Ein Mann, der an die Grenzen geht

Johan Robertsson ist Professor für Geophysik an der ETH Zürich, Spezialist für seismische Wellenausbreitung, Hobby-Historiker und Outdoor-Fan. Für eine neue Methode zur seismischen Datenerfassung wird er jetzt mit dem Eni-Award «New Frontiers of Hydrocarbons» ausgezeichnet, dem weltweit wichtigsten Preis auf dem Gebiet der Energiegewinnung.

Vergrösserte Ansicht: Johan Robertsson
Der ETH-Geophysiker Johan Robertsson erhält einen mit 200'000 Euro dotierten Förderpreis der Eni-Stiftung. (Bild ETH Zürich / Peter Rüegg)

Wie ist der Erduntergrund strukturiert? Welche Materialeigenschaften hat er, und wie kann man diese darstellen? Wer Antworten auf solche Fragen sucht, ist bei Johan Robertsson an der richtigen Adresse. Der Schwede leitet die Forschungsgruppe für Exploration und Umweltgeophysik am Institut für Geophysik an der ETH Zürich. «Man kann natürlich Löcher bohren, um den Erduntergrund zu untersuchen», sagt er. «Aber das wird sehr schnell sehr teuer und aufwändig und ist manchmal schlicht unmöglich.» Hier kommt die Geophysik ins Spiel: Robertssons Spezialgebiet ist die Analyse seismischer Wellen. Diese entstehen nicht nur bei Erdbeben, sondern werden beispielsweise auch absichtlich von Menschen auf der Oberfläche der Erde ausgelöst.

«Wir analysieren, wie diese Wellen von der Erde reflektiert werden», erklärt Robertsson. «Mit den gewonnenen Daten können wir Bilder erzeugen, die nicht nur die Struktur des Erduntergrunds wiedergeben, sondern auch ihre materielle Zusammensetzung.» Er spricht anschaulich und ruhig: Man merkt, hier ist jemand gewohnt, die komplexe Materie verständlich zu machen. «Ja. Ich werde ab und zu mit Fragen konfrontiert», sagt der 47-Jährige mit einem Lächeln im offenen Gesicht.

Grosse Sache am Laufen

Zurzeit stecken er und seine Kollegen mitten in den Arbeiten für ein neues Labor. «Das ist ein sehr ehrgeiziges Projekt», betont der Geophysiker. Vereinfacht gesagt sollen hier künftig Wellenausbreitungen wie im Feld untersucht werden können. Um das zu erreichen, umgeben die Wissenschaftler eine Probe mit Hunderten von Sensoren, die Aufzeichnungen werden in Echtzeit erfasst und ans Experiment zurückgemeldet. «Die Technologie ist erst knapp so weit für ein solches Vorhaben», sagt Robertsson, bricht dann ab, lacht kurz auf: Fast scheint es, als sei ihm selbst noch nicht ganz geheuer, was für eine grosse Sache da gerade entsteht.

Das «Exploration» in Robertssons Gruppe steht für anwendungsorientierte Forschung im Bereich der Rohstoffe. Seit dem Entscheid für den Atomausstieg spielt in der Schweiz die Geothermie als potenzieller Energielieferant eine immer wichtigere Rolle und ist auch an der ETH ein Forschungsschwerpunkt. Robertsson selbst hat sich allerdings vor allem mit Erdöl beschäftigt: Vor seiner Berufung an die ETH arbeitete er 15 Jahre lang für Schlumberger, dem weltweit grössten Unternehmen für Erdölexploration- und Ölfeldservice. Für eine dort entwickelte neue Methode zur seismischen Datenerhebung erhält Robertsson nun den «New Frontiers of Hydrocarbons Prize» der Eni-Stiftung (siehe Kasten).

Lockruf der Forschung

Es ist bei weitem nicht seine erste Auszeichnung; auf seinem Regal im ETH-Büro sind einige Trophäen aufgereiht. Und doch sind ihm der Stolz und die Freude über den Eni Award anzumerken. Denn Forschung im Elfenbeinturm war nie sein Ding: «Ich wollte immer in die Industrie», sagt er. Deshalb heuerte er schon nach seinem Doktorat und einer zweijährigen Postdoktorandenstelle an der ETH bei Schlumberger an und blieb dem Unternehmen mit einigen Unterbrüchen bis zu seiner Berufung an die ETH treu, zuletzt als Forschungsdirektor in Cambridge (GB). «Ich hatte überhaupt nicht die Absicht, dort wegzugehen», sagt er, und dabei gleitet ein verschmitztes Lächeln über sein Gesicht – als hätte er sich selber überlistet.

Dem Reiz der ETH mit der Aussicht, sich als Forscher auszutoben, konnte er offensichtlich nicht widerstehen. «In der Forschung tust du das, was dich interessiert, im Engineering tust du, was du tun musst», sagt er. Nebst der Forschung gehört an der ETH allerdings auch die Lehre zu seinen Aufgaben - völliges Neuland für Robertsson. «Ich muss jetzt natürlich sagen, dass ich gerne unterrichte», sagt er, «aber ich tue es wirklich gerne. Es ist sehr gut, von den Studierenden Inputs zu erhalten.»

Haus am See in Rot

Er wirkt wie ein Mann, der rundum zufrieden ist mit sich, mit seinem Umfeld, seinem Job. Doch auch er musste Kompromisse eingehen. Einer davon war, dass die Familie geteilt ist: Seine 16-jährige Tochter Astrid ist in Stockholm in der Ausbildung, sein 13-jähriger Sohn Joar lebt bei ihm in der Schweiz. Es ist vor allem seine Frau Anne, die die Familie zusammenhält und zwischen Schweden und Robertssons Wohnsitz im Zürcher Oberland pendelt. Von hier aus erkundet der Outdoor-Fan gerne die umliegende Bergwelt beim Wandern oder Skitourenfahren. «Die Situation ist nicht einfach, aber so ist es nun mal, und es funktioniert ganz gut», sagt er. «Meine Tochter hatte die Chance, eine besondere Musikschule zu besuchen, und wir fanden, sie sollte diese Chance ergreifen.»

Frau und Tochter sind übrigens nicht die einzige Verbindung zur alten Heimat: Wann immer möglich, fährt die Familie in ein altes Bauernhaus in einer Seenlandschaft an der Grenze zu Norwegen, Baujahr 1823, rote hölzerne Fassade, schwedische Idylle pur. Die Restaurierung dieses Hauses mittels alter Techniken ist Robertssons grosse Leidenschaft. «Ich interessiere mich sehr für Geschichte. Deshalb fasziniert mich wahrscheinlich dieses Haus auch so», sagt er. Sein zweites Steckenpferd ist die Familienforschung. Bis ins 17. Jahrhundert ist Robertsson vorgedrungen. Und siehe da: obwohl es nicht viele Professoren in seiner Familie gibt, ist das Forschungsgen vielleicht vererbt: Der erste Präsident der Universität von Lund war ein Vorfahre von Robertsson.

Eni Award

Der Eni Award wurde von der gleichnamigen Stiftung, der Eni-Stiftung, geschaffen. Der Preis wird seit 2007 alljährlich an Forscherinnen und Forscher in den Kategorien New Frontiers in Hydrocarbons upstream respektive downstream, Umweltschutz, erneuerbare Energien und Nachwuchsforscher vergeben. Die Hauptpreise sind mit je 200'000 Euro dotiert, die Preise für Jungforschende mit 25'000 Euro. Hauptempfänger des New Frontiers of Hydrocarbons upstream Awards 2015 ist Johan Robertsson. Der Preis wird geteilt mit seinen Mitarbeitern Dirk-Jan van Manen, Ali Özbek, Massimiliano Vassallo und Kemal Özdemir. Gemeinsam entwickelten sie bei der Firma Schlumberger eine innovative Technologie zur Erfassung und Modellierung von Meeres-Prospektionsdaten mit akustischen (seismischen) Methoden. Mit dieser Technologie ist es möglich, die derzeitigen Grenzen der Visualisierung und Charakterisierung von Untergrundeigenschaften zu überwinden, aber auch die Umwelt zu schonen. Die Preise werden im September in Rom im Präsidentenpalast im Beisein des italienischen Staatspräsidenten übergeben. Mehr Informationen: externe Seitewww.eni.com

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