Wenn der Zahn der Zeit im Innern nagt

Hält die Stahlbetonbrücke noch Jahre, oder hat bereits Korrosion eingesetzt? ETH-Wissenschaftler haben herausgefunden, dass bisher untersuchte Betonproben zu klein sind, um eine verlässliche Aussage über den Zustand des Stahlbetons zu treffen.

Vergrösserte Ansicht: Taminabrücke von unten
Die neue Taminabrücke von unten gesehen (Bild: flickr/Kecko/CC BY 2.0)

Im Juni dieses Jahres wurde die Taminabrücke nach vier Jahren Bauzeit eröffnet. Die Stahlbetonbrücke ist mit einer Länge von 475 Metern die grösste Bogenbrücke der Schweiz. Ein Bauwerk erstellt für viele Generationen, das nun jahrzehntelang Fahrzeuge sicher über die tiefe Schlucht von Pfäfers nach Valens bringt. Doch wie bei allen Infrastrukturbauten aus Stahlbeton, beginnt auch an diesem Werk der Zahn der Zeit von Anfang an zu nagen. Stahlbeton, das zeigen die Erfahrung sowie zahllose Studien weltweit, ermöglicht zwar architektonisch grossartige Bauten, doch setzen Umwelteinflüsse wie das CO2 der Atmosphäre und vor allem Tausalz dem Material zu. Über die Jahre dringen Chloride aus dem Salz in den Beton ein, bis diese schliesslich die Stahlbewehrung erreichen und die Armierungseisen anfangen zu rosten.

Um Schädigungen frühzeitig zu erkennen und Korrosion, also die Zerstörung des Stahls durch eindringende Chloride, zu verhindern, werden Stahlbetonbauten regelmässig überprüft. Eine grosse und immer wichtigere Arbeit, wenn man an all die Brücken, Tunnel und Gebäude denkt, die in den 1950er bis 1970er Jahren in der Schweiz aus Stahlbeton gebaut wurden.

Denn je älter die Bauten werden, desto höher ist das Risiko, dass der Bewehrungsstahl im Beton korrodiert. Durch den Einsatz von Tausalzen, die Brücken, Strassen und Tunnel im Winter eisfrei halten, steigt über die Jahre der Chloridgehalt im Beton, dessen Mischung aus Zement, Wasser und Gesteinsstücken von Natur aus alkalisch ist und dank seines hohen pH-Werts den Stahl in seinem Inneren eigentlich vor Rost und Korrosion schützt.

Praktisch ist nicht immer richtig

«Korrosion verursacht bis zu 90 Prozent der Schäden an Stahlbetonbauten», erläutert Ueli Angst, Professor am Institut für Baustoffe (IfB). «Und da immer mehr Bauten ein kritisches Alter erreichen, könnte deren Sanierung die Schweiz jährlich zwischen 5 und 20 Milliarden Franken kosten». Die Schweiz ist mit diesem kostspieligen Problem nicht allein. Die meisten Industrieländer stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Schliesslich ist Beton das weltweit am meisten verwendete, vom Menschen produzierte Material. In den USA wurde schon vor Jahren ermittelt, dass die Kosten durch Korrosion etwa bei 3 bis 5 Prozent des Bruttosozialproduktes liegen – indirekte Kosten durch Staus oder Produktionsausfälle nicht mitgerechnet.

Vergrösserte Ansicht: Korrosion
Korrosion an einer Stahlbewehrung: Hier fand unter dem Beton sogenannter Lochfrass statt. (Bild: ETH Zürich / Ueli Angst)

Mit Blick auf die hohen Kosten und die grosse Anzahl an Bauten ist es ausgesprochen wichtig, korrekt zu beurteilen, in welchem Zustand sich ein Stahlbetonbauwerk befindet und ob bzw. wann eine Sanierung nottut. Neben der visuellen Begutachtung und zerstörungsfreien Untersuchungsmethoden spielen bei der Beurteilung die Entnahme von Betonproben eine wesentliche Rolle, erläutert Bernhard Elsener, der sich in seiner Professur mit Korrosion und Lebensdauer von Baustoffen beschäftigt: «Im Labor wird die Chloridkonzentration in den Proben ermittelt. Überschreitet sie nicht nur nahe der Oberfläche, sondern bis in die tieferen Schichten des Betons hinein die kritische Schwelle von 0,4 Prozent bezogen auf das Zementgewicht, dann ging man bisher davon aus, dass bald Korrosion einsetzen könnte und eine Sanierung notwendig ist.»

Diese kleinen Proben von typischerweise 5 bis 20 Zentimetern sind praktisch, weil sie im Labor leicht zu handhaben sind. Eine aktuelle Studie der beiden ETH-Professoren zeigt jedoch, dass die Schlussfolgerungen aus den Untersuchungen in vielen Fällen falsch sind. «Wir haben bei unserem Forschungsprojekt Stahlbetonprüfkörper von unterschiedlicher Grösse untersucht und festgestellt, dass im Labor die korrosionsauslösende Chloridkonzentration in kleinen Proben deutlich höher ausfällt und grösseren Schwankungen unterliegt als bei grösseren Prüfkörpern», erklärt Angst.

Neue Formel – neuer Grenzwert

«Beton ist kein homogener Werkstoff. Der Grösseneffekt der Korrosion kann direkt durch diese Inhomogenitäten erklärt werden», erläutert Angst. «Nur die Analyse eines grösseren Probenstücks von beispielsweise einem Meter Länge ermöglicht eine realitätsnahe Beurteilung des Zustands.» Da dies aus praktischen Gründen schwierig ist, haben die beiden Baustoffexperten der ETH Zürich eine mathematische Formel entwickelt, die den kritischen Grenzwert einer bestimmten Probegrösse in eine beliebige andere Grösse umrechnen lässt – und damit den bislang fixen kritischen Grenzwert von 0,4 Prozent ersetzt.

Die Ergebnisse der ETH-Studie betreffen aber nicht nur Laboruntersuchungen von Betonproben. Die Erkenntnisse wirken sich auch auf den Einsatz von Sensoren aus, die zur Überwachung von Korrosion in Stahlbetonbauten eingebaut werden. Diese Sensoren sind meist klein und lieferten dadurch eventuell zu optimistische Daten. Für präzisere Aussagen seien mehr oder grössere Sensoren notwendig.

Um künftig Schäden durch Korrosion ganz zu vermeiden, bleibe, so die Wissenschaftler, ansonsten nur die Alternative auf teureren, hochlegierten Stahl für Bauten umzusteigen. «Dieser kostet etwa zehnmal so viel wie normaler Bewehrungsstahl», sagt Elsener, «doch mit Blick auf die Folgekosten durch regelmässige Inspektionen und Sanierungen könnte er auf die Dauer günstiger sein». Zumal zunehmend Mischzemente mit noch wenig bekannten Dauerhaftigkeitseigenschaften verwendet werden um den CO2-Ausstoss zu verringern.

Literaturhinweis

Angst UM, Elsener B: The size effect in corrosion greatly influences the predicted life span of concrete infrastructure. Science Advances (2017) doi: externe Seite10.1126/sciadv.1700751

Einführungsvorlesung

Die Einführungsvorlesung «Die Korrosion unserer Infrastruktur» von Professor Ueli Angst findet am 1. November 2017 um 17.15 Uhr im Auditorium Maximum, Hauptgebäude der ETH Zürich, statt.

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