«Ich betrachte mich als Entdeckerin»

Ursula Kellers Spezialgebiet sind ultrakurze Laserpulse. Zusammen mit ihrer Gruppe entwickelt die ETH-Professorin zurzeit neue Messtechniken und neuartige Halbleiterlaser, für den es Anwendungen in jedem Haushalt geben könnte. Für ihre Leistungen erhält Ursula Keller am 13. Mai 2015 in Kalifornien einen renommierten Preis, den OSA Charles H. Townes Award.

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Die Physikerin Ursula Keller erhält eine bedeutende Ehrung für ihre Errungenschaften auf dem Gebiet der ultrakurzen Laserpulse. (Bild: Tom Kawara / ETH Zürich)

ETH-News: Die Unesco feiert dieses Jahr das internationale Jahr des Lichts. Ist da die Auszeichnung für Sie als Laserphysikerin besonders willkommen?
Ursula Keller: Es freut mich sehr, dass ich diesen Preis jetzt gewonnen habe. Die Laserphysik hat eine sehr grosse Bedeutung und viele industrielle Anwendungen, von der auch die Schweizer Industrie profitiert. Auf Materialien, die mit Laser bearbeitet wurden, trifft man überall vom Auto über den Drucker bis zum Smartphone oder Kaffeefilter. Nur sieht man die Laser aus Sicherheitsgründen nicht. Das Unesco-Jahr gibt uns die Chance, das Licht und die Laser in den Vordergrund zu rücken. Wir freuen uns auch, dass wir ETH und Universität Zürich überzeugen konnten, ihre Scientifica im September dem Thema Licht zu widmen.

Sie haben schon viele Preise gewonnen. Ist der OSA Charles H. Townes Award noch etwas Besonderes für Sie?
Auf jeden Fall. Dieser Award ehrt zwei wichtige Erfindungen, welche wir hier an der ETH gemacht haben. Eine der beiden Arbeiten stammt aus dem Jahr 1999. Was wir damals herausgefunden haben, war ein wichtiger Bestandteil des Physik-Nobelpreises, der 2005 an einen US-Amerikaner und einen Deutschen vergeben wurde. Nur haben die beiden Nobelpreisträger uns nie richtig zitiert, sie haben uns übergangen. Das war nicht fein und ärgerte mich sehr. Deshalb bin ich über diese Anerkennung nun besonders glücklich.

Was haben Sie damals herausgefunden?
Es ging um so genannte Frequenzkämme. Damit kann man Frequenzen mit höchster Genauigkeit messen und beispielsweise extrem präzise Uhren bauen. Wir befassten uns mit der Herstellung immer kürzerer Laserpulse und hatten an der ETH auch den Weltrekord auf diesem Gebiet aufgestellt. Bei einem solchen Laserblitz ist die Pulslänge vergleichbar mit der Schwingungsperiode des Lichts. In diesem Fall ist die Position des elektrischen Feldes innerhalb des Pulses wichtig. Bereits in den 1980er Jahren konnte man bei diesen Lasern die Pulsationsrate stabil halten. Die maximale Schwingungsamplitude des elektrischen Feldes innerhalb des Pulses befand sich aber immer an einem anderen Ort. Diese wollten wir ebenfalls stabilisieren.

Und das gelang. Brauchte es dazu einen Geistesblitz oder haben Sie ein spezielles Erfolgsrezept?
Man wendet die Philosophie von Arnold Schwarzenegger an, die auch meine Studenten sofort verstehen. Schwarzenegger sagt: «If it bleeds, you can kill it!» Ich erweitere dies folgendermassen: «If you see it, you can stabilize it!» Wenn man etwas sieht, kann man es auch stabilisieren. Wir konnten als erste das Signal nachweisen, das die Verschiebung des elektrischen Felds innerhalb des Pulses angibt. Sobald wir dieses Offset-Signal hatten, konnten wir anfangen, «Knöpfe zu drücken», um herauszufinden, wie und wodurch sich das Signal verändert und schliesslich stabilisieren lässt. Das Spektrum der stabilisierten Laserpulse sieht aus wie ein Kamm. Die Zinken entsprechen den Zentimeter- oder Millimeterlinien auf einem Massstab, nur misst man damit nicht Längen, sondern Frequenzen. Deshalb die Bezeichnung Frequenzkamm.

Mit diesem Kamm kann man also optische Frequenzen zählen und so die Zeit noch genauer messen als mit bisherigen Atomuhren. Doch wozu braucht man so präzise Uhren?
Mit optischen Uhren kann man Gravitationsunterschiede messen, wie sie von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie vorausgesagt werden. Diese muss man beispielsweise bei den GPS-Berechnungen berücksichtigen. Ein Traum wäre auch, zu testen, ob die Naturkonstanten tatsächlich konstant sind. Sie könnten sich über einen langen Zeitraum ja ändern, was wir aber noch nie gesehen haben.

Wussten Sie schon damals, dass diese Arbeit preiswürdig ist?
Mir war sofort klar, dass dies eine Supersache war. Die Lösung des Problems hatte auf einer Zeile Platz. Wenn man sie kennt, ist sie trivial. Das ist das Schöne an unserem Beruf. Wenn man Ideen hat, kreativ ist, findet man neue Erkenntnisse und tolle Anwendungen. Ich betrachte mich als Entdecker. Kommt dazu, dass ich mich ständig mit positiven Zielsetzungen beschäftige. Das ist ungeheuer interessant, bereichernd und nie langweilig - ein einmaliger Luxus. Professorin zu sein, ist ein Traumjob.

Aber auch bei der zweiten Arbeit, für die Sie jetzt geehrt werden, stiessen Sie auf Widerstand.
Ja, wir haben das Paper bei der renommierten Fachzeitschrift «Nature Photonics» eingereicht und es wurde prompt abgewiesen mit der Begründung, wir würden zu viele Behauptungen machen. Doch wir haben alles, was wir «behauptet» haben, erreicht und inzwischen noch viel mehr. In einer solchen Situation braucht man eine gewisse Frustrationstoleranz, und man darf nie aufgeben. Eine andere Zeitschrift hat die Arbeit schliesslich publiziert. Und ich habe für meine Entdeckung auch einen Namen erfunden: Mixsel.

Was ist ein Mixsel?
Das ist die nächste Generation von kurzgepulsten Lasern, die aber viel billiger produziert werden können. Unsere bisherigen ultraschnellen Laser ermöglichen zwar bereits viele Anwendungen; es handelt sich dabei aber um Festkörperlaser, die teuer sind. Die Laser, die heute jedermann zum Beispiel in einem CD-Player zu Hause hat, sind Halbleiterlaser, die man in Massenproduktion herstellen kann. Wir haben ein Konzept für einen kompakten, gepulsten Laser vorgestellt, der aus verschiedenen, vertikal übereinander liegenden Halbleiterschichten besteht. Im Fachjargon heisst er «Modelocked Integrated eXternal-cavity Surface Emitting Laser», kurz Mixsel.

Wann kommt der neue Laser auf den Markt?
Die Materialentwicklung ist sehr anspruchsvoll. Wir wollen deshalb nach einem Markt suchen, für den Mixsel eine Superlösung sein könnten. So finden wir vielleicht einen Industriepartner. Bereits heute stecken in Spielkonsolen herkömmliche Laser, die nach dem Radarprinzip den Raum samt Spieler abscannen. Ein gepulster Laser hätte eine viel höhere Auflösung. Damit liessen sich beispielsweise nicht nur Handbewegungen, sondern sogar Gesichtsausdrücke messen. Überall, wo die heutigen ultraschnellen Laser zu sperrig oder zu teuer sind, könnten Anwendungen möglich sein, beispielsweise in der Telekommunikation, der Computertechnik oder bei Laserdisplays. Wenn in zehn Jahren in jedem Haushalt ein Mixsel stände, wäre das für mich ein schönes Geschenk zur Pensionierung.

Zur Person

Ursula Keller (55) wuchs in Zug auf, studierte an der ETH Zürich Physik und forschte danach vor allem in den USA, bis sie 1993 in die Schweiz zurückkehrte, wo sie seither als Professorin im Physik Department an der ETH Zürich arbeitet. Mit ihren Erfindungen hat sie zahlreiche Patente erworben. Sie ist verheiratet, Mutter von zwei Söhnen und engagiert sich neben ihrer Arbeit als Wissenschaftlerin für Frauen in der Forschung.

Scientifica 2015 – Zürcher Wissenschaftstage

Im internationalen externe SeiteJahr des Lichts wird sich auch an der externe SeiteScientifica alles rund ums Thema Licht drehen. Ohne Licht gäbe es keine bildgebenden Verfahren, keine Filme, kein schnelles Surfen, keine Entfernung von Tattoos, keine Erkenntnis – kein Leben. Forscherinnen und Forscher der ETH Zürich und der Universität Zürich zeigen an über 50 Ausstellungsständen ihre Projekte und halten zahlreiche Kurzvorlesungen. Shows, Gesprächsrunden, Science Slams und Familienaktivitäten runden das attraktive Programm ab.

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