Kernkraft: Quo vadis?

Die Schweizer Elektrizitätskonzerne, insbesondere die Betreiber der Kernkraftwerke, sind in schlechter wirtschaftlicher Verfassung. Wie auch immer die Atomausstiegsinitiative ausgeht, die Finanzierung von Rückbau und Entsorgung läuft auf eine staatliche Verteilungsfrage hinaus.

Vergrösserte Ansicht: Luftbild AKW Leibstadt
Das Kernkraftwerk Leibstadt. (Bild: Wikimedia / Hansueli Krapf)

Die Geschichte der Kernkraft ist seit jeher stark politisch geprägt. In ihren Anfangszeiten galt sie als Symbol des technologischen Fortschritts und Garant für wirtschaftliche Stärke sowie energiepolitische Unabhängigkeit. Sie wurde dementsprechend stark staatlich gefördert, mit Unterstützung über alle Parteien hinweg. Seither hat sich das Bild geändert.

Kernkraft im Kriechgang

Der (mittelfristige) Atomausstieg ist eine beschlossene Sache. Dennoch stimmen wir diesen Monat über ein gesetzlich vorgeschriebenes Stilllegungsdatum für alle Schweizer Kernraftwerke ab. Für den Fall einer Annahme drohen die Betreiber dem Bund mit Schadensforderungen in Milliardenhöhe. [1] Unabhängig vom Abstimmungsresultat stellt sich die Frage, in welcher Form insbesondere die Axpo und Alpiq in 10 bis 20 Jahren noch existieren. Den beiden grössten Schweizer Elektrizitätskonzernen geht es wirtschaftlich schlecht. Hauptgründe sind die tiefen Preise auf dem verzerrten europäischen Elektrizitätsmarkt, unrentable Investitionen sowie ein fehlendes Endkundengeschäft. Die Kernkraftwerke selbst rentieren momentan kaum noch. Die Alpiq hat erst kürzlich ihre Anteile an Gösgen und Leibstadt anderen Energiefirmen als Geschenk angeboten. [2] Das wurde abgelehnt.

Sicherheit als Glaubensfrage

Die Kernkraft hat volkswirtschaftlich gesehen noch nie ihre gesamten sozialen Kosten gedeckt. Profitiert die Kohle aktuell von zu tiefen CO2-Preisen, so tut dies die Kernkraft beispielsweise durch nicht versicherte Risiken eines atomaren Unfalls. Sie stellt für die kleine Schweiz, im Gegensatz zu grossen Ländern, eine Art «all in»-Risiko dar. Dieses Risiko zu berechnen ist kaum möglich, es handelt sich faktisch um die Multiplikation von null mal unendlich: Zwar ist die Eintretenswahrscheinlichkeit ziemlich klein, der Schaden jedoch wäre immens, auch weil immaterielle Güter wie unsere «Heimat» betroffen sind. Ob die Schweiz ein solches Risiko eingehen soll, ist daher auch eine Glaubensfrage.

Zukunft: ungewiss

Glauben kann man auch an die Wirtschaftlichkeit der Kernkraft, oder eben nicht. Betrachtet man die erwarteten Marktpreise für die kommenden zehn Jahre, so ist fraglich, ob die bestehenden Kernkraftwerke ihre Fixkosten – von einem betriebswirtschaftlichen Standpunkt gesehen – decken können. Erneuerungsinvestitionen dürften vermehrt als unrentabel erscheinen. Gerade bei Beznau 1, wo der Deckel des Druckbehälters aufgrund von Einschlüssen ausgewechselt werden musste, bezweifle ich, ob dieses je wieder ans Netz gehen wird: Da es auch Einschlüsse im Mantel gibt, muss die Axpo allenfalls auch diesen ersetzen, was faktisch einer Stilllegung aus Kostengründen gleichkäme.

Was stilllegen kostet

Die Kernkraftwerksinhaber sind gesetzlich dazu verpflichtet, die radioaktiven Abfälle auf eigene Kosten sicher zu beseitigen. Dazu äufnen sie zwei unabhängige Fonds, den Stilllegungs- sowie den Entsorgungsfond. Laut durch das ENSI beglaubigte Schätzungen aus dem Jahr 2011 kostet die Stilllegung der fünf Schweizer KKWs und des Zentralen Zwischenlagers rund 2.97 Milliarden Franken. [3] Weltweit gibt es aber wenig Erfahrungswerte dazu. Deutschland etwa rechnet mit deutlich höheren Beträgen. [4] Momentan werden die Schweizer Schätzungen aktualisiert. Ende 2015 betrug das angesammelte Stilllegungsfondskapital rund 2 Milliarden Franken. Die geschätzten Kosten für die Entsorgung der Betriebsabfälle und Brennelemente belaufen sich total auf knapp 16 Milliarden. Davon sind 9.7 Milliarden bereits gedeckt respektive in Form laufender Entsorgungskosten schon beglichen. Insgesamt stehen also noch gut 6.3 Milliarden der momentan geschätzten Kosten aus.

Too big to fail

Ein wesentlicher Teil der Fondsbestände sollte durch Zinseinnahmen erst noch erwirtschaftet werden. Die niedrigen Zinsen und tiefen Strompreise erschweren es den Konzernen aber, die Fonds weiter zu äufnen. Gelingt es ihnen nicht, die notwendigen Gelder für den Rückbau der Kernkraftwerke rechtzeitig aufzutreiben, droht der Konkurs. In diesem Fall würde wohl aus moralischen Gründen und Sicherheitsbedenken der Bund einspringen. Die Hauptteilhaber von Axpo und Alpiq, die Kantone und Städte, sind sich dessen bewusst. Sie haben ihre Beteiligungen teilweise zu Nennwerten in den Büchern stehen. Für sie wäre der wirtschaftliche Schaden deshalb vergleichsweise gering, mit Ausnahme von eventual entgangenen Dividenden, von denen man in der Vergangenheit stark profitierte.

Eine Frage der Verteilung

Fest steht: Die Kosten der Kernkraft wird schliesslich die Schweizer Bevölkerung bezahlen. Man kann sich nun fragen, wie diese Rechnung in bestem Sinne verteilt, sprich sozialisiert wird: Über Steuereinnahmen oder Strompreise? Während Steuern progressiv wirken (wer mehr hat, bezahlt mehr), haben Preiserhöhungen insbesondere bei der Elektrizität regressiven Charakter (wer weniger hat, bezahlt relativ gesehen mehr). Letzteres hätte aber den Vorteil, dass primär diejenigen bezahlen, die auch die Energie beziehen.

Weiterführende Informationen

[1] externe SeiteBeitrag im Tagesanzeiger 

[2] externe SeiteBeitrag Sonntagszeitung

[3] Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat externe SeiteENSI 

[4] externe SeiteBericht SRF

Zum Autor

Thomas Geissmann
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