Was tun, wenn in einer Forschungskooperation ethisch unvertretbare Dinge passieren?

Moderne Forschung findet oft in internationalen Kooperationen statt. Dies bringt es mit sich, dass kulturelle Umgebung und Wertvorstellungen der Forschungspartner unterschiedlich, ja sogar der Stellenwert der Menschenrechte tangiert sein können. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist jedoch eine gemeinsame Basis ethischer Standards notwendig. Der nun verabschiedete Kodex soll Forschenden eine Stütze in dieser Thematik sein.

Vergrösserte Ansicht: Verhaltenskodex für wissenschaftliche Kooperationen (Bild: Oliver Bartenschlager)
Raffael Iturrizaga: «Die ETH will forschen; aber nicht auf Kosten der Verletzung von Grundrechten anderer.» (Bild: Oliver Bartenschlager)

«Was ist meine Verantwortung, wenn ich feststelle, dass mein Kooperationspartner von einer intransparenten, staatlichen Organisation gesteuert ist?» «Was muss ich tun, wenn ich weiss, dass mein Partner nicht das Recht erhält, seine Ergebnisse zu publizieren?» «Darf ich mit Personendaten forschen, die in einem Polizeistaat erhoben wurden?» Mit solchen und anderen Fragen ethischer Art können ETH-Forschende konfrontiert sein; insbesondere, wenn sie in internationalen Kooperationen tätig sind oder solche aushandeln. Der von der ETH-Schulleitung per 1. September 2014 verabschiedete «Verhaltenskodex für wissenschaftliche Kooperationen» ist als Unterstützung in solchen Problematiken gedacht.

Wahrung der Rechte aller

Als Institution des Bundes ist die ETH Zürich auf die Beachtung der in der Bundesverfassung als Grundrechte festgeschriebenen Menschenrechte verpflichtet. «Darüber hinaus hat die ETH Zürich im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Kooperationen auch auf die Einhaltung der Menschenrechte durch die Partner zu achten,» sagt Raffael Iturrizaga, Sekretär der ETH-Ethikkommission und Wissenschaftlicher Koordinator im Stab Wissenschaftskoordination, und betont: «Die ETH will die Bereicherung von wissenschaftlichen Kooperationen nutzen; aber nicht auf Kosten der Verletzung von Grundrechten anderer.» Zu diesen Rechten gehören insbesondere Forschungsfreiheit, Lehrfreiheit, Publikationsfreiheit, Meinungsfreiheit, Reisefreiheit, effektiver Schutz vor rassischer, religiöser, geschlechtlicher Diskriminierung und vor Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit und der Schutz der Menschenwürde.

Treffen ETH-Forschende im Rahmen einer konkreten Kooperation auf eine bezüglich der Menschenrechte kritische Situation, so haben sie eine sorgfältige Güterabwägung vorzunehmen. Sie müssen den zu erwartenden Forschungswert und die moralischen Bedenken einbeziehen, aber auch allenfalls die Chance, die menschenrechtliche Situation beim Kooperationspartner zu verbessern. Hierfür dient der Kodex als Basis. Zu welchem Ergebnis die betroffenen Forschenden im Einzelfall zu gelangen haben, schreibt das Dokument nicht vor. «Dies ist ganz im Sinne der Kultur der Eigenverantwortung und des Vertrauens an der ETH Zürich,» so Raffael Iturrizaga. «Am Ende muss es bei aller Vielfalt der Einzelentscheidungen doch einen gemeinsamen Nenner geben, der uns als Institution in unserem Handeln zusammenhält. Dieser kleinste gemeinsame Nenner sollen die Kriterien des Kodex sein.»

Keine obligatorische Vorgabe

Für die betroffenen Forschenden ist es je nach Fall keine einfache Aufgabe, eine Abwägung vorzunehmen. Im Zweifelsfall können sie jederzeit die Vertrauensperson, die Ethikkommission der ETH oder Raffael Iturrizaga hinzuziehen. Die Anwendung des Kodex‘ soll sich jeweils auf einzelne konkrete Kooperationsprojekte und dessen Mitarbeitenden beziehen. Das engere (z.B. die Universität) oder das weitere Umfeld (z.B. das Land oder der Konzern) stehen nicht im Fokus.

Beim Kodex, mit dem die ETH Zürich Position in ethischen Themen bezieht und übrigens Vorreiterin ist, handelt es sich zumindest vorläufig noch nicht um ein rechtsverbindliches Reglement. Vielmehr soll er Anstoss geben für einen Lern- und Diskussionsprozess. «Vorrangiges Ziel ist es, die ETH-Forschenden für diese Thematik zu sensibilisieren und ihr Verantwortungsbewusstsein zu fördern», sagt Raffael Iturrizaga, und ergänzt: «Auch die Schulleitung möchte aus dem Dokument und den kommenden Erfahrungen Lehren ziehen können. Die Erfahrungen werden zeigen, wie ein solcher Kodex umsetzbar ist.»

An Diskussion interessiert

Vorgängig zur Verabschiedung des neuen Dokuments wurden im April 2014 insgesamt 47 ETH-Einheiten zur Stellungnahme eingeladen. Diese begrüssten grundsätzlich die Einführung  gemeinsamer Kriterien für ethische Fragen in wissenschaftlichen Kooperationen. Einzelne Stellungnehmende beurteilten den Kodex jedoch als zu restriktiv, andere hingegen als zu unverbindlich. Nicht zuletzt deswegen beabsichtigt die Schulleitung, die Diskussion zum Thema fortzusetzen. Raffael Iturrizaga: «Tatsächlich bewegt sich die ETH mit dem Kodex auf relativ unerschlossenem Terrain. Wir sind am ETH-internen Dialog und am Austausch mit anderen Institutionen interessiert und bringen gerne unsere Erfahrungen und Erkenntnisse ein.»

Für die Vertiefung des Themas bei den wissenschaftlich tätigen Mitarbeitenden plant der Stab Wissenschaftskoordination zusammen mit der Hochschulkommunikation eine Webplattform mit konkreten Fallbeispielen als auch ein Diskussionsforum.

Verhaltenskodex für wissenschaftliche Kooperationen

Durch die Schulleitung der ETH Zürich per 1. September 2014 in Kraft gesetzt.

Zum Downloaden:

DownloadVerhaltenskodex für wissenschaftliche Kooperationen

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