Alltag auf einer ungewöhnlichen Forschungsreise

Die Akademik Treshnikov fährt dank gutem Wetter und fehlendem Packeis zum Mt. Siple an der Ross-Meer-Küste, bevor die zweite Etappe der Expedition zu Ende geht. Iris Thurnherr  berichtet von Alltagsroutinen und Ausnahmesituationen während ihres dreimonatigen Aufenthalts auf dem Forschungsschiff.

Vergrösserte Ansicht: Forschungsschiff im ewigen Eis
Der Eisbrecher liegt vor dem Vulkan Mt. Siple. (Bild: Brieuc Delbot / ACE Expedition)

Nach 14 Wochen auf der Akademik Treshnikov könnte man meinen, unsere Forschungsfahrt rund um den kalten Kontinent sei genauso monoton wie die ewig eisige Landschaft und das raue Meer, das uns umgibt. Tatsächlich ist vieles alltäglich geworden: Jeden Morgen rufe ich den neusten Wetterbericht von unseren Kolleginnen an der ETH ab, täglich kontrolliere ich die Geräte für unsere Messungen, nachmittags gibt es ein Work-out auf dem Helideck, regelmässig starten wir die Wetterballone, und abends überprüfe ich, ob im Labor alles gut befestigt ist.

Vergrösserte Ansicht: Seehund
Seehunde im Meer. (Bild: Matteo Bernasconi / ACE Expedition)

Doch langweilig ist unser Expeditionsalltag nicht. Vielmehr beschert er uns laufend Sinneseindrücke und Erlebnisse, welche die Routine unterbrechen: Während der zweiten Etappe unserer Forschungsfahrt wechselt die Umgebung allmählich von dunkelblauem Ozean zu hellblauem Eis; statt Regen fällt Schnee. Da sind die Eisberge mit ihren wechselnden Blautöne und skurrilen Formen, die episch-langen Sonnenuntergänge, welche die Eis- und Schneelandschaft in ein mystisches Licht tauchen, die schnatternden Pinguine und trägen Seehunde auf vorbeitreibenden Schollen – all das fasziniert immer wieder von Neuem.

Schneeflocken fangen auf windigem Deck

Und dann gibt es immer noch unsere Forschung, die den Wasserkreislauf des südlichen Ozeans untersuchen will (siehe Beiträge in ETH-News und Zukunftsblog). Zusammen mit zwei Kolleginnen der Universität Aveiro in Portugal und Brown University in den USA, die den Einfluss des Niederschlags auf den Salzgehalt im Ozean studieren, sammle ich nun also Schneeflocken, um später im Labor das Verhältnis der Wasserisotope in den Proben zu messen.

Vergrösserte Ansicht: Schneeflocken vergrössert
Flocken von antarktischem Schnee. (Bild: Noé Sardet / Parafilms, EPFL)

Leichter gesagt als getan – Schneeflocken in genügender Menge einzufangen ist nämlich um Einiges schwieriger als Regentropfen zu sammeln. Wind und Fahrt des Schiffs wirbeln die luftigen Flocken ständig umher – statt ruhig auf Deck zu fallen, fliegen sie auf einmal quer und steigen der Schiffsflanke entlang hoch. Wir versuchen dennoch, die Flocken einzeln aus der Luft zu erhaschen. Sind wir erfolgreich, offenbaren sich uns die vielseitigen Formen dieser filigranen Kristalle: Sie wechseln ihr Antlitz von Fall zu Fall und nehmen selbst innerhalb eines Schneefallereignisses die unterschiedlichsten Strukturen an. Solche Beobachtungen lockern die oft langen Sammelperioden auf.

Wissenswert ist, wann es schneit

So flatterhaft die Flocke, so wenig fassbar der Schneefall. Denn auch dieser ist viel schwieriger vorherzusagen als Regen. Stundenlang studiere ich den Wetterbericht und versuche irgendwie auszumachen, wann der Schnee einsetzen wird, um dann doch wieder mitten in der Nacht überrascht zu werden. Zum Glück helfen meine beiden Kolleginnen mit, die Witterung ständig zu überwachen, um möglichst kein Ereignis zu verpassen.

Später brüte ich erneut über der Wettervorhersage – übermüdet und leicht verzweifelt versuche ich diesmal abzuschätzen, wann der Schneefall endlich stoppt, da er nun seit 36 Stunden anhält, und meine Kräfte langsam schwinden. In solchen Momenten hilft ein Blick auf die vielen Flaschen mit den geschmolzenen Schneeproben; ich denke an die wertvollen Einblicke in den Wasserkreislauf des südlichen Ozeans, die sie versprechen – und halte wieder motiviert Ausschau nach aufziehendem (oder abklingendem) Schneefall.

Auch Schön-Wetter ist meteorologisch spannend

Zugegeben: Ich bin froh, dass wir seit einigen Tagen sonniges, ruhiges Wetter haben, so dass ich mich vom Schneesammel-Marathon erholen kann. Aber auch diese Zeit ist meteorologisch interessant: Die trockene Luft aus der Antarktis lässt Wasser verdunsten, wenn sie über das Südpolarmeer strömt. Diese Verdunstung können wir im Wasserdampf anhand der Isotope messen. Den Prozess vor dem geistigen Auge blicke ich über das weite Meer und suche jungen Dampf in der Atmosphäre, doch meine Sicht bleibt ungetrübt. Erst wenn die Wassermoleküle zu feinen Tröpfchen kondensieren und sich daraus Quellwolken bilden, wird das Wasser wieder sichtbar.

Besuch beim Berg Siple

Vergrösserte Ansicht: Pinguine auf Eisscholle
Pinguin-Kolonie am Fuss des Mt. Siple. (Bild: Noé Sardet / Parafilms, EPFL)

Das gute Wetter erlaubt uns, ausserplanmässig an der Siple-Küste zu halten, dem zentralen Teil der antarktischen Küstenlinie vor dem Ross-Meer. Die Landschaft wird durch den über 3000 Meter aufragenden Mt. Siple dominiert – ein noch kaum erforschter Vulkan. Normalerweise ist die Küste durch Packeis versperrt, doch derzeit ist sie zugänglich. So erhalten die 22 Projekte an Bord die Möglichkeit, spontan Proben zu nehmen: Von Eisbohrkernen und Schnee über Moos bis zu Insekten ist alles des Sammelns wert. Einige Forschende zählen die Pinguinpopulationen, andere untersuchen die Lebewesen am Boden des Meeres.

Am letzten Abend an der Siple Coast geht der Vollmond rosa leuchtend hinter dem Mt. Siple auf. Sein Licht taucht das Eis in sanfte Töne und zeigt die wärmende Schönheit dieser kargen, kalten Weltgegend.

Vergrösserte Ansicht: Sonnenuntergang in der Antarktis
Sonnenuntergang an der Siple-Küste. (Bild: Noé Sardet / Parafilms, EPFL)

Ein bewegter Blick zurück

Drei Monate auf dem Schiff sind eine lange Zeit. Ich bewundere alle Kolleginnen und Kollegen, die nach Punta Arenas weiter auf der Akademik Treshnikov bleiben, um die dritte und letzte Etappe der Forschungsfahrt zu bestreiten. Meine Tage an Bord sind jedoch gezählt. Wehmütig denke ich daran, dass diese spannende Reise bald für mich endet. Selten habe ich das Wetter so genau beobachtet, jeden Regen- und Schneefall hautnah miterlebt, mich über ausschlagende Messgeräten gefreut – oder geärgert. Noch nie habe ich in so kurzer Zeit so viele inspirierende Menschen getroffen und meine Grenzen derart intensiv gespürt.

Serie zur Expedition rund um die Antarktis

Vergrösserte Ansicht: Reiseroute
Der Routenplan. (Grafik: ACE Expedition)

Die Forschenden der Antarctic Circumpolar Expedition (ACE) des Swiss Polar Institute (SPI) haben Punta Arenas, Chile, erreicht und damit die zweite Etappe der Umrundung abgeschlossen. Nun bricht der russische Eisbrecher «Akademik Treshnikov» zur dritten Teilstrecke auf, die von Chile nach Kapstadt führt. Die ETH-Forschenden an Bord berichten im Zukunftsblog von ihren Erfahrungen.

Weitere Informationen finden Sie unter externe SeiteSwiss Polar Institute, externe SeiteACE Facebook , externe SeiteACE Twitter, externe SeiteSchiff-Tracker.

Zur Autorin

Iris Thurnherr

Iris Thurnherr

Doktorandin in der Gruppe Atmosphärendynamik (Prof. Heini Wernli), ETH Zürich

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