Die ETH Zürich nimmt Abschied von Jakob Nüesch

Während seiner Präsidentschaft von 1990 bis 1997 prägte der Pharmaforscher mit agrarwissenschaftlichem Hintergrund die ETH Zürich nachhaltig. Jakob Nüesch ist am 4. Februar 2016 in seinem 84. Lebensjahr verstorben.

Vergrösserte Ansicht: Jakob Nüesch
Jakob Nüesch vertrat die Vision einer modernen, offenen Hochschule, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst ist. (Bild: Bildarchiv ETH-Bibliothek)

Jakob Nüesch kam von aussen, doch mit seinen in der Basler Pharmaindustrie gewonnenen Erfahrungen steuerte er die ETH Zürich sicher und visionär zugleich in die Zukunft.

Begonnen hatte Jakob Nüesch seine akademische Karriere an der ETH Zürich, wo er Agrarwissenschaften studiert hatte. Nach seinem Abschluss als Ingenieur-Agronom war er als Assistent am Institut für Spezielle Botanik tätig und doktorierte 1960 mit einer Arbeit in Phytopathologie und Mykologie. 1961 begann er seine wissenschaftliche Tätigkeit in der Pharmaforschung in den Bereichen Mikrobiologie und Biotechnologie der damaligen Ciba AG, in der er bis 1990 eine sehr erfolgreiche Karriere durchlief.

In dieser Zeit entwickelte und unterhielt er enge Kontakte mit der Universität Basel, an der er 1972 habilitiert wurde. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Privatdozent am neu gegründeten Biozentrum der Universität Basel wurde er dort 1978 zum ausserordentlichen Professor ernannt. Auf den 1. September 1990 wählte der Bundesrat Jakob Nüesch, der inzwischen bei Ciba-Geigy zum Leiter Pharmaforschung und Mitglied des Direktoriums aufgestiegen war, zum Präsidenten der ETH Zürich.

ETH-Autonomie und Nachhaltigkeit

Aus der pharmazeutischen Industrie brachte Jakob Nüesch Managementerfahrung mit, die er auf seine ganz besondere Art einsetzte, um die ETH stärker in Richtung einer «Entrepreneurial University» zu entwickeln. Eine umfassende Bildung gepaart mit grossem Fachwissen liess ihn schnell zu einem akzeptierten Gesprächspartner werden. Die Klarheit seines Argumentes und Zielgerichtetheit in der Sache brachte ihm zwar gelegentlich Gegner ein, nie jedoch Feinde.

Vielleicht sein grösster Erfolg auf politscher Ebene war es, die Autonomie der ETH Zürich zu sichern. Damit wurde die Umsetzung seiner Vision einer modernen, offenen Hochschule, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst ist, möglich. Jakob Nüesch war zudem zutiefst überzeugt, dass Nachhaltigkeit ein globales Anliegen sein muss und dass die Wissenschaft dazu einen wichtigen Beitrag liefern kann.

Frauenförderung und Interdisziplinarität

«Die Zukunft beginnt im Kopf», hiess sein Leitsatz, mit dem er sich an die ganze ETH – von den Professorinnen und Professoren über die Angestellten bis zu den Studierenden – wandte. Dabei war Jakob Nüesch als Person immer authentisch. Er war er selbst, spielte niemals eine Rolle, wenn er mit gutem Beispiel voranging. So auch im Bereich der Frauenförderung. Er berief in seiner Amtszeit 23 Professorinnen an die ETH, darunter die heutige ETH-Rektorin Sarah Springman. Dabei war für ihn immer selbstverständlich, dass die hohe Leistungsfähigkeit der ETH wesentlich von hervorragenden Mitarbeitenden abhing. Nüesch ordnete systematische Peer Reviews an und begann die Professorenschaft gezielt jünger und weiblicher zu gestalten.

Seine Offenheit machte Jakob Nüesch zum Mittler zwischen Institutionen und Disziplinen und liess ihn mutige Entscheide treffen. Das heutige Collegium Helveticum, ein Thinktank der Transdisziplinarität mit Adolf Muschg als erstem Leiter, verdankt ihm seine Entstehung. Entscheidend verbunden ist sein Name aber mit der visionären Umgestaltung eines Bereichs, der als Umweltnaturwissenschaften bekannt wurde und die Überwindung disziplinärer Grenzen auf seine Fahnen schrieb. Die damalige Einbindung studentischer Initiativen ist bis heute beispielhaft.

Der Grandseigneur

Jakob Nüesch überzeugte nicht nur als Umgestalter der Hochschule, sondern auch durch seine Persönlichkeit. Anlässlich eines runden Geburtstags wurde er einmal folgendermassen charakterisiert: «So ein Mensch wie Jakob Nüesch würde im Gebrauch der neuen Lingua franca wohl ‹Facilitator› genannt werden. Wir bevorzugen einen altmodischeren Ausdruck: Grandseigneur. Der Ausdruck bezeichnet einen Menschen, der nicht nur den technischen Aspekt des ‹Ermöglichens› vor Augen hat, sondern der in seiner ‹breiten Natur› Genussfreudigkeit, Sprachvielfalt, Lebensklugheit, Toleranz und Zuneigung mit Unnachgiebigkeit in der Sache, hohem Anspruch an die Person, Gerechtigkeitsempfinden und Geschäftsintelligenz zu verbinden weiss.»

Gesellschaftlich engagiert

Nach seinem Abschied aus dem Präsidium im Jahre 1997 verfolgte Jakob Nüesch seine Philosophie unbeirrt weiter. Er engagierte sich als «Milizionär» in vielen Organisationen, die sich der nachhaltigen Entwicklung, der Wohltätigkeit oder der bürgerlichen Partizipation widmen. Auch hier ging er mit gutem Beispiel voran. Die Mitgliedschaft im Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, IKRK, in der Eidgenössischen Ethikkommission oder sein Engagement beim Aufbau der Academia Engelberg sind Beispiele seines breiten Engagements.

Die ETH verdankt ihm viel. Jakob Nüesch hat entscheidende Weichen gestellt. Alle, die das Privileg hatten, ihn zu treffen und mit ihm ein Wegstück zu gehen, werden sein Wirken und seine Persönlichkeit nicht vergessen.

Ähnliche Themen

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert