Epidemien im Keim ersticken

Die Wissenschaft hat das Potential, künftige Epidemien im Keim zu ersticken, sagt Tanja Stadler. Es braucht allerdings eine bessere Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Behörden.

Tanja Stadler

Nicht nur wir Menschen haben einen genetischen Code, den man entschlüsseln und analysieren kann, auch Krankheitserreger wie Viren und Bakterien haben einen solchen. Seit der Ausbreitung der HIV-Pandemie in den 1990er Jahren beschäftigt sich die Wissenschaft mit der Entschlüsselung des Bauplans von Pathogenen, und von Anfang an waren mathematische Analysen der genetischen Sequenzen zentral.

Zibra-Projekt
Im Zibra-Projekt, von dem Tanja Stadler Daten analysierte, testeten Wissenschaftler in Brasilien Proben auf das Zika-Virus. Sie nutzten dazu kleine, tragbare Geräte zur Sequzenzierung der genetischen Information des Erregers. (Bild: Ricardo Funari)

Mithilfe mathematischer Verfahren lässt sich untersuchen, wer von wem mit dem HI-Virus angesteckt worden sein könnte. Je ähnlicher die genetischen Sequenzen zweier Proben sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden zugehörigen Personen sich gegenseitig angesteckt haben. Schon früh wurden solche Analysen in Gerichtsverfahren angewandt, in denen Personen beschuldigt worden sind, andere absichtlich mit dem HI-Virus angesteckt zu haben1.

Tragische Berühmtheit erlangten fünf bulgarische Krankenschwestern und ein Arzt aus Palästina, welche in Libyen zum Tode verurteilt wurden, da sie angeblich Hunderte von Kindern absichtlich mit HIV angesteckt haben sollen. Die Analyse der genetischen Information zeigte jedoch, dass die Kinder schon lange vor Ankunft der Krankenschwestern mit HIV infiziert waren2. 2007 wurden die verurteilten Personen wieder freigelassen.

Übertragungswegen eines Erregers nachgehen

In den vergangenen Jahren wurden die Analyseverfahren stark weiterentwickelt. Es gibt neue, revolutionäre Technologien, mit denen die DNA-Sequenz sehr vieler Proben schnell und kostengünstig bestimmt werden kann. Mit der Sequenziertechnologie Minion, deren Geräte buchstäblich auf einer Handfläche Platz finden, können beispielsweise bei einer Epidemie in einem Entwicklungsland die Krankheitserreger gleich vor Ort sequenziert werden. Der Export von Blutproben über Landesgrenzen, welcher mit vielen logistischen und rechtlichen Hürden einhergeht, entfällt.

Auch die mathematischen und statistischen Methoden werden immer schneller und zuverlässiger. Mit meiner Gruppe bin ich in diesem Bereich tätig. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern entwickeln wir das Softwarepaket Beast weiter, mit dem Sequenzdaten analysiert und interpretiert werden können. Wir engagieren uns ausserdem, Wissenschaftler mit der Handhabung der Software vertraut zu machen. So initiierten wir jährlich stattfindende internationale Workshops3, in denen wir die Benutzung der Software unterrichten.

Dank der Fortschritte ist es heute nicht nur möglich, einzelne potenzielle Übertragungen eines Erregers zu betrachten – wie es beispielsweise in Gerichtsverfahren gemacht wird –, sondern den Übertragungswegen eines Erregers in einer ganzen Bevölkerungsgruppe nachzugehen. Mit entsprechenden Analysen und Simulationen können auch gesundheitspolitische Massnahmen wie Grenzschliessungen oder die Einstellung des Flugverkehrs auf ihren Effekt hin beurteilt werden.

Voraussetzungen für Echtzeitanalyse

Bereits während der Ebola-Epidemie in Westafrika in den Jahren 2013-20164 und der jüngsten Zika-Epidemie in Südamerika5 kamen die Minion-Technologie und die Beast-Software zum Einsatz. Das Zusammenspiel der Beteiligten funktionierte allerdings noch nicht reibungslos, und die Abläufe waren noch nicht eingespielt. Daher nahmen die Analysen eine gewisse Zeit in Anspruch.

«Die Weltgesundheitsorganisation müsste die Wissenschaftler unbürokratisch unterstützen.»Tanja Stadler

Wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten, wären jedoch auch Echtzeitanalysen möglich. Die Weltgesundheitsorganisation müsste die Wissenschaftler bei der Sequenzdatenerhebung unbürokratisch unterstützen, und die erhobenen Daten müssten unverzüglich allen Wissenschaftlern zur Nutzung bereitgestellt werden. Auch müssten die Wissenschaftler ihre Ergebnisse direkt den Gesundheitsbehörden kommunizieren, welche dann Massnahmen zur Eindämmung der Epidemie ergreifen könnten.

Im Hollywood-Thriller «Contagion» brauchen Wissenschaftler und Behörden sehr lange, um einem tödlichen und sich schnell weltweit ausbreitenden Krankheitserreger beizukommen. Mit guten mathematischen Analysen in Echtzeit und schnell ergriffenen, daraus abgeleiteten Massnahmen werden wir in Zukunft Epidemien hingegen hoffentlich im Keim ersticken können bevor sie sich zu einer Pandemie ausbreiten.

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