In die Welt der Moleküle eintauchen

Brandneue Technologie im Unterricht: Studierende begeben sich in eine «Mixed Reality» und lernen mit der HoloLens-Brille ein grundlegendes Prinzip von Proteinen.

Was von aussen wie eine futuristische Meditationsübung aussieht, ist in Wirklichkeit Teil der Lehrveranstaltung «Computer-Assisted Drug Design» von Gisbert Schneider, Professor für das gleichnamige Gebiet. Wobei die Wirklichkeit in diesem Fall zwei Komponenten hat – denn die Brille, welche die Studierenden tragen, vermittelt eine sogenannte Mixed Reality.

Wer durch die HoloLens sieht – so heisst die Brille von Microsoft – sieht nicht nur ganz normal die Möbel und Personen, die im Raum stehen, sondern gleichzeitig auch noch ein Hologramm im Raum. In diesem Fall ist dieses virtuelle Objekt ein Protein, das die Studierenden umrunden, erkunden und sogar durchschreiten können.

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Mixed Reality an der ETH: die neuen HoloLens-Brillen im Einsatz (Video: ETH Zürich)

Einsatz der HoloLens in Praktikum

Zum Einsatz kommen die Brillen in einem zweiwöchigen Blockpraktikum, in dem die Studierenden den ganzen Zyklus der Entwicklung eines Medikamentenwirkstoffs in geraffter Form mitmachen. In der ersten Woche steht Theorie auf dem Programm: «Die Studierenden lernen unter anderem, wie man mittels Screening in einem Katalog mit Millionen von Molekülen jene aussortiert, die aufgrund ihrer Form und Funktion mit einem bestimmten Protein interagieren können», erklärt Schneider. Am Ende der ersten Woche werden die Studierenden in Kleingruppen eingeteilt. Jede Gruppe ist nun eine virtuelle Firma, die einen Inhibitor für ein Protein entwickeln muss.

Die Studierenden machen zunächst selbst ein Screening und müssen sich aus den Molekülen, die sie finden, für eines oder zwei entscheiden. In der zweiten Woche gehen sie ins Labor. Sie synthetisieren das Molekül und testen es auf seine Aktivität. Am Ende der Woche müssen sie es als Firma verkaufen.

Struktur des Proteins verstehen

«Um ein geeignetes Molekül zu finden, müssen die Studierenden eine Vorstellung von der Oberfläche des Proteins haben, insbesondere von dessen Einbuchtungen, in welche das Molekül passen könnte», erklärt der Co-Kursleiter Jan Hiss. Diese Vorstellung zu entwickeln ist keine so einfache Sache. Die Oberfläche eines Proteins wird durch die Position der Atome definiert, aus denen es besteht. Die einzelnen Atome haben einen Van der Waals-Radius, der für jedes Atom spezifisch ist. Aus diesen Radien ergibt sich ein Kugelmodell des Proteins. «Wenn man nun beispielsweise ein Wassermolekül über dieses Kugelmodell des Proteins bewegt, entsteht eine neue Oberfläche. Deren Form hängt davon ab, wo das Wassermolekül hinkommt», erklärt Hiss das Prinzip der sogenannten «solvent accessible»-Oberfläche. Um dieses Prinzip anschaulich vermitteln zu können, setzt er die HoloLens ein, nachdem er den Studierenden die Theorie dazu vermittelt hat.

Ansicht Protein
Durch den Einsatz von HoloLens-Brillen ist ein Protein als virtuelles Objekt im Raum erlebbar. (Bild: ETH Zürich)

«Mit der HoloLens können die Studierenden quasi als Wassermolekül ins Protein eintauchen», beschreibt Hiss das Erlebnis. Sie können das Protein nicht nur anschauen, sondern die «solvent accessible»-Oberfläche auch selber erzeugen, indem sie das Wassermolekül als virtuelle Sonde über die Oberfläche des Proteins bewegen. So sehen die Studierenden, weshalb sie gewisse Stellen des Proteins nicht erreichen können.

Weitere Einsatzmöglichkeiten

Am Anfang dieses innovativen Lehrprojekts stand eine Ausschreibung zur Einreichung von Vorschlägen zum Einsatz von HoloLenses im Unterricht der Abteilung Lehrentwicklung und -technologie (LET) der ETH Zürich. Das LET konnte dank einer Spende von ETH-Alumnus Adrian Weiss zwölf dieser Brillen anschaffen, die zurzeit nicht nur in der Unterhaltungsindustrie, sondern überall in der Wirtschaft reissenden Absatz finden.

Da die Technologie noch brandneu ist und mit Anwendungen noch experimentiert wird, hat die Firma Afca angeboten, eine erste Applikation für den Lehrbetrieb zu entwickeln. Das von Hiss eingereichte Konzept überzeugte das LET, und so entwickelte Afca aufgrund von seinen Ideen die App, die auf den Namen Molegram getauft wurde.

Mit Molegram hat der Lehrbetrieb der ETH den ersten Schritt in die Welt der Mixed Reality gemacht. Weitere werden folgen. So haben in einem zweiten Projekt Geomatikstudierende selbst Apps für die HoloLens programmiert. Und das LET hat bereits wieder zu Projekteingaben aufgerufen.

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