Widriger Wind auf der Île de la Possession

Auf ihrer Forschungsfahrt rund um die Antarktis besuchen Iris Thurnherr und Pascal Graf einige subantarktische Inseln, die isoliert im südlichen Polarmeer einzigartige Ökosysteme beheimaten. Die Forschenden sammeln Proben, um den Wasserkreislauf besser zu verstehen.

Vergrösserte Ansicht: Pinguine auf der Île de la Possession, im Hintergrund das Forschungsschiff «Akademik Treshnikov».
Pinguine auf der Île de la Possession, im Hintergrund das Forschungsschiff «Akademik Treshnikov». (Bild: Florian Brucker / ACE Expedition)

Heute ist ein besonderer Tag. Es ist der 31.12.2016, der letzte Tag des Jahres. Wir warten ungeduldig – im Gegensatz zur Besatzung des russischen Forschungsschiffs «Akademik Treshnikov» aber nicht auf die bevorstehende Silvesterparty, sondern auf unseren Helikopterflug zur subantarktischen Île de la Possession. Diese gehört zu den Crozetinseln im südlichen Indischen Ozean (siehe Kasten).

Seit langem bereite ich mich darauf vor und freue mich riesig. Pascal Graf (siehe seinen Blogbeitrag) und ich haben Karten studiert, alle Flaschen zum Probensammeln beschriftet und unsere Kleidung innen und aussen genauestens untersucht, um keine fremden Tier- oder Pflanzenarten einzuschleppen. Wir wissen, wie die Helikoptertür unter Wasser geöffnet werden kann, falls wir ins Meer stürzen, und kennen den Wetterbericht in- und auswendig.

Übers Wasser statt durch die Luft

Nun warten wir bereits seit zwei Stunden. Die Helikopter starten nicht, da der Wind zu stark ist. Viele Teams wollen auf die Insel. Alle sitzen ungeduldig in der engen Kaffee-Ecke. Hier vermischen sich Zweckpessimismus und aufgestaute Energie. Etwas habe ich auf dem Schiff unterdessen gelernt: Wenn so viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, entstehen sehr schnell Gerüchte. So auch an diesem Morgen: Es würden Abklärungen gemacht, ob wir mit den Schlauchbooten zur Insel übersetzen könnten, heisst es. Die Inselverwaltung hat uns das Landen mit Schlauchbooten nur in Ausnahmefällen erlaubt. Ist dies nun eine dieser Ausnahmen?

Eine Viertelstunde später folgt die Bestätigung: Wir können mit den Schlauchbooten übersetzen. Nach drei Stunden Warten und Bangen herrscht endlich wieder reger Betrieb auf dem Schiff. Ich hole meinen Trockenanzug aus der Kabine, bekomme eine Schwimmweste und kann zusammen mit Pascal und Nicolas, einem Meeresforscher, Richtung Île de la Possession abfahren.

Vergrösserte Ansicht: Bei der Übersetzung zur Insel herrscht hoher Wellengang.
Bei der Übersetzung zur Insel herrscht hoher Wellengang. (Bild: Florian Brucker / ACE Expedition)

Das Meer ist unruhig. Der Wind peitscht das Wasser stellenweise über die Meeresoberfläche. Es spritz eiskalt über den Bug. Glücklicherweise kommt das Ufer schnell näher. Das Schlauchboot landet sanft auf dem Strand, welcher uns seinerseits unsanft empfängt – der Wind bläst die Sandkörner so kraftvoll über den Strand, dass wir fiese Nadelstiche spüren (und noch Tage später Sand in den Haaren finden). Doch endlich sind wir auf der Insel!

Widrige Bedingungen

An Land begrüsst uns Caspar, ein Wissenschaftler der lokalen Forschungsstation. Er wird uns durch die Seenlandschaft führen. Schon jetzt ist klar, ein Spaziergang wird das nicht. Die subantarktische Meeresluft strömt uns immer noch heftig um die Ohren. Statt eines Sonnenbrandes müssen wir eher mit «Kälte-Verbrennungen» aufgrund des starken Windes rechnen. Wir haben drei Stunden Verspätung, also los!

Doch so einfach geht das nicht. Zum einen erfahren wir, dass es nicht genügend Schneeschuhe für Pascal, Nicolas und mich gibt. Diese brauchen wir, um abseits der Pfade die Pflanzen und den Boden nicht zu stark zu verletzen. Zum anderen teilt uns die nächste Ladung Forschender vom Schiff mit, dass keine weiteren Schlauchboote an Land fahren werden, da Wind und Wellengang mittlerweile zu stark sind. Dies stellt einige Teams vor grosse Schwierigkeiten, weil noch nicht alle Mitglieder und alles notwendige Material zur Probenentnahme auf der Insel sind. So nah am Ziel, und doch so weit davon entfernt.

Mit Teamgeist gelöst

Vergrösserte Ansicht: Seenlandschaft auf der Île de la Possession.
Seenlandschaft auf der Île de la Possession. (Bild: Florian Brucker / ACE Expedition)

Wir finden zum Glück eine Lösung: Nicolas und ich gehen die Wasserproben gemeinsam sammeln, während Pascal am Strand den anderen Teams hilft. So lassen wir die Pinguinkolonie am Strand hinter uns und wandern durch eine Sumpflandschaft in einem ebenen Tal. Die Schneeschuhe fühlen sich seltsam an, doch bin ich dankbar um sie, denn ohne würde ich knietief im Boden einsinken.

In einer Ebene stossen wir auf viele Seen. Einer liegt etwas abgeschieden auf 100 Meter über Meer und eignet sich wunderbar für unsere Zwecke. Die Wasserproben gleichmässig auf allen Rücken verteilt, erreichen wir drei Stunden später wieder den Strand und haben sogar noch Zeit für ein Foto mit den Pinguinen. Zum Glück weht der Wind nun etwas schwächer, und alle kommen heil aufs Schiff zurück – rechtzeitig zur Silvesterparty.

Vergrösserte Ansicht: Iris Thurnherr mit einer Pinguin-Kolonie auf der Île de la Possession.
Iris Thurnherr mit einer Pinguin-Kolonie auf der Île de la Possession. (Bild: Holly Pearson / ACE Expedition)

Fürs Leben gelernt

Die Inseltage sind eine herausfordernde und sehr lehrreiche Zeit. Die Zusammenarbeit auf der Insel – sowohl mit den Guides als auch unter uns Forschenden – klappt sehr gut. Es ist eindrücklich zu erfahren, wie sich die Expeditionsteilnehmenden trotz unterschiedlicher Projekte gegenseitig helfen, damit alle ihre Ziele erreichen.

Serie zur Expedition rund um die Antarktis

Vergrösserte Ansicht: Reiseroute Kartenübersicht
Der Routenplan. (Grafik: ACE Expedition)

Die Forschenden der Antarctic Circumpolar Expedition (ACE) des Swiss Polar Institute (SPI) befinden sich mit dem russischen Eisbrecher «Akademik Treshnikov» aktuell auf der ersten Teilstrecke der Antarktis-Umrundung, die von Kapstadt nach Hobart, Tasmanien, führt. Die ETH-Forschenden an Bord berichten im Zukunftsblog von ihren Erfahrungen.

Weiterführende Informationen zur Expedition finden Sie unter externe SeiteSwiss Polar Institute, externe SeiteACE Facebook , externe SeiteACE Twitter, externe SeiteSchiff-Tracker.

Zur Autorin

Iris Thurnherr
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