Startklar für den Cybathlon

Über 70 Teams aus 25 Ländern gehen morgen Samstag beim Cybathlon an den Start. Mit viel Hightech im Gepäck, voller Vorfreude und Anspannung reisen sie nach und nach an. Neben einem Sieg hoffen die Teilnehmenden vor allem darauf, dass die Assistenztechnologie bald noch besser wird.

Eines nach dem anderen treffen sie ein. Die Teams, die morgen Samstag beim Cybathlon an den Start gehen. Techniker, Entwicklerinnen, Professoren, Physiotherapeutinnen und natürlich die Piloten selbst. Selbst zwölf Stunden im Flugzeug können sie nicht schrecken – obwohl für viele der querschnittgelähmten Teilnehmenden die Anreise im Rollstuhl eine körperliche und logistische Herausforderung bedeutet. Hinzu kommen die hochtechnischen Assistenzgeräte im Gepäck der Teams. Erst lange nach der Landung kommen die Teams aus den Türen der Gepäckhalle in den Ankunftsbereich des Flughafen Zürich, wo sie von freiwilligen Helfern in Empfang genommen und zum Hotel gebracht werden. Insgesamt 74 Freiwillige sind für den Fahrdienst im Einsatz; rund 600 beim gesamten Cybathlon.

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Silvio Stucki empfängt Cybathlon Piloten am Flughafen Zürich. Drei Tage wird Silvio Stucki für den Cybathlon als Freiwilliger tätig sein. (Video: ETH Zürich)

AUSVERKAUFT! Für alle, die kein Cybathlon Ticket mehr ergattert haben:

Egal ob Sie mit oder ohne Rollstuhl anreisen, kommen Sie mit Ihren Angehörigen und Freunden am Samstag in den Stadtsaal Schluefweg, in unmittelbarer Nähe des Stadions. Ab 10:00 organisieren wir dort ein Public Viewing, bei dem Sie ein abwechslungsreiches, von einem Regisseur live zusammengestelltes TV-Bild vom Cybathlon bis zum Ende der Veranstaltung verfolgen können. Der Public Viewing Bereich ist auch mit Rollstuhl gut zugänglich. Zusätzlich stehen Ihnen und Ihren Begleitpersonen auch ohne Einlassticket Attraktionen ausserhalb des Stadions zur Verfügung, wie die PluSport Ausstellung über die Technik und Geschichte verschiedener Hilfsmittel sowie der Outdoorbereich „Let’s Fätz“ für Klein und Gross.

«Ich bin zum ersten Mal in Europa», erzählt Mark Clayton Daniel, Pilot vom Team IHMC aus Florida. Als 18-jähriger Lernender war er auf der Heimfahrt von seinem Arbeitsplatz vor Müdigkeit eingeschlafen und von der Strasse abgekommen. Sein Fahrzeug überschlug sich sieben Mal, er wurde herausgeschleudert und wachte querschnittgelähmt im Krankenhaus auf. Jetzt, mit 29 Jahren, ist er durch viel Sport wieder super fit und freut sich auf den Wettkampf. «Er geht bis an seine Grenzen und darüber hinaus», erzählt Peter Neuhaus, IHMC-Projektleiter.

Erst am 8. August, also auf den Tag genau zwei Monate vor dem Cybathlon, hat Daniel seine ersten Schritte im Exoskelett gewagt. Inzwischen bewegt er sich souverän, wenn auch bedingt durch die Technik, noch ein wenig roboterhaft – wie Neuhaus stolz in einem Video auf seinem Handy zeigt. Damit das hochtechnische Exoskelett am Samstag für den Cybathlon startklar ist, hat das IHMC-Team aus Wissenschaftlern und Studierenden des Institutes for Human & Machine Cognition gleich nach der Ankunft im Hotel in Kloten mit dem Zusammenbau begonnen. «Das Hotelzimmer ist unser neues Labor», scherzt Neuhaus, während sein Team die Einzelteile auf einem Hotelbett zusammensetzt. Gleich kofferweise haben sie Zubehör und Ersatzteile dabei.

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Das Team IHMC aus Florida baut im Hotel das Exoskelett auf. Trotz Jetlag macht sich das Wissenschaftsteam IHMC sofort daran, ihr Exoskelett zusammenzusetzen. (Video: ETH Zürich)

Ist die Ausrüstung unversehrt angekommen?

Auch das EMA-Team aus Brasilien hat sich gleich nach der Ankunft an den Zusammenbau ihres Fahrrades im Zimmer von Pilot Estevão Carvalho Lopes gemacht. Sie wollen sichergehen, dass es den Transport gut überstanden hat. Lopes ist seit einer Schussverletzung, die er 2011 als Fussgänger durch eine Schiesserei zwischen Dealern auf offener Strasse erlitt, an den Rollstuhl gefesselt. Davon einschränken lassen will sich der Anwalt und Fitnesstrainer jedoch nicht. «Ich war seit dem Unfall bereits in Europa – in den Niederlanden, Deutschland und auch in der Schweiz», erzählt er. Für den Cybathlon ist er in Topform. «Wir haben ihn aus 40 Kandidaten als Piloten wegen seiner körperlichen Fitness und seiner Einstellung ausgewählt», erzählt Emerson Fachin-Martins, klinischer Leiter des EMA-Teams. Die Pedale des Fahrrads kann Lopes mithilfe elektrischer Muskelstimulation treten. Trotz Querschnittslähmung sind dadurch die Beinmuskeln super trainiert und auch die Knochendichte bleibt so erhalten, erläutert Fachin-Martins.

Ähnlich fit präsentieren sich die beiden amerikanischen Piloten vom Team Cleveland. Auch sie werden beim Fahrradrennen mit elektrischer Muskelstimulation teilnehmen; wer von beiden antritt, entscheidet sich kurzfristig. Obwohl beide schon deutlich über 50 sind, rollen Michael McClellan und Mark Muhn schwungvoll ins Hotel.

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Ankunft der Cybathlon Piloten: Team Cleveland ist begeistert. Eine wunderschöne Zeit wollen die zwei Freunde und Rollstuhlathleten Mark Muhn und Michael McClellan bei der Ankunft in der Schweiz erleben. (Video: ETH Zürich)

Noch auf der Fahrt vom Flughafen ins Hotel haben sie vom Fahrer erste deutsche Wörter wie «Grüezi» und «Auf Wiedersehen» gelernt. Reisen, inklusive Flugreisen, sind für sie normal. Beide wohnen in Kalifornien und sind für das Training und die Entwicklung ihres Fahrrads für den Cybathlon regelmässig im fünf Flugstunden entfernten Ohio an der Case Western Reserve University und dem Cleveland Veterans Affairs Medical Center. Sie sind die einzigen Piloten, deren Muskeln über Implantate stimuliert werden. Muhn demonstriert stolz: Ein Knopfdruck und das Bein hebt sich, als sei er nicht gelähmt.  «Schon zwei Wochen nach seinem Skiunfall 2009 sind wir mit den Kindern in den Urlaub nach Florida geflogen», erzählt Mark Muhns Ehefrau Carol, die ihn zum Wettbewerb begleitet. «Wir wollten uns trotz seiner Rückenmarksverletzung in unserem Leben nicht einschränken lassen», sagt sie. «Nur die Planung ist jetzt halt ein wenig komplizierter».

Wie bewährt sich der Rollstuhl im Wettkampf?

Auch das Team RT-Movers aus Japan ist im selben Hotel unterkommen. Nur der Rollstuhl, mit dem sie beim Cybathlon antreten werden, kommt erst am folgenden Tag an. Shuro Nakajima ist voller Anspannung, dass seine Erfindung es unbeschädigt in die Schweiz schafft. Er ist an der Wakayama Universität als Professor im Bereich Maschinenbau tätig und hat ursprünglich mobile Roboter entwickelt, deren Technik er nun auf Mobilitätslösungen für Menschen übertragen hat. «Ich wollte etwas Nützliches für die Menschheit schaffen», erzählt er. In seiner Heimat sei der Glaube an den Nutzen von Technik sehr hoch. Das beginne schon im Kindesalter mit den roboterhaften Helden in den Mangas. Nakajima ist sehr gespannt, wie sich sein Rollstuhl im Wettkampf bewähren wird. Neben einem möglichen Sieg erhofft er sich vom Cybathlon aber auch viele Kontakte und den Austausch mit anderen Forschern und Erfindern.

Ähnlich geht es den anderen Teams. «Wir hoffen, dass unsere Arbeit bekannter wird», sagt Peter Neuhaus vom Team IHMC. Emerson Fachin-Martins von EMA aus Brasilien erklärt: «Ich möchte herausfinden, wie wir Menschen durch den Einsatz von Fahrrädern mit Muskelstimulation helfen können». Und auch Mark Muhn und Michael McClellan nehmen teil, damit die Technik zum Nutzen von Menschen mit Behinderung weiter Fortschritte macht. Gelingt das, das merkt man beim Gespräch mit allen, ist der Sieg nur das Tüpfelchen auf dem «i».

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