Prägende Exkursionen

Auf Exkursion gehen? Für manche klingt das antiquiert. Doch die Lehrform wird an der ETH Zürich in vielen Studiengängen gepflegt. Zurecht, wie Studierende und Dozierende unisono finden, denn auf Lehrausflügen prägen sich Lerninhalte besonders gut ein.

Vergrösserte Ansicht: exkursion murgang
Auf Exkursionen gibt es Aha-Erlebnisse zuhauf, welche Lernhinhalte eingängig machen: Studierende auf dem Rücken eines Murgangs oberhalb von Davos Wolfgang. (Alle Bilder: Peter Rüegg/ETH Zürich)

Nass, kalt und ungemütlich ist es in Davos Mitte Juli. Auf 2000 Meter über Meer liegt neuer Schnee. Nichtsdestotrotz gehen ein Dutzend Studierende, Assistenten und drei Professoren des Departements Umweltsystemwissenschaften (D-USYS) auf Exkursion. «Böden und Vegetation der Alpen» ist das Thema, wobei sie das Programm dem Wetter anpassen mussten: Statt mit Pflanzen oberhalb der Waldgrenze befassen sich die Studierenden mit Bodentypen und der Vegetation unterhalb davon: Fichtenwald auf saurem, nährstoffarmem, sogenanntem Podsol-Boden, Bergföhrenwald auf Serpentinitgestein.

Während die Gruppe Geobotanik-Professor Matthias Baltisberger zuhört, haben viele Studierende ein Aha-Erlebnis: die vielen Keimlinge einer Bergföhre, die neben dem Mutterbaum aus dem Serpentinitschutt hervorschauen; der Gesteinsschutt, der vor wenigen Jahren von einem Murgang ins Tal verfrachtet wurde und bei jedem Schritt unter den Füssen nachgibt, der aktuelle Dauerregen, der solche Murgänge auslösen kann – die unterschiedlichen Eindrücke verdichten sich und brennen sich ins Gedächtnis ein.

Lernen mit allen fünf Sinnen

Das ist mit ein Grund, weshalb Exkursionen in zahlreichen Departementen der ETH Zürich einen hohen Stellenwert haben. Agrar-, Lebensmittel- und Erdwissenschaftler, Maschinen- und Bauingenieure oder Architekten gehen nach wie vor auf Lehrausflüge. Das Spektrum an Themen reicht von Betriebsbesichtigungen in Gontenbad, Appenzell, bis hin zu Seminarwochen am Singapore-ETH Centre (SEC) in Singapur. Exkursionen gehören für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu den Höhepunkten des Studiums.

«Auf Exkursion gehen» mag für manche antiquiert klingen. Für den Botaniker Baltisberger aber sind Exkursionen die Lehrform schlechthin, um Wissen über Pflanzen und deren Ökologie zu vermitteln. «Es gibt keine andere Lehrveranstaltung, in der die Studierenden so viel Stoff so leicht aufnehmen wie bei einer Exkursion. Es ist im wahrsten Sinn des Wortes eine eindrückliche Lehrform.» Für ihn sind Exkursionen «unsere wertvollste Unterrichtszeit». Hier könne der in Vorlesungen theoretisch vermittelte Stoff veranschaulicht und angewandt werden. In keiner anderen Lehrform könne der Stoff mit allen fünf Sinnen erfahren werden: «Man sieht die Pflanzen in ihrem Umfeld, sie können angefasst und in den Mund genommen oder sogar gegessen werden, man kann an ihnen riechen, und bei wenigen Arten gibt es auch akustische Merkmale.»

Ruben Kretzschmar, Professor für Bodenchemie am D-USYS, der an der Davos-Exkursion beteiligt ist, doppelt nach: «Es ist einfach nicht dasselbe, ob ich in der Vorlesung Bilder von Bodenprofilen zeige, oder ob wir sie draussen betrachten. Die Information prägt sich besser ein.» Der abstrakte Stoff aus der Vorlesung werde auf Exkursionen erlebbar.

Ausbruch aus dem Lernalltag

Vergrösserte Ansicht: Umweltingenieurswissenschaften-Student Matthias Gmür prägt sich die Merkmale eines Grases ein.
Umweltingenieurswissenschaften-Student Matthias Gmür prägt sich die Merkmale eines Grases ein.

Auch Studierende schätzen die Lehrausflüge als wertvoll ein. Der Umweltingenieurwissenschaften-Student Matthias Gmür belegt «Flora, Vegetation und Böden der Alpen» als fachspezifisches Wahlfach für sein Masterstudium. Er habe bereits an mehreren Exkursionen zu verschiedenen Themen teilgenommen, «vom Baustellenbesuch bis hin zu dieser Alpenflora-Exkursion». Exkursionen seien eine gute Möglichkeit, aus dem Lernalltag auszubrechen und Inhalte auf eine andere, einprägsame Art zu lernen, betont er.

«Auf Exkursionen kann ich das theoretische Wissen aus Vorlesungen festigen und anwenden», ergänzt Martin Kistler, Bachelorstudent der Umweltwissenschaften. Gerade für Umweltwissenschaftler seien Exkursionen wesentlich, um sich das in Vorlesungen Gehörte draussen vor Augen zu führen. Dabei erkenne man, dass in der Natur Übergänge fliessend seien und nicht so schematisch wie im Lehrbuch. Das sei eine wichtige Erfahrung.

Gute und schlechte Exkursionen

Das Exkursionsangebot in seinem Studiengang sei gut, in den Umweltwissenschaften sei es generell sehr gross, sagt Kistler. «Ich finde es toll, dass es so viele Exkursionen gibt.» Bisher habe er auch nur gute Exkursionen erlebt.

Worin unterscheidet sich denn eine schlechte von einer guten Exkursion? Kistler meint: «Eine Exkursion ist dann schlecht, wenn sie schlecht organisiert ist». Und Gmür fügt hinzu: «Oder wenn der eigens dafür geholte Experte weniger weiss als die Studenten.» Die Qualität einer Exkursion hänge davon ab, welche Personen, Professoren wie Assistierende, dabei seien. Sie müssten gut erklären können und engagiert sein. «Sind sie von ihrem Fach begeistert, geht das Lernen auf Exkursion wie von selbst.»

Hoher Zeit- und Personalaufwand

Nicht zuletzt zählt zu den Exkursionserfahrungen, dass sich die Studierenden besser kennenlernen und Kontakte knüpfen. «Auf Exkursionen lernt man Leute des gleichen Semesters kennen, mit denen man später auch zusammen auf Prüfungen lernen kann», sagt Constanze Conradin, die vor Jahren selbst als Studentin der Biologie an Botanik-Exkursionen teilnahm und nun als Assistentin die Studierenden führt. Und Gmür ergänzt: «Die Distanz zu den Lehrpersonen verkleinert sich ebenfalls. Auf Exkursionen hat man den Professor, den man nur aus dem Hörsaal kannte, auf Armlänge vor sich.»

Eine Nähe, die auch die Lehrpersonen schätzen: «Weil die Gruppen auf Exkursionen klein sind, können die Studierenden sehr intensiv und individuell betreut werden», sagt Baltisberger. Soziales Lernen und Erfahren seien Teile eines jeden Lehrausflugs. Das hat jedoch auch einen Haken. Exkursionen seien zeit- und personalintensiv. Dennoch müssten sie als Unterrichtsform unbedingt beibehalten oder noch besser ausgedehnt werden, fordert der Botanik-Professor, der 2016 emeritiert wird. «Kein noch so gut gestaltetes und didaktisch perfekt aufgebautes Tool am Computer kann das Erleben des Stoffes draussen ersetzen.»

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