Wissen, wie man Wissen über Fachgrenzen tauscht

Vartan Kurtcuoglu ist ein Grenzgänger zwischen Medizin und Maschinenbau: An der Universität Zürich entwickelt der ETH-Absolvent medizinische Computermodelle für Herz und Niere. Wer bei ihm studiert, lernt früh, was in interdisziplinären Projekten zu beachten ist.

Vergrösserte Ansicht: Vartan Kurtcuoglu, Assistenzprofessor an der der Universität Zürich und Dozent an der ETH Zürich. (Bild: ETH Zürich/Florian Meyer)
Ein Grenzgänger zwischen Medizin und Maschinenbau: Vartan Kurtcuoglu, Assistenzprofessor an der der Universität Zürich und Dozent an der ETH Zürich. (Bild: ETH Zürich/Florian Meyer)

Wenn ein Kind mit Hals- und Schluckschmerzen und einem entzündeten Rachen zum Kinderarzt geht, dann kann es sein, dass es unter einer «Streptokokken-Angina» leidet. Auslöser dieser Infektion sind Bakterien. In einem solchen Fall können Antibiotika die Schmerzen lindern und die Krankheitsdauer verkürzen. Nur muss zuerst ein Test nachweisen, dass tatsächlich die Streptokokken-Bakterien die Erkrankung auslösten, und es sich beispielsweise nicht um eine durch Viren verursachte Erkältung handelt - gegen die helfen Antibiotika nicht.

Bis er die Testresultat hat, muss ein Kinderarzt in der Regel aber ein bis zwei Tage warten. In der Zwischenzeit kann er mit der Verschreibung der Antibiotika zuwarten, bis die Testergebnisse vorliegen (das birgt jedoch das Risiko, dass Komplikationen auftreten), oder er kann die Antibiotika vorbeugend verschreiben (was jedoch mit Blick auf mögliche Resistenzen nicht optimal ist). Sehr hilfreich wäre in dieser Situation ein Schnelltest, den der Arzt in seiner Praxis anwenden könnte, und der rasch zuverlässige Ergebnisse lieferte.

Streptokokken-Schnelltest gesucht

Heute gibt es keinen solchen Schnelltest für Arztpraxen, der die gewünschte Zuverlässigkeit aufweist. Das molekularbiologische Verfahren, das die Bakterien schnell und zuverlässig nachweisen kann, die «Polymerase-Kettenreaktion», setzt eine ausgebaute Labortechnik voraus.

In einer gemeinsamen Lehrveranstaltung der Universität Zürich und der ETH Zürich haben sich nun im Herbstsemester 2014 Studierende der Medizin und der Maschineningenieurwissenschaften dieses Problems angenommen. Dabei haben sie verschiedene, konzeptionelle Lösungsansätze erarbeitet, wie sich ein solcher Schnelltest realisieren liesse.

Die Studierenden erhalten nun die Chance, auch nach dem Kurs an ihrem Ansatz zu arbeiten, sodass sie ihre Ergebnisse womöglich in einem Wissenschaftsjournal veröffentlichen oder in einer eigenen Firma zu einem Produkt weiterentwickeln können. «Auf Studierende wirkt es sehr motivierend, wenn sie relevante und aktuelle Aufgaben aus Forschung und Anwendung lösen können», sagt der Kursleiter Vartan Kurtcuoglu, Assistenzprofessor an der medizinischen und der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich und Dozent am Department Maschinenbau und Verfahrenstechnik der ETH Zürich.

Vom Maschinenbau zum Computermodell

Diese Motivation ist wichtig, denn Vartan Kurtcuoglus Kurs führt Studierende aus dem Medizin- und dem Ingenieurstudium zusammen und ist sehr intensiv. Die Studierenden arbeiten durchwegs in Paaren und gemischten Gruppen, in denen beide Disziplinen vertreten sind. Auf diese Weise lernen sie voneinander, was es braucht, damit Kolleginnen und Kollegen aus einem anderen Forschungsgebiet ihr Fachwissen verstehen und anwenden können.

«Die Studierenden erkennen, dass sie in einem interdisziplinären Projekt genug Zeit aufwenden müssen, um sich in die Fachsprache und in die Denk- und Forschungsgansätze der anderen Disziplin hineinzuversetzen, und um offene Fragen oder Begriffe zu klären, bevor das Projekt startet», sagt Vartan Kurtcuoglu.

Zuweilen entpuppen sich selbst scheinbar selbstverständliche Begriffe wie «Spannung» oder «Turbulenz» als wahre Stolpersteine, wenn Mediziner und Ingenieure zusammen ein Projekt angehen. Vartan Kurtcuoglu spricht aus Erfahrung.

Seit Jahren forscht er als Grenzgänger zwischen Medizin und Ingenieurwissenschaft: Sein Spezialgebiet sind Computermodelle für medizinische Anwendungen; aktuell entwickelt der Assistenzprofessor für experimentelle und rechnergestützte Physiologie unter anderem Modelle für Transportprozesse in der Niere.

Ursprünglich studiert hat Vartan Kurtcuoglu aber Maschinenbau: Sein Studium an der ETH schloss er in erneuerbaren Energien und Regelungstechnik ab. Während des Doktorats und eines Forschungsaufenthalts an der Harvard Medical School wandte er sich dann der computergestützten Modellierung von biologischen und medizinischen Phänomenen zu.

Heute leitet er die externe SeiteInterface Group am Physiologischen Institut der UZH, die Ingenieurtechnik mit biologischer Forschung und Medizin verbindet. Denn, sagt Kurtcuoglu, damit Computermodelle in der Biomedizin wirklich zum Werkzeug der Erkenntnis werden, müssen sie relevante, ungelöste Fragen der Biologen und Mediziner beantworten.

Wertvolle Unterstützung der Lehrexperten

Vergrösserte Ansicht: «Critical Thinking»-Initiative der ETH Zürich
«Critical Thinking»-Initiative der ETH Zürich.

Es waren solche Erfahrungen, die Kurtcuoglu auf die Idee brachten, sein Know-how über interdisziplinäre Projekte an Studierende weiterzureichen. Zusammen mit Mirko Meboldt, Professor für Produktentwicklung und Konstruktion an der ETH, und Oliver Ullrich, Professor für Anatomie an der UZH, arbeitete er das Konzept der Lehrveranstaltung aus. Dabei wurde das Team von der Hochschuldidaktik der Universität Zürich unterstützt.

Die Lehr- und Multimediaspezialisten der ETH Zürich unterstützten es bei der Nutzung des neuen Flexiblen Auditoriums, mit dessen Infrastruktur sich der Präsenzunterricht interaktiver gestalten lässt: Dort können die Studierenden selbständig in Gruppen ihre Konzepte erarbeiten und diskutieren.

Sehr hilfreich findet es Kurtcuoglu, wie der Innovedum-Fonds der ETH Zürich Dozierende unterstützt, die in der Lehre die Studierenden aktiv einbinden und verschiedene wissenschaftliche, gesellschaftliche oder arbeitsbezogene Perspektiven miteinander verbinden (vgl. Kasten).

Das Lehrprojekt von Vartan Kurtcuoglu passt gut zu den aktuellen Aktivitäten der ETH, den Unterricht mit der «Critical Thinking»-Initiative und den Innovedum-Fokusthemen aufzuwerten: «An der ETH wollen wir die Studierenden schon in der Ausbildung dazu befähigen, sich Wissen selbständig anzueignen und zur Lösung von realen Problemen einzusetzen», sagt ETH-Rektorin Sarah Springman.

Vergrösserte Ansicht: Interdisziplinäres Lernen: Medizin- und Maschinenbau-Studenten. (Bild: ETH Zürich/Stephan Cecil Josef Fox)
Im Rahmen einer interdisziplinären Lehrveranstaltung diskutieren Studenten der Medizin und des Maschinenbaus Lösungsansätze für einen Streptokokken-Schnelltest. (Bild: ETH Zürich/Stephan Cecil Josef Fox)

Neu: Innovedum fördert aktive und fachübergreifende Lehre

Vergrösserte Ansicht: Der Innovedum-Fonds fördert den interaktiven Unterricht. (Bild: LET - Lehrentwicklung und –technologie/Marinka Valkering)
Clickerfragen in der EduApp. (Bild: LET / Marinka Valkering)

Im Januar 2015 hat die ETH Zürich über den Innovedum-Fonds zwei neue Fokusthemen lanciert, die ETH-Lehrprojekte unterstützen, welche

  1. die Studierenden aktiver einbeziehen oder ihnen Freiräume zur selbständigen Aneignung und Reflektion von Wissen geben (Fokusthema: «Interaktiver und die Eigenverantwortung fördernder Unterricht»);
  2. verschiedene disziplinäre Perspektiven miteinander in Bezug setzen und die Lehre mit Forschung, Arbeitswelt und Gesellschaft verbinden (Fokusthema: «Inter- und transdisziplinäre Lehrprojekte»).

Bis 1. März oder 1. Oktober 2015 können Dozierende der ETH Zürich im Rahmen dieser Fokusthemen Projekte einreichen. Die Projekte werden dann innerhalb eines Monats geprüft.

Weitere Informationen unter: Innovedum Lehr- und Fokusprojekte.

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