Energiewende 2.0

Die Energiewende tritt in eine neue Phase. Es geht nicht mehr nur um den Ausbau erneuerbarer Alternativen, sondern um das Überleben oder den Niedergang bislang dominierender Akteure und Technologien. Dieser Phasenübergang fordert Wirtschaft, Politik und Forschung.

Enlarged view: (Bild: Fotolia / were)
(Bild: Fotolia / were)  

23 Milliarden Euro. Soviel sollen die deutschen Betreiber von Atomkraftwerken in einen Fonds einbezahlen, der die Kosten für die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls dauerhaft tragen soll [1]. Alle womöglich darüber hinaus gehenden Kosten müsste der deutsche Staat tragen. Wenn dieser Deal zustande kommt, werden die langfristigen Entsorgungsrisiken, die auch nach dem Atomausstieg bestehen bleiben, sozialisiert, also von privaten oder halb-öffentlichen Unternehmen auf die Allgemeinheit übertragen. Das Beispiel zeigt, dass die Energiewende in eine neue Phase kommt: Den grossen Energieversorgern geht es inzwischen so schlecht, dass ihr Nachlass dringend geregelt werden muss.

Phase II

Während es in der ersten Phase der Energiewende um die Förderung und den Ausbau von alternativen Energiequellen wie Solar, Wind oder Biomasse ging, rückt nunmehr auch der Niedergang bestehender Technologien, Industrien und Unternehmen in den Fokus. Die grossen deutschen Energieversorger RWE, E.on, EnBW und Vattenfall kämpfen – ähnlich wie ihre Schweizer Pendants – seit Jahren mit sinkenden Einnahmen aus dem konventionellen Stromgeschäft auf der Basis von Atom, Kohle und Erdgas. Gleichzeitig haben sie den Einstieg in alternative Technologien und Dienstleistungen lange hinausgezögert. Heute haben sie drastisch an Wert verloren, und es ist unklar, ob oder wie sie überleben werden.

Dass Unternehmen verschwinden, gehört für andere Branchen wie etwa die IT zum Alltag. Für die Energiewirtschaft ist es eher neu. Konsumenten und auch die öffentliche Hand waren lange gewohnt, dass die Energieversorgung ausgesprochen stabil ist – auch was die Unternehmen betrifft. Mit der Liberalisierung und nun noch verstärkt durch die Energiewende wandelt sich der Sektor jedoch grundlegend. Und anders als in der IT-Branche ist die öffentliche Hand direkt gefordert: Zu wichtig ist die Stromversorgung für Gesellschaft und Wirtschaft, zu gross die Bedeutung der Infrastruktur und zu kapitalintensiv und langfristig die Investitionen.

Neu neben alt: der Energiesektor im Umbruch.
Neu neben alt: der Energiesektor im Umbruch. (Bild: Fotolia / ReinhardT)

Die Herausforderungen sind erheblich. Nachfolgend greife ich aus der Vielzahl von Themen drei Felder exemplarisch heraus, welche insbesondere in dieser zweiten Phase der Energiewende bedeutend sind.

Grundsatzfragen und gesellschaftlicher Dialog

Von der Genehmigung neuer Windparks über Vorschriften für effiziente Gebäudetechnologien bis hin zum Ausstieg aus der Atomkraft: Die Energiewende ist eng verbunden mit gesellschaftlichen Werten. Wie wichtig sind uns der Klimaschutz, der Schutz der Landschaft, eine sichere Versorgung oder die Unabhängigkeit vom Ausland? Welche Risiken sind wir bereit zu tragen, welche Rolle sollen die öffentliche Hand und die heimische Wirtschaft spielen, und wie zentral oder dezentral soll Energieversorgung in Zukunft sein?

Für diese grundsätzlichen Fragen gibt es keine eindeutigen Antworten. Auch nicht von Seiten der Wissenschaft. Antworten erhält man im Idealfall aus politischen und gesellschaftlichen Dialogprozessen. Angesichts der grossen Unsicherheiten und der Komplexität der Energiewende stellt sich – auch für die Schweiz – die Frage, inwiefern die etablierten politischen Prozesse überhaupt geeignet sind, langfristig verlässliche Ziele und gleichzeitig flexible Massnahmen für diese Transformation zu formulieren.

Eine der Schwierigkeiten ist beispielsweise der hohe Einfluss bestehender wirtschaftlicher Interessen. In den Niederlanden, einem der Vorreiter im Bereich von konsensorientiertem, sektoralem Wandel, ist das auf Partizipation ausgerichtete ’Transition-Management’ im Fall der Energiewende unter anderem an der Dominanz der etablierten Akteure gescheitert [2]. Und auch hierzulande versuchen Stromunternehmen durch gezieltes Lobbying, die Politik zu beeinflussen [3].

Unterschiedliche Entwicklungspfade

Es gibt nicht die Energiewende. Verschiedene Länder, Kantone und Gemeinden schlagen unterschiedliche Wege ein. Grossbritannien etwa setzt auch in Zukunft auf Subventionen für Atomkraft, während die Schweiz und Deutschland aussteigen wollen. Dabei ist a priori unklar, welcher Weg besser oder schlechter ist. Die Technikgeschichte hält hier zwei wichtige Erkenntnisse bereit: Das, was wir (heute) als das Beste betrachten, ist eine Frage von Werten und Prioritäten und damit Ergebnis eines sozialen Aushandlungsprozesses. Zudem setzt sich nicht einfach die beste Technologie im Sinne eines dominanten Designs durch, sondern oft diejenige, die früh von vielen Akteuren unterstützt bzw. angenommen wird.

Damit wird Vielfalt besonders wichtig. Denn dominante Designs können ein zweischneidiges Schwert sein. Während sie einerseits wünschenswert sind, um zügig die Kosten zu senken wie im Fall der Photovoltaik, können sie andererseits zu Lock-in Effekten führen und Alternativen frühzeitig ausschliessen. Wenn verschiedene Länder, Regionen und Gemeinden unterschiedliche Wege bei der Energiewende beschreiten, mag dies vielleicht als ineffizient erscheinen, es eröffnet aber gleichzeitig die Möglichkeit, unterschiedliche Ansätze zu erproben und voneinander zu lernen.

Wechselwirkungen und Komplementaritäten

Die Komponenten der Energieversorgung sind (technisch) stark vernetzt. So decken verschiedene Arten von Kraftwerken unterschiedliche Anforderungen (Grundlast, Spitzenlast) ab. Vor allem der Wasserkraft mit ihren Speichermöglichkeiten kommt traditionell eine wichtige Rolle zu: In Zeiten hoher Nachfrage kann sie flexibel zugeschaltet werden und damit die Versorgungssicherheit gewährleisten. Doch die ’eingespielten’ Technologiegefüge verändern sich. So konkurrenziert die Photovoltaik, die gerade zur Mittagszeit oft Höchstleistungen ins Netz einspeist, ausgerechnet die Wasserkraft. Betreiber wie BKW oder Axpo verdienen damit weniger am traditionellen Geschäft mit der Spitzenlast. Zudem kommt mit der Batterietechnologie weitere Konkurrenz im ’Speichermarkt’ auf.

Für Wirtschaft und Politik sind diese Veränderungen zentral. Es geht nicht nur darum, welche Technologien in Zukunft prioritär sein sollen, sondern vor allem auch darum, ob und wie sie komplementär mit anderen Technologien im Sektor zusammenspielen. Ist es sinnvoll, die Wasserkraft staatlich zu subventionieren, solange Grundlastkraftwerke wie Atom noch am Netz sind? Braucht es die Wasserkraft in Zukunft vielleicht umso mehr, wenn auch die Schweiz eines Tages viel PV-Strom erzeugen wird? Wie können Komplementaritäten auf Sektorebene auch im Zuge von Transitionen erhalten bleiben?

Fest steht: Die Energiewende pflügt die Branche um. Firmen, Technologien und Geschäftsmodelle, die noch vor wenigen Jahren als Fixpunkte galten, sind mittlerweile akut bedroht. Die grossen Stromversorger arbeiten derzeit mit Hochdruck daran, sich von ihrem traditionellen Kraftwerksgeschäft mit Atom und Kohle zu trennen. Ob das ihr Überleben sichert, bleibt ungewiss.

Weiterführende Informationen

Siehe auch diesen Blogbeitrag von Jochen Markard.

[1] Spiegel external pageOnline am 27.4.2016

[2] Kern, F., Smith, A., 2008. Restructuring energy systems for sustainability? Energy transition policy in the Netherlands. Energy Policy 36, 4093-4103.

[3] SRF external pageTagesschau vom 12.3.2016  

Zum Autor

JavaScript has been disabled in your browser