In diesem Jahr fliege ich nicht

Viele kennen diesen Zielkonflikt, doch als Umweltwissenschaftler lastet er besonders schwer: Flugreisen ermöglichen Forschenden internationalen Austausch und Projekte zu drängenden Problemen vor Ort, schädigen aber Klima und Umwelt – ein klassisches Dilemma. Es zu lösen, bedeutet Verzicht und Kreativität. Ein Selbstversuch.

Vergrösserte Ansicht: Flugzeug mit Carbon Footprint
(Bild: Colourbox)

An der UNO-Klimakonferenz im Dezember in Paris haben sich die 195 teilnehmenden Staaten auf das Ziel geeinigt, die Klimaerwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Nach diesem historischen Durchbruch gilt es nun, die politischen Ziele umzusetzen. Der globale CO2-Ausstoss muss innerhalb weniger Jahrzehnte vollständig gestoppt werden. [1] Dafür sind radikale Veränderungen nötig, im Grossen wie im Kleinen, und zwar jetzt. Deshalb habe ich mir vorgenommen: in diesem Jahr fliege ich nicht.

Im Strudel der Globalisierung

Es hat langsam begonnen mit meiner Fliegerei. Bis Ende Studium sass ich nie in einem Flugzeug und hatte auch keinen Führerschein. Das war damals, zumindest für einen Studenten der Umweltwissenschaften, nicht aussergewöhnlich. 15 Jahre später habe ich beruflich die Erde mindestens zehn Mal umkreist, fliege regelmässig auf andere Kontinente und besitze Fahrausweise von drei Ländern. Das ist heutzutage ebenfalls nichts Aussergewöhnliches, gerade in den Umweltwissenschaften.

Seit den 1990-er Jahren hat sich das häufige Reisen in ferne Länder wie von selbst ergeben – es ist inzwischen allseits akzeptiert und gehört zum Alltag. Umweltwissenschaftler aber stehen vor einem Dilemma: Fliegen ist nicht ökologisch und passt gleichzeitig perfekt zu diesem Beruf, der vom Drang, Neues zu entdecken, und vom Gedankenaustausch mit Gleichgesinnten aus unterschiedlichen Kulturen lebt.

Eine kreative Herausforderung

Vergrösserte Ansicht: Kondensstreifen
(Bild: Colourbox)

In diesem Jahr werde ich also in kein Flugzeug steigen. Das wird nicht einfach sein, bin ich doch weiterhin für internationale Projekte verantwortlich. Ich habe bereits mehrere Einladungen für Vorträge abgelehnt und werde Verpflichtungen in einigen Gremien absagen müssen. Und ich weiss von interessanten Möglichkeiten für neue Projekte in verschiedenen Ländern. Ohne hinzufliegen, werden sich diese kaum ergeben.

Aber gerade weil es nicht einfach wird, interessiert es mich. Auf das Fliegen zu verzichten ist für mich heute ein Abenteuer, so spannend wie in den Anfängen das Fliegen selbst. Denn ich muss erfinderisch sein. Und das nicht nur, um gute Ausreden zu erfinden (dass ich nicht fliege, weil es dem Klima schadet, dürfte kaum als Entschuldigung gelten). Ich muss auch neue Arbeitsformen entwickeln. Vielleicht akzeptiert man mein Angebot, Vorträge an Tagungen per Skype zu halten. Das hat in der Vergangenheit auch schon funktioniert. Für die Forschungspartnerschaft der ETH auf den Seychellen [2] planen wir virtuelle Arbeits- und Unterrichtsformen. Das internationale Bergprojekt MIREN [3] kann uns als Vorbild dienen. Ich koordiniere es seit zehn Jahren fast nur von zu Hause aus.

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Die Pariser Konferenz war ein Höhepunkt der Glaubwürdigkeit und Symbolkraft der Klimawissenschaften. Die Staatengemeinschaft verpflichtete sich auf einen fundamentalen gesellschaftlichen Umbau, obwohl nur wenige Experten die komplexen Klimamodelle verstehen: Man hat der Problemanalyse der Wissenschaft vertraut.

Nun treten wir aber in eine neue Phase, in welcher es nicht mehr darum geht, Probleme zu erkennen, sondern sie zu lösen. Eine neue Form von Glaubwürdigkeit und Fakten ist gefragt. Ab jetzt werden Wissenschaftler daran gemessen, ob sie ihre Forderungen nach radikalen Lösungen selber erfüllen können. Dafür ist das Fliegen ein gutes Testfeld. Es ist unwahrscheinlich, dass sich der Flugverkehr in den nächsten Jahrzehnten durch neue Technologien CO2-neutral gestalten lässt. Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft dürfen wir uns ohnehin nicht allein auf neue Technologien verlassen; es braucht auch Verhaltensänderungen und soziale Innovationen. [4]

Mein Vorschlag: Ein Kontingent für Flüge der ETH

CO2
(Bild: Fotolia)

Sollte daher die ETH die Flüge ihrer Mitarbeitenden und Studierenden begrenzen? Ich denke ja. Das wird zwar nicht einfach, birgt aber interessante Chancen: Die ETH könnte ihre Innovationskraft demonstrieren und sich ihre Glaubwürdigkeit sichern. Hier können wir aufzeigen, dass ein ökologischer Umbau einer Institution tatsächlich möglich ist. Die ETH wird selbst zum Experiment.

Denkbar wäre beispielsweise, im Jahr 2016 die Flüge gegenüber dem Referenzjahr 2015 um 10 Prozent zu reduzieren, in 2017 um 20 Prozent und bis 2020 um 50 Prozent. Danach könnte man sukzessive weiter reduzieren, um im Jahr 2040 noch etwa 10 Flüge pro Jahr für die gesamte ETH zu erreichen.

Wer macht mit?

Ich bin überzeugt, wir werden erfinderisch sein. Wir werden Kriterien für sinnvolles Fliegen bestimmen und neue Formen der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit entwickeln. Vielleicht werden sich auch neue Forschungsschwerpunkte ergeben, zum Beispiel ein verstärkter Fokus auf die Schweiz als Modellgebiet für eine gesellschaftliche Transformation hin zu einer klimafreundlichen und nachhaltigen Zukunft?

Auf jeden Fall werde ich gegen Ende 2016 in diesem Blog über meine Erfahrungen mit dem Nicht-Fliegen berichten. In der Zwischenzeit freue ich mich auf eine angeregte Diskussion.

Eine leicht gekürzte Fassung dieses Textes erschien als Gastbeitrag in der Print-Ausgabe des Tagesanzeigers (13.02.2016).

Weiterführende Informationen

[1] Blogbeitrag Vision Null 

[2] www.seychelles.ethz.ch  

[3] www.miren.ethz.ch

[4] Zu viele verschiedene Ressourcen werden übernutzt: Land, Biodiversität, Böden, Wasser und nicht-erneuerbare Bodenschätze aller Art. Und zu viele Menschen warten darauf, am hohen westlichen Ressourcenverbrauch teilzunehmen. Zudem braucht es Zeit, bis neue Technologien zu gut funktionierenden Lösungen werden; unter anderem weil dies auch eine Anpassung sozialer Systeme erfordert (siehe diesen Blogbeitrag).

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