«Wir brauchen eine Dezentralisierung des Internets»

Tim Berners-Lee hat als Vater des World Wide Web unser Leben massgeblich verändert. Obwohl seine Erfindung ein durchschlagender Erfolg war und sich das Internet ungeahnt rasant entwickelt hat, ist er mit der heutigen Situation alles andere als zufrieden.

Tim Berners-Lee
Tim Berners-Lee gastierte im Rahmen des Worldwebforum Next Generation an der ETH Zürich. (Bild: Andreas Bucher / ETH Zürich)

Er ist eine Ikone des Internets, und sein Name fasziniert auch junge Menschen, die sich eine Welt ohne World Wide Web gar nicht mehr vorstellen können: Sir Tim Berners-Lee, der «Vater des World Wide Web», wie ihn ETH-Präsident Lino Guzzella bei seiner Begrüssung nannte, gastierte am Mittwochmorgen im Rahmen des Worldwebforum Next Generation an der ETH Zürich. Vor dem vorwiegend jungen Publikum zeichnete er nach, wie sich das Internet aus seinen Anfängen bis heute entwickelt hat und warum ihn diese Entwicklung heute frustriert.

Eine Welt ohne Grenzen

Er gehöre zu einer glücklichen Generation, meinte der Brite gleich zu Beginn, denn er habe die Computerentwicklung von ihren Anfängen bis heute miterleben können. Seine Eltern, beide Programmierer, seien damals in den 1950er-Jahren fasziniert gewesen, welche ungeahnten Möglichkeiten sich mit Computern eröffnen würden. Auch wenn die Träume von früher heute weitgehend Alltagsrealität sind: Die Vision, Grenzen zu sprengen und mit Hilfe von elektronischen Geräten, Dinge zu schaffen, die vorher undenkbar schienen, ist immer noch aktuell.

Er selbst hat später am Cern in Genf massgeblich dazu beigetragen, die Möglichkeiten der Computerwelt zu erweitern. Am Cern entwickelte er 1989 das bahnbrechende Konzept des World Wide Web, mit dem er die Türe für eine völlig neue Ära öffnete. Seine Erfindung führte in den folgenden Jahren zu einer regelrechten gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung: Jedermann konnte nun seine eigenen Webseiten ins Netz stellen und mit anderen Menschen irgendwo auf der Welt kommunizieren. Informationen waren plötzlich frei zugänglich, der Kreativität schienen keine Grenzen mehr gesetzt und Institutionen, die den freien Meinungsaustausch behinderten, konnten umgangen werden.

Gegenteil der ursprünglichen Idee

Heute stellt Berners-Lee sichtlich ernüchtert fest, dass von dieser Aufbruchsstimmung nicht mehr viel zu spüren ist. Die meisten Menschen würden nicht mehr aktiv das Internet weiterentwickeln, indem sie beispielsweise eigene Webseiten ins Netz stellen, sondern sich zunehmend nur noch auf bestimmten Plattformen bewegen, wo sie sich mit Ihresgleichen austauschen. Soziale Netzwerke wie Facebook hätten zu einer Zentralisierung des Internets geführt, also gerade zum Gegenteil der ursprünglichen Idee.

Diese Zentralisierung sei jedoch äusserst problematisch, wie sich gerade im letzten Jahr gezeigt habe: Indem Facebook definiert, was wir in unserem Stream sehen, prägt es unsere Gedanken und letztlich auch unsere Gefühle. Und dies wird ausgenutzt: Im Gegensatz zu Twitter, wo alle alles sehen, kann man bei Facebook Menschen viel gezielter (politisch) beeinflussen – zum Teil eben auch mit bewussten Falschinformationen. Der Internetpionier plädierte denn auch dezidiert dafür, das Internet wieder zu dezentralisieren und die heutigen Strukturen aufzubrechen.

Wie es sich denn anfühle, in einer Welt zu leben, die man mit seiner Erfindung selber erschaffen habe, wurde Berners-Lee zum Schluss von einem Studenten gefragt. «Ich habe das Internet zwar erfunden, aber erschaffen haben es andere», relativierte er seine Rolle. «Und ihr werdet hoffentlich auch einen Beitrag leisten, damit es sich weiterentwickeln wird.»

Worldwebforum

Das Worldwebforum Next Generation ist Teil des externe SeiteWorldwebforums, das diese Woche in Zürich stattfand. An diesem jährlichen Anlass diskutieren führende Köpfe und Pioniere über aktuellen Themen rund um die Digitalisierung. Die ETH Zürich war als Mitorganisatorin mit von der Partie und organisierte am zweiten Tag eine Spezialsession zum Thema maschinelles Lernen.

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