Wege aus dem empirischen Nirwana

Ein ETH-Jurist und eine Ökonomin vom MIT untersuchten, wie sich ein Gerichtsentscheid zur Verwendung von Markennamen als Schlüsselwörter bei Internetwerbeanzeigen auf das Verhalten von Nutzern auswirkt. Ein Fall von Big Data mit interessantem Ausgang und Potenzial.

Vergrösserte Ansicht: ETH Zürich
Unbeabsichtigtes Suchen mit Markenbegriffen führt Nutzerinnen und Nutzer rascher auf die Webseiten von Markeninhabern als gezieltes Abfragen. (Grafik: ETH Zürich)

Für Google sind die Kleinanzeigen auf der Suchtrefferseite ein gutes Geschäft, für Werbende eine grosse Chance, die Aufmerksamkeit von potenziellen Kunden zu erregen; für Markeninhaber können sie ein Ärgernis sein. Denn Werbetreibende kaufen von Google nicht nur die Platzierung der Anzeige, sondern im Rahmen von «Google AdWords» auch Schlüsselwörter. Diese dürfen Markennamen enthalten, auch wenn diese den Werbenden selbst nicht gehören. So kann beispielsweise ein Sportgeschäft als Schlüsselwort «Adidas» einsetzen, ohne die Markenrechte dafür zu besitzen. Sucht nun ein Internetnutzer nach dem Begriff «Adidas», erscheint rechts oder oberhalb der Trefferliste die Anzeige des besagten Sportgeschäfts.

Das war nicht immer so. Erst vor rund fünf Jahren, im März 2010, «legalisierte» der europäische Gerichtshof (EuGH) diese Werbepraxis mit einem wegweisenden Entscheid: Mit der Verwendung von Marken als Schlüsselwörter im Rahmen von Adwords verstösst Google nicht gegen das Markenrecht. Damit setzte das Gericht einen vorläufigen Schlussstrich unter lange andauernde juristische Streitigkeiten zwischen Markeninhabern, Google und Werbenden. Ähnliche Rechtsstreitigkeiten gab es in vielen anderen Ländern, unter anderem in den USA und Australien.

Verändern gelockerte Richtlinien Nutzerverhalten?

Als Folge dieses Entscheids lockerte Google für das europäische Festland die eigenen Richtlinien – zuvor hatte der Internetriese Markennamen als Schlüsselwörter nur in Anzeigen der jeweiligen Markeninhaber, nicht aber von anderen Werbenden toleriert.

Wie sich die Änderung der Google AdWords-Richtlinie auf das Surfverhalten von Konsumenten auswirkte, blieb bislang unklar. Markeninhaber argumentierten, sie würden seit 2010 benachteiligt, da die Nutzer nicht mehr auf Anzeigen der Markeninhaber, sondern eher auf die Anzeigen konkurrierender Unternehmen aufmerksam gemacht werden. Dies sei eine ungerechte Ausnutzung der berechtigten Interessen der Markeninhaber.

Stefan Bechtold, ETH-Professor für Immaterialgüterrecht, und seine amerikanische Kollegin Catherine Tucker von der Sloan School of Management am MIT, gingen deshalb der Frage nach, wie sich die Änderung der Google-Richtlinien auf das Verhalten der Internet-Nutzer auswirkt. Die Resultate ihrer Studie veröffentlichten sie soeben im «Journal of Empirical Legal Studies».

Besucherverkehr auf Markenseiten nimmt kaum ab

Anhand von anonymisierten 5,3 Millionen Click-Stream-Daten von rund 20'000 deutschen und französischen Internet-Nutzerinnen und -Nutzern wollten sie herausfinden, ob sich deren Such- und Surfverhalten vor und nach der Richtlinienanpassung unterschied. Die Daten umfassen Internetnutzungen, die mit dem Aufrufen einer Suchmaschine wie Google oder Bing beginnen und entsprechend den eingegebenen Suchbegriffen fortgeführt werden. Für ihre Analyse verwarfen die Forschenden Surfdaten, die länger als zehn Minuten ab Beginn einer Suchanfrage dauerten.

Die Auswertung der Internetdaten ergab, dass übers Ganze betrachtet die Änderung der Google-Richtlinie keinen markanten Effekt zugunsten oder zulasten der Webseiten von Markeninhabern hatte. «Im Durchschnitt hat sich am Verkehr auf diesen Seiten kaum etwas geändert», betont Bechtold.

Gezielte Suchen weniger zielführend

Unter der stillen Oberfläche des Datenmeers zeigt sich allerdings ein anderes Bild. Nach der Anpassung der Google-Richtlinie ist es für Nutzer, die gezielt nach Webseiten von Marken suchten, schwieriger geworden, mit Markennamen-Suchbegriffen auf entsprechende Seiten zu gelangen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Surfer mit einer solchen Navigationssuche auf die Seiten von Markeninhabern gelangen, ist nach der Inkraftsetzung der Richtlinien um 9,2 Prozent gesunken. Bei einer Navigationssuche geben Internet-Nutzer Stichworte in die Suchmaschine mit der Absicht ein, direkt auf Seite des Markeninhabers zu gelangen. «Für Marken ist es schlechter, wenn sich der direkte Verkehr auf ihren Websites verkleinert», sagt Bechtold.

Der Jurist und seine Co-Autorin, eine Ökonomin, entdeckten allerdings auch einen ausgleichenden Mechanismus. So ist es für Nutzerinnen und Nutzer mit ungezielten Suchen, den sogenannten «non-navigational searches», nach Änderung der Google-Werberichtlinie wahrscheinlicher geworden, auf die Seiten von Markeninhabern zu gelangen, und zwar um 14,7 Prozent. Damit kompensieren ungezielt Suchende den «Verlust» der gezielt Suchenden, insbesondere weil die Anzahl der ungezielt Suchenden viel grösser ist als jene der gezielt Suchenden. «Der Effekt ist bei weniger bekannten Marken am deutlichsten», ergänzt der ETH-Professor. Mit «non-navigational searches» rufen Surfer mit einem Markenbegriff allgemeine Informationen über ein Thema, etwa über konkurrierende Produkte, unabhängige Reparaturdienstleistungen, Ersatzteile, Verkaufsstellen oder Preisvergleiche, ab. Der Markenname wird dann lediglich als Suchhilfe benutzt.

Erste Big Data Anwendung im Markenrecht

Mit ihrer Studie haben Bechtold und Tucker Neuland beschritten. «Das ist eine der ersten Anwendungen von Big Data im Markenrecht », freut sich Bechtold. Internet-Daten seien eine wertvolle Informationsquelle, um beispielsweise Konsumentenverhalten zu studieren. Daraus liessen sich Empfehlungen für Gesetzgeber und die Rechtspflege ableiten, die auf empirische Daten gestützt sind. «In vielen Bereichen der Innovationsforschung fehlen immer noch belastbare Daten, mit denen die Auswirkungen von Rechtsregeln auf Unternehmen, Konsumenten und Märkte untersucht werden können.»

Ihre Arbeit zeige auf, wie man durch interdisziplinäre Arbeiten im Schnittfeld von Rechtswissenschaft, Ökonomie und ‚Data Science‘ diesem empirischen Nirwana entkommen könne. «Durch solche Ansätze können juristische Entscheide im Immaterialgüterrecht in Zukunft hoffentlich vermehrt evidenzbasiert gefällt werden», sagt der ETH-Professor.

Literaturhinweis

Bechtold S, Tucker C. Trademarks, Triggers and Online Search. Journal of Empirical Legal Studies 2014, 11: 718-750, doi: externe Seite10.1111/jels.12054

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