-programs', letzter Zugriff 15. Februar 2024.

Weitere Informationen

Der obige Artikel basiert auf der von der ETH Zürich organisierten Sitzung an der Jahrestagung 2024 der American Association for the Advancement of Science am 16. Februar 2024 in Denver, Colorado. (Die folgenden Inhalte sind nur auf Englisch verfügbar.)

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