Sollte man Weihnachtsgeschenke abschaffen?

Zwei ETH-Angehörige sprechen sich für beziehungsweise gegen die Abschaffung von Weihnachtsgeschenken aus. Was halten Sie von dieser Tradition? Diskutieren Sie in den Kommentaren mit der ETH-Community.

Pro

Illustration von Andreas Steingötter
Dr. Andreas Steingötter, Geschäftsführer des Centers EXCITE Zurich

Weihnachten steht vor der Tür, und ich freue mich darauf, die erweiterte Familie mal wiederzusehen und das gemeinsame Kochen und Essen zu zelebrieren. Bei uns ist die Weihnachtzeit eine schöne Familientradition. Doch kaum, dass die ersten Weihnachtsmärkte ihre Glühweinstände öffnen, nimmt leider auch das leidige Geschenkethema wieder Fahrt auf.

Auf allen Kanälen wird einem suggeriert, dass man schenken muss, sich etwas wünschen und etwas wollen muss. Keine Weihnachtsgeschenke im Gepäck zu haben, ist ebenso peinlich, wie keine Weihnachtsgeschenke bekommen zu haben. Für mich verkommt dabei die schöne und persönliche Geste des Zusammenseins und des Gebens zu einer gesellschaftlichen Notwendigkeit. Zu einer künstlich erzeugten, durch den Konsumwahn getriebenen Erwartungshaltung, derer man sich nur mit Mühe und Rechtfertigung entziehen kann. In Online-Shops und Kaufhäusern wird farbig glänzend der Überfluss zelebriert. Mir vergeht dabei die Lust am Schenken.

Der Sinn des Schenkens als Geste der Anerkennung und als Überraschung, um anderen eine Freude zu machen, scheint komplett ins Gegenteil verkehrt zu werden.

«Es kann doch nicht sein, dass wir uns verleiten lassen, diese schöne persönliche Geste auf bestimmte Tage im Jahr zu reduzieren.»Andreas Steingötter

Ich habe mich schon oft sagen hören: «Ja, das könnte ein schönes Weihnachtsgeschenk sein.» Dabei gibt es so viele andere und passendere Tage und Momente im Jahr, um jemandem mit einem Geschenk überraschend eine kleine oder grosse Freude zu bereiten.

Dem Geschenkewahnsinn zu Weihnachten ein Ende zu bereiten, hätte ausserdem den Vorteil, endlich den gesamten unsinnigen Plastikschrott, welcher sich in der Advents- und Weihnachtszeit anhäuft, zu reduzieren.

Ich freue mich auf Weihnachten. Auf die Reise mit wenig Gepäck zu Eltern und Geschwistern. Ob es dieses Jahr Weihnachtsgeschenke geben wird, kann ich noch nicht sagen. Auf alle Fälle schenke ich auch in Zukunft weiterhin dann, wenn meine Ideen und die Wünsche meiner Liebsten zusammentreffen – oder sich das Schenken für mich in dem Moment einfach richtig anfühlt. In diesem Sinne: eine geruhsame Weihnachtszeit!

Kontra

Illustration von Anthony Patt
Prof. Anthony Patt, Ordentlicher Professor am Departement Umweltsystemwissenschaften

Die historischen Wurzeln von Weihnachten liegen in der heidnischen Feier der Wintersonnenwende in Europa. Das Christentum knüpfte an dieses Fest an und deutete es zur Feier der Geburt Christi um. So kam es, dass verschiedene alte Bräuche erhalten blieben, etwa das Aufstellen von Bäumen im Haus und das Verteilen von Gaben. Wer heute weihnachtlichen Traditionen folgt, muss weder an heidnische Geister noch an die christliche Gottheit glauben, sondern nur bereit sein, sich die Zeit zu nehmen und die Mühe zu machen, Freude und Licht in die Welt zu bringen – in einer Zeit, in der es oft besonders dunkel und trist ist.

An andere zu denken und nicht nur Menschen im eigenen Umfeld zu beschenken, sondern auch für wohltätige Zwecke zu spenden, beschert uns positive Gefühle in einer Jahreszeit, in der Depressionen besonders häufig auftreten. In der psychologischen Literatur ist dieses Phänomen schon lange bekannt: Darüber nachzudenken und daran zu arbeiten, andere glücklich zu machen, statt nur sich selbst Wünsche zu erfüllen, ist der beste Weg, die eigene Stimmung zu heben. Die Harvard-Studie über die Entwicklung Erwachsener, in der Probanden seit 1938 begleitet werden, hat ergeben, dass die Pflege enger persönlicher Beziehungen den grössten Einfluss auf die Lebenszufriedenheit hat.

«Das Wertvolle an Geschenken sind das Planen und das Schenken selbst, nicht der spätere Konsum und Gebrauch»Anthony Patt

Das Wertvolle an Geschenken sind das Planen und das Schenken selbst, nicht der spätere Konsum und Gebrauch. Die besten Geschenke sind die mit den meisten Gedanken dahinter und die selbst gemachten, nicht die mit dem höchsten Preis. Von den Geschenken, die ich von meiner Frau erhalte, sind es die Bücher mit ihrer Widmung, die mir das ganze Jahr in Erinnerung bleiben. Sie hält darin fest, warum sie glaubt, dass dieses Buch mein Leben bereichern wird. Wenn ich diese Bücher Jahre später aus dem Regal ziehe, zeichnen ihre Widmungen nach, wie wir gemeinsam altern.

Für manche ist das Schenken Ausdruck des Konsumkults. Ich sehe darin das Gegenteil: eine Gelegenheit zur Achtsamkeit. Diese Achtsamkeit sollte sich auf unsere Beziehungen zu anderen richten, nicht auf die eigenen Wünsche. Das Schenken zur Wintersonnenwende gehört zu den menschlichen Traditionen, die unser Leben bereichern. Sie aufzugeben, wäre mehr als schade.

Dieser Beitrag stammt aus der aktuellen Ausgabe des ETH-​Magazins «life».

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