Ein Herz aus Zürich

Eine Herztransplantation ist die einzige Methode zur Heilung einer Herzschwäche im Endstadium. Doch Spenderherzen sind rar. Dauerhaft einsetzbare Kunstherzen wären eine Alternative. Daran arbeiten der Herzspezialist Volkmar Falk und die ETH-Wissenschaftler Edoardo Mazza und Dimos Poulikakos im Projekt Zurich Heart.

Vergrösserte Ansicht: Volkmar Falk, Dimos Poulikakos und Edoardo Mazza
Roundtable mit Schaltung nach Berlin: Gute internationale Beziehungen bereichern das Projekt Zurich Heart, sind Volkmar Falk, Dimos Poulikakos und Edoardo Mazza überzeugt. Fotos: Tom Kawara

Herr Falk, wie viele Ihrer Patienten leben derzeit mit einem Kunstherzen?

Volkmar Falk: Ich habe gerade in Berlin eine Klinik übernommen, die weltweit eines der grössten Programme mit Herzunterstützungssystemen hat. Aktuell liegen bei uns 40 Patienten stationär mit einem solchen System. Pro Jahr bauen wir bis zu 180 Systeme ein. Viele unserer Patienten sind sehr herzkrank. Es geht um die Entscheidung: sofortige  Herztransplantation, was heutzutage aufgrund des Organmangels selten möglich ist, Überbrückung bis zu einer Transplantation oder gar Dauertherapie mit einem Kunstherzsystem.

Wie lange kann man denn mit einem Kunstherzen leben?

Falk: Es gibt Patienten, die bis zu sieben Jahre, in Einzelfällen auch länger, damit gelebt haben. Kunstherzsysteme wurden eigentlich für die Überbrückung der Zeit entwickelt, bis ein Spenderherz verfügbar ist. Manche Patienten kommen nun damit so gut zurecht, dass sie gar keine Herztransplantation mehr wollen. Trotz aller Schwierigkeiten, die auftreten können, wie etwa Blutungskomplikationen, Gerinnselbildung in den Systemen, Infektionen der Kabel oder neurologischen Schäden. Auch technisches Versagen kommt immer wieder vor. Mit dramatischen Folgen für die Betroffenen.

Herr Poulikakos, Sie sind Ingenieur. Kennen Sie Patienten mit einem Kunstherzen?

Dimos Poulikakos: Gewisse Erfahrungen habe ich gemacht, vor allem über Herrn Falk. Was ich gesehen habe, hat mich sehr erschüttert. Vor allem, dass die Technologie auf diesem Gebiet wirklich nicht da ist, wo sie sein sollte. Das hat mich sehr motiviert, beim externe SeiteProjekt Zurich Heart mitzumachen.

Herr Mazza, was hat Sie als Ingenieur zum Projekt Zurich Heart geführt?

Edoardo Mazza: Ich arbeite schon lange an medizinischen Themen, insbesondere mit Kollegen vom Universitätsspital. Viele Resultate unserer Forschung sind mit den Fragestellungen dieses Projekts verknüpft. Die Idee einer Dauertherapie mittels einer künstlichen Herzpumpe ist gesellschaftlich relevant und für die Forschung eine echte Herausforderung. So war dieses Projekt für uns eine natürliche Wahl.

Ist die Idee, das Kunstherz als Dauerlösung einsetzen zu können, neu?

Falk: Revolutionär ist die Idee sicher nicht. Es gibt ja bereits heute kommerziell verfügbare mechanische Kreislaufassistenzsysteme, die lange im Einsatz sind. Dies weil, wie  schon erwähnt, nicht genügend Spenderherzen zur Verfügung stehen. Herausragend an der Zusammenarbeit im Projekt Zurich Heart ist, dass sich mit der ETH zum ersten Mal eine Institution für das Thema interessiert, die hervorragende Kompetenzen in jedem einzelnen der erforderlichen technischen Bereiche hat. Früher haben sich gerade Forschungsinstitutionen oft nur um einzelne Teilaspekte gekümmert, zum Beispiel um die Energieübertragung oder die Oberflächenveränderung. An der ETH sind die Voraussetzungen vorhanden, ganz neue Konzepte zu entwickeln wie auch einzelne Aspekte zu erforschen – beides auf gleich hohem Niveau. Aufgrund dieser Expertise haben wir eine einmalige Chance, die uns auch von den im Sektor tätigen Firmen unterscheidet.

Wie geht das Projekt Zurich Heart an die Probleme heran?

Poulikakos: Wir haben von Anfang an zwei Projektstränge verfolgt, die ineinander verflochten sind. Im Strang, den ich leite, versuchen wir, die vorhandenen Systeme zu verbessern. Probleme sind etwa Hämolyse oder Thrombosen; das Zusammenspiel von Blut, Gewebe und Oberflächen der implantierten Geräte und die dazugehörende Hämodynamik sind nicht richtig verstanden. Auch gibt es heute kaum eine einigermassen adaptive Regelungstechnik zwischen Pumpe und Patient. Da könnten wir mit Hilfe von intelligenten Sensoren und Algorithmen der Regelungstechnik viel verbessern. Oder das Problem der Energieversorgung: Hier überlegen wir, ob sich das kabellos lösen liesse.

Mazza: Parallel dazu haben wir überlegt, ob man nicht ganz anders an die Sache herangehen und etwas völlig Neues schaffen kann. Diesen Forschungsstrang nennen wir «Alternative Systeme». Wir fragen uns hier, ob wir nicht mit ganz anderen Materialien arbeiten könnten als bisher. Die weiche, «biomimetische» Pumpe, die uns vorschwebt, soll Körpermaterialien angenähert sein, sich etwa den Volumenverhältnissen im menschlichen Körper besser anpassen. Wir forschen also in Richtung von «soft machines». Diese Forschungsrichtung ist sehr relevant für den modernen Maschinenbau. Es ist ein Projekt mit vielen neuen Fragen, für die wir auch Grundlagenforschung brauchen.

Welche Wechselwirkungen gibt es zwischen den Forschungssträngen?

Mazza: All die Optimierungen, von denen Herr Poulikakos gesprochen hat, Antriebstechnik, Regelungstechnik, Sensoren, das können wir alles sehr gut auch in einer weichen Pumpe einsetzen. Wir teilen auch experimentelle Vorrichtungen und Ansätze bis hin zur Planung der Labor- oder Tierversuche.

Herr Falk, hatten Sie von Anfang an im Sinn, dass man auch etwas ganz Neues machen könnte?

Falk: Was wir im Klinikeinsatz vor uns sehen, ist eigentlich erschütternd: Die Technologie stammt zum Teil aus den 60er-Jahren. Deshalb sind wir zunächst defensiv an die Sache herangegangen mit der Idee, dass man erst mal die existierenden Technologieplattformen verbessert. Aber ich habe dann in dem intellektuell extrem stimulierenden Umfeld der ETH Partner gefunden, die sehr kreativ denken und sich von Konventionen nicht sofort bremsen lassen. Wir haben mittlerweile schon den Prototyp eines benzingetriebenen Kunstherzens entwickelt oder mit elektromagnetisch verformbaren Polymeren gearbeitet. Da schüttelt natürlich jeder Mediziner zunächst ungläubig den Kopf. Das ist unmöglich. Aber genau dieses freie Denken erzeugt Innovation. Ob uns das am Ende zum Ziel führt, wissen wir jetzt noch nicht. Manches wird in Sackgassen enden. Aber das Spannende ist, dass wir diesen Weg überhaupt gehen können, mit hochmotivierten Forschenden.

Mussten Sie, um zusammenzuarbeiten, erst eine andere Sprache lernen oder haben Sie sich von Anfang an verstanden?

Mazza: Das ist eine wichtige Frage. Innerhalb eines Fachgebiets ist der Fachjargon sehr effizient. Aber sobald man über die Fachgrenzen hinaus verstanden werden will, muss man ganz anders kommunizieren. Das braucht besondere Fähigkeiten und viel guten Willen. Dank der grossen Motivation aller Beteiligten, Mediziner, Wissenschaftler und Ingenieure, konnten wir die Sprachbarrieren relativ schnell überwinden.

Poulikakos: Wir hatten ja schon in anderen Projekten langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Medizinern. Die Verständigung mit Herrn Falk war von Anfang an ausgezeichnet.

Falk: Ich habe immer sehr nahe mit den Ingenieurwissenschaften zusammengearbeitet. Deshalb war ich auch sehr froh, dass ich während meiner Tätigkeit am Unispital in Zürich mit der ETH eine Institution auf der anderen Strassenseite hatte, wo die entsprechende Kompetenz direkt in Reichweite liegt. Nun sind Sie nach Berlin gegangen und die ETH liegt nicht mehr direkt auf der anderen Strassenseite…

Falk: Wir haben im Projekt schon eine längere gemeinsame Phase hinter uns. So vertragen wir nun auch etwas Distanz. Ausserdem haben wir das Projekt gut eingebettet unter dem Dach der Hochschulmedizin Zürich. Damit ist Koordination gewährleistet. Mit Berlin ist zudem ein grosser Partner mit vielen Patienten und sehr viel Know-how dazugekommen, und ich werde diesen wertvollen klinischen Erfahrungsschatz in das Projekt einfliessen lassen. In Zukunft werden wir ohnehin weitere Partner für einzelne Fragestellungen mit ins Boot holen. Das Projekt Zurich Heart wird sich lokal, national und international weiterentwickeln. Ausserdem sind die unterschiedlichen Standorte sicher auch ein Vorteil, um kompetitive Drittmittel einzuwerben.

Mazza: Das kann ich nur bestätigen. Natürlich bleibt die enge Verbindung zum Unispital Zürich für uns weiterhin wichtig. Die Kollegen vom Unispital nehmen an unseren Projektsitzungen teil, und der Nachfolger von Herrn Falk, Francesco Maisano, ist vom Projekt begeistert. Mit ihm planen wir übrigens bereits weitere Projekte.

Fliessen die Erkenntnisse auch in die Lehre ein?

Mazza: Das Projekt involviert Doktoranden und Studierende, die Arbeiten auf dem Gebiet machen, und konfrontiert sie mit den interdisziplinären Fragestellungen. Und wir haben eine Liste mit Vorlesungen verschiedener Departemente zusammengestellt, die wir ihnen empfehlen.

Falk: Es gibt verschiedene Bestrebungen von Hochschulen, den Bereich Life Science in der medizinischen Ausbildung besser abzubilden oder Studiengänge im Bereich Medizintechnik oder Medizininformatik zu entwickeln, die sowohl Medizinern wie auch Ingenieuren offenstehen. Ein Studiengang Medizintechnik wäre für viele junge Leute eine grosse Möglichkeit, nicht nur als Basis für eine wissenschaftliche Karriere, sondern auch als attraktive Ausbildung für ein schnell wachsendes und «personalhungriges» Marktsegment.

Poulikakos: Ich finde die Idee einer Ausbildungsschiene für Mediziner und Ingenieure, bei der es überlappende Bereiche gibt und die eine Richtung von den Kenntnissen der andern profitieren kann, sehr interessant. Aber es wird extrem wichtig und schwierig sein, genügend Tiefe in den Grundlagen beider Richtungen innerhalb einer relativ kurzen Zeit zu vermitteln. Sonst werden die Absolventen nicht in der Lage sein, die schwierigen, interdisziplinären Probleme der medizinischen Technik anzupacken.

Kommen wir zurück auf das Projekt Zurich Heart. Wann rechnen Sie mit Ergebnissen, die in der Praxis eingesetzt werden können?

Poulikakos: Bei einem unserer Teilprojekte, das von der Stavros Niarchos Foundation gefördert wird, rechnen wir in drei bis fünf Jahren mit einem translationsbereiten Produkt. Ich glaube, dass wir aufgrund der Flexibilität, mit der das Projekt Zurich Heart angelegt ist, die Innovationen eine nach der anderen in die Praxis einfliessen lassen können, sei es in Zusammenarbeit mit Firmen, sei es auf anderen Wegen.

Mazza: Eine Schlüsselkomponente unserer weichen Pumpe ist eine so genannte hybride Membran. Wir suchen nach einer Lösung, wie wir ein Endothelium, also eine biologische Schicht, in ein künstliches System, also eine Maschine, integrieren können, damit das hindurchfliessende Blut physiologisch «normalen» Bedingungen ausgesetzt ist. Dabei verfolgen wir mehrere Wege. In etwa drei Jahren wollen wir die verschiedenen Lösungsansätze vergleichen in der Hoffnung, mindestens einen erfolgreichen Ansatz zu finden. Wenn wir eine entsprechende Komponente haben, dann lässt sich das für unsere Pumpe, aber vielleicht auch für andere Bereiche der Medizin einsetzen.

Der medizinische Bereich ist stark reguliert. Wie lange dauert es, bis Sie, Herr Falk, eine dieser Innovationen tatsächlich für Ihre Patienten einsetzen können?

Falk: Damit sprechen Sie ein grosses Problem an. Bis wir etwas tatsächlich für unsere Patienten einsetzen können, dauert es mitunter erschütternd lange. Die Bewilligungsvorgaben für Medizinprodukte werden derzeit fast im Jahresrhythmus verschärft. Wir dürfen also nicht die Illusion haben, dass wir uns in ein oder zwei Jahren der Presse mit dem Zürcher Herzen präsentieren. Wir werden sicher den einen oder anderen Durchbruch feiern können. Aber es wird eher so sein, dass wir einzelne Technologien Dritt-anbietern zur Verfügung stellen, damit sie möglichst schnell den Weg in die Praxis finden, zum Beispiel eine gute Sensortechnologie. Wichtig ist, dass wir die Motivation langfristig, das heisst über den üblichen Doktorandenzyklus hinaus, erhalten können. Dieses Commitment habe ich in den Gesprächen zwischen Universität und ETH immer wieder gespürt, und deshalb bin ich überzeugt, dass Zürich in Europa oder auch weltweit einer der wenigen Standorte ist, wo das überhaupt möglich sein wird.

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Dieser Artikel erschien in Globe, Ausgabe
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