Weiche Roboter für adaptive Gebäudefassaden

Gebäudefassaden sind heute meist statisch und passen sich kaum wechselnden Bedingungen an. Am frisch eingeweihten House of Natural Resources kommt nun erstmals eine anpassungsfähige Fassade zum Einsatz. Sie kann Strom produzieren und Lichteinfall sowie Wärmebildung regulieren.

Vergrösserte Ansicht: Adaptive Solar-Fassade
Die adaptive Solarfassade hängt an der Südseite des House of Natural Resources. (Bild: Marco Carocari)

Für den Energiehaushalt von Gebäuden ist deren Hülle von grosser Bedeutung. In den letzten Jahren wurde insbesondere die Wärmedämmung und die Luftdichtigkeit verbessert. Doch es gibt für die Energiewende ein wichtiges und bisher noch zu wenig genutztes Potenzial: Gebäudehüllen, insbesondere die Fassaden, eigenen sich, um Wärme und Strom zu gewinnen.

Starre Struktur wird dynamisch

Die Fassade als Grenze zwischen Innen- und Aussenraum beeinflusst massgeblich den Luft-, Licht- und Wärmehaushalt eines Gebäudes – und damit direkt den Komfort der Nutzer. Sowohl der Aussen- wie auch der Innenraum sind dabei stochastischer Natur: Sie verändern sich ständig, und ihre Zustände sind nicht oder nur vage vorhersehbar. Dennoch sind die Hüllen, wie wir sie heute bauen, statisch. Sie sind nur auf einen oder wenige unterschiedliche Zustände ausgerichtet. Heutige Gebäudehüllen reagieren nicht oder nur eingeschränkt, wenn das Wetter wechselt oder Räume anders genutzt werden. Damit bleiben beachtliche Potenziale für Energieeinsparung, -gewinnung und verbesserten Komfort ungenutzt.

An der Professur für Architektur und Gebäudesysteme forschen wir an Ansätzen, die Gebäudehülle dynamischer, effizienter und lernfähiger zu machen. Ein Beispiel ist die «Adaptive Solar Facade». Sie besteht aus individuellen Modulen, die auf einem Seilnetz an der Fassade montiert sind. Sie können einerseits den Licht- und Wärmeeintrag in den Raum beeinflussen, indem sie mehr oder weniger Sonnenstrahlung durch die Fenster lassen. Andererseits produzieren sie Strom über hocheffiziente Dünnschichtmodule. Die adaptive Solarfassade ist darüber hinaus sehr leicht, womit sie im Gegensatz zu herkömmlichen Photovoltaik-Modulen nahezu überall, auch an bestehenden Gebäuden, angebracht werden kann.

Anpassungsfähig durch weiche Robotik

Modul mit Soft Actuator
Der Soft Actuator bewegt das Modul der adaptiven Solarfassade. (Bild: Professur für Architektur und Gebäudesysteme)

Die Module sind dank einem neuen Bauteil beweglich, dem «Soft Robotic Actuator». Diese «weichen Roboter» sind ein neues und vielversprechendes Feld der Robotik. Sie bestehen aus biegsamen Materialien, die verschiedenste Formen annehmen, wenn sich der Druck in speziellen Kammern verändert. Solche Aktuatoren werden sonst hauptsächlich für Prothesen und biomimetische Roboter eingesetzt – wir erforschen und entwickeln sie nun für zukünftige Energie- und Klimasysteme von Gebäuden.

Unsere Soft Actuators werden mit einem eigens dafür entwickelten Hohlraum-Gussverfahren hergestellt. Ihre Hohlkammern werden anschliessend mit Luft gefüllt. Ventile steuern die Luftmengen, die eingepumpt oder rausgelassen werden, um den Aktuator zu verformen und so das Solarelement gezielt zu bewegen. Mit den Soft Actuators können wir jedes Modul der adaptiven Solarfassade individuell ansteuern und es alleine oder in Gruppen auf zwei Achsen rotieren. Auf diese Weise können die Module der Sonne folgen und Strom gewinnen, solare Einträge nutzen oder verringern, Privatheit schaffen oder Ausblick ermöglichen. Durch eine intelligente und lernfähige Regelung soll sich die Fassade zudem auf das wechselnde Wetter und die Gewohnheiten und Wünsche der Benutzer optimal anpassen.

Prototyp am House of Natural Resources

Vergrösserte Ansicht: Adaptive Solarfassade
Blick auf die adaptive Solarfassade aus einem Raum des HoNR. (Bild: Marco Carocari)

Eine derartige Funktion wäre ohne die Soft Actuators nur durch eine aufwändige Kombination mehrerer mechanischer Teile möglich. Diese wären weniger haltbar und teurer – ergo ist es unrealistisch, dass sie in Zukunft an Fassaden eingesetzt werden. Der von uns entwickelte Aktuator kostet in der industriellen Fertigung nur wenige Franken pro Stück. Im Labor haben die Soft Actuators in zyklischen Tests gezeigt, dass sie robust sind. Jetzt müssen sie noch beweisen,  ob sie sich unter den rauen Bedingungen an einer Gebäudefassade bewähren. Hierfür, und für eine Vielzahl weiterer Tests, montieren wir derzeit einen Fassadenprototyp von 50 Modulen an der Südseite des House of Natural Resources (HoNR).

Das Modul verwendet hocheffiziente CIGS-Dünnschicht-Solarzellen (Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid) und erreicht einen hohen Wirkungsgrad. Die Solarzellen werden durch das EMPA-Spin-off Flisom [1], Industriepartner im Projekt, entwickelt. Erste Lebenszyklus-berechnungen haben ergeben, dass die Adaptive Solar Facade innert 1.5 Jahren das für ihre Erstellung emittierte CO2 wieder kompensiert.

Im Rahmen des EU ClimateKIC Flagship Projects «BTA – Building Technologies Accelerator» [2] wird derzeit untersucht, wie und in welcher Form die Adaptive Solar Facade und damit die Soft Actuators zu einem marktfähigen Produkt weiterentwickelt werden können. Gelingt dies, könnte unsere adaptive Fassade einen Beitrag zur effizienten Erzeugung von Energie am Gebäude und damit zur Energiewende leisten.

Weiterführende Informationen

Mehr über das House of Natural Resources erfahren Sie hier und in der Medienmitteilung der ETH Zürich.

Weitere Informationen zur adaptiven Solarfassade finden sie auf der Webseite der Professur für Architektur und Gebäudesysteme.

Referenzen:

[1] Empa-Spin-off externe SeiteFlisom

[2] EU ClimateKIC Flagship Projects «externe SeiteBTA»

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