Bühnen frei für die Architektur

Die neue Saison eröffnen die gta Ausstellungen mit verschiedenen Projekten. Eines davon ist das Atlas Projekt von Tom Emerson, Professor für Architektur und Konstruktion an der ETH Zürich.

Im Studio Tom Emerson erstellen Studierende Bauten aus wiederverwendeten Materialien. Das Projekt «Atlas» ist sowohl eine Ausstellung dieser Arbeiten wie auch ein neues Projekt von Studierenden im zweiten Jahr. ETH-News sprach mit Tom Emerson über seine Motivation und seine Erfahrungen in der engen Zusammenarbeit mit Studierenden.

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Prof. Tom Emerson baut mit seinen Studierenden Bühnen für die Ausstellung. (Bild: ETH Zürich)

Professor Emerson, was ist das Ziel des Projekts Atlas?
Atlas ist der allgemeine Titel für eine Arbeitsweise, durch die wir versuchen, architektonische Aspekte einzubinden, die aufgrund des Modernismus kein Bestandteil unserer Arbeit waren. Wir versuchen, die Grössenverhältnisse zu mischen – von der kleinsten Handarbeit bis zu grossen territorialen Studien. Wir wollen digitale Technologien mit der Tradition vereinen und – was am wichtigsten ist – versuchen, ein neues Verhältnis zur Natur zu schaffen. Dafür platzieren wir uns mit den Projekten in die Natur hinein, anstatt sie nur zu betrachten.

Für das Herbstprogramm der gta Ausstellungen werden Ihre Studierenden eine Bühne entwerfen und bauen. Ziemlich ungewöhnlich für Architekturstudenten…
Die Bühne, oder genauer gesagt die vier Bühnen, sind Teil des neuen von Niels Olsen und Fredi Fischli initiierten gta-Ausstellungsprogramms, welches die Darstellung von Architektur über den Ausstellungsraum und über die fachlichen Grenzen hinaus direkt ins Herz des Departements trägt. Dadurch, dass wir die Bühnen mit den Studierenden des zweiten Studienjahrs bauen, gehört die Ausstellung letztendlich allen Studierenden.

Was wird auf dieser Bühne passieren? Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Bühne und dem, was darauf passiert?
Die Bühnen könnten als vier Bauten gesehen werden, die von Studierenden geschaffen wurden. Sie könnten aber auch viel allgemeiner für das gesamte Departement Architektur stehen. So oder so sind die Bühnen der Ort, an dem unsere Disziplin ausgelebt wird: Ähnlich wie wir das tagtäglich in den Studios, im Hörsaal, in Werkstätten und Cafeterias, aber auch bei Veranstaltungen wie Ausstellungen, Gesprächsrunden und Seminaren machen. Die Kuratoren haben ein Veranstaltungsprogramm auf die Beine gestellt, aber bereits eine Woche vor der Eröffnung fragen Interessierte an, die gerne ihr eigenes Programm zeigen möchten. Wir hoffen auch, dass die Menschen die Bühnen spontan nutzen, um auf dem Dach zu Mittag zu essen oder Leute zu treffen, so dass die Bühnen Teil der sozialen Infrastruktur unseres Departements werden.

Und was passiert mit den Bühnen nach der Ausstellung?
Nach den geplanten Ausstellungen werden die Bühnen für künftige Ausstellungen weitergenutzt. Vielleicht werden Anbauten erfolgen, Teile entfernt oder das Design verändert. Wir wissen es nicht genau. Aber die Idee ist, dass die Ausstellungen keine in sich geschlossenen Einheiten bilden, die kommen und – ohne eine Spur zu hinterlassen – wieder verschwinden, sondern dass sie eine Kontinuität im Departement herstellen

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«96 Hands» war das erste Projekt, das Tom Emerson 2010 am Hönggerberg realisierte. (Bild: gta /ETH Zürich)

«Atlas» gibt auch einen Überblick über die gesammelten Arbeiten der Studierenden aus Ihrem Studio. Gibt es eine Arbeit, die Ihnen besonders gefällt? Und wenn ja, warum?
Diese Frage ist unfair. Ich mag alle Arbeiten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Ausserdem haben wir noch viel mehr Projekte gemacht, die ich ebenfalls mag, die hier aber nicht gezeigt werden können. «96 Hände» sticht vielleicht heraus, da es das erste Projekt war. Wir hatten keine Ahnung, wie es ausgehen würde, und wie unsere Studierenden zusammenarbeiten würden. Das Risiko war hoch, aber die Studierenden waren grossartig und haben uns das Selbstvertrauen gegeben, noch weitere ambitionierte Projekte in Angriff zu nehmen.

Sie beziehen Ihre Studierenden immer direkt in Ihre Projekte mit ein. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Es ist immer schwierig, mit einer riesigen Gruppe von Menschen – es waren zwischen 40 und 60 – zusammenzuarbeiten. Das bedeutet viel Intelligenz und Kreativität, aber auch Wettbewerb und Rivalitäten. Der Trick ist, all diese Qualitäten für ein grosses Ganzes zu nutzen. Manchmal fliegen die Fetzen, weil einige frustriert sind, dass man ihnen nicht zuhört oder weil sie das Gefühl haben, dass ihre Idee besser ist als die der Gruppe. Aber ich bin immer wieder erstaunt, was Menschen zu schaffen fähig sind, wenn sie wirklich zusammenarbeiten. Sie können die schwierigsten konzeptuellen und kreativen Probleme lösen und daneben noch die kleinen Stolpersteine aus dem Weg räumen, die immer wieder auftauchen können. Dabei lernen meine Studierenden Dinge, die ich in einem konventionellen Unterrichtsumfeld nie vermitteln könnte. Wenn es funktioniert, ist das sehr inspirierend.

In Ihren Arbeiten thematisieren Sie die Wiederverwendung auf ganz unterschiedliche Art. Für die meisten Menschen bedeutet Architektur aber, neue Dinge zu bauen. Was fasziniert Sie an der Idee der Wiederverwendung?
Ich denke, das ist eine fundamentale Frage unserer Zeit. Die Idee, dass Architektur für neue Gebäude steht, ist ziemlich altmodisch. Bei den in der Ausstellung gezeigten Arbeiten würde ich behaupten, dass die Wiederverwendung unsere neue und einzige Realität ist. Die Idee, dass Architektur unabhängig von anderen Dingen, von der Geschichte, dem Ort und der Kultur erschaffen werden kann, ist Teil der Hybris des nun hundert Jahre alten Modernismus. Es ist eine Denkweise, die zur überaus schädlichen Trennung zwischen Natur und Kultur geführt hat. Um den drängenden Problemen der modernen Welt zu begegnen, etwa indem wir die natürlichen und wirtschaftlichen Ressourcen verantwortungsvoller nutzen und verteilen, müssen wir zuallererst anerkennen, dass wir alle Teil der Natur sind. Jedes Stück Land wurde irgendwann schon einmal eingenommen, ob durch die Landwirtschaft oder städtische Siedlungen. Wenn wir behaupten, wir würden etwas Neues schaffen, dann leugnen wir diese grundlegende Beziehung zu dem, was bereits besteht.

Und welches wiederverwendete «Material» gefällt Ihnen am besten?
Vielleicht das Wetter. Das haben wir sicherlich am meisten vernachlässigt.

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Das Projekt Jàu aus dem Jahre 2011 stammt auch aus dem Studio Tom Emerson (Bild: gta / ETH Zürich)

Zur Person

Tom Emerson wurde 1970 in Frankreich geboren und studierte an der Universität von Bath, dem Royal College of Art in London und der Universität von Cambridge. Die Professur Tom Emerson ist seit 2010 in das Departe­ment Architektur der ETH Zürich eingegliedert. Das Studio setzt einen Schwerpunkt auf die Wiederverwendung von Materialien, Bauten und Wissen sowie auf narrative Ele­mente der Geschichtsschreibung.

gta Ausstellungen – Das Herbstprogramm

Das Studio Tom Emerson, ETH Zürich, errichtet dieses Semester verschiedene Bühnen auf dem Hönggerberg, welche mit unterschiedlichen Ausstellungen und Veranstaltungen bespielt werden.

ETH Zürich, Hönggerberg, HIL, gta Ausstellungen
Öffnungszeiten: Mo – Fr 10 –18 Uhr; Sa/So und Feiertage geschlossen
Führungen von Studierenden: täglich um 12.30 Uhr

Laufend aktualisierte Informationen zum Herbstprogramm

 

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