Ausbildung im Spannungsfeld

Lernen angehende Bauingenieurinnen und Bauingenieure an der ETH Zürich das, was sie später im Berufsleben brauchen? Und wie sieht ihre Ausbildung in Zukunft aus? Diesen Fragen ging eine Podiumsdiskussion mit Vertretern des Departements Bau, Umwelt und Geomatik und der Industrie nach.

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Auf dem Podium diskutierten Vertreter aus der Industrie und dem Departement engagiert über die Zukunft der Bauingenieurausbildung. (Bild: AIV)

Der Beruf des Bauingenieurs ist ein Traumberuf. «Im Land der Tunnel und Brücken schaffen diese Fachleute Werke, die lange Bestand und erhebliche gesellschaftliche Relevanz haben», betonte Professor Ulrich Weidmann, der Vorsteher des Departements Bau, Umwelt und Geomatik (D-BAUG), zu Beginn der Veranstaltung. Es gelte deshalb, lange Zeithorizonte zu überblicken und soziale Kontexte miteinzubeziehen.

An der ETH Zürich hat die Ausbildung von Bauingenieurinnen und -ingenieuren eine lange Tradition, trotzdem stellt sich die Frage, ob die Lehre den heutigen Anforderungen noch entspricht. Der Akademische Ingenieur Verein (AIV) organisierte deshalb zu diesem Thema eine Podiumsdiskussion und fragte konkret: Was muss in der Lehre stärker gewichtet werden?

Der Kreisel in Taipeh ist anders

Anton Affentranger, CEO der Implenia AG, hatte darauf eine klare Antwort. «Ich wünsche mir mehr Querdenker, die Projekte nicht nur von der technischen Seite her erfassen, sondern zum multidimensionalen Denken fähig sind». Ins selbe Horn stiess der CEO der Firma Basler & Hoffmann AG, Dominik Courtin: Bauingenieure müssten auf die Gesellschaft und die Umgebung eingehen können. «Ein Ingenieur muss berücksichtigen, dass ein Kreisel in der Schweiz und einer in Taipeh anders sind», erklärte Courtin.

Schon bei diesen zwei Statements wurde deutlich, in welchem Spannungsfeld sich die Lehre befindet: Einerseits müssen die Studierenden technisch fundiert ausgebildet werden, andererseits steigen die Ansprüche an fächerübergreifendes Denken sowie an die Sozial- und Führungskompetenz. Die Geotechnikprofessorin Sarah Springman, die mit viel britischem Humor durch die Diskussion führte, wies bei dieser Gelegenheit auf den geplanten neuen Masterstudiengang «Integrated Building Systems» hin, der ab Herbst 2014 Studierende aus verschiedenen Fachrichtungen zusammenführen und so das transdisziplinäre Denken fördern soll.

Was die Dicke eines Stahlblechs aussagt

Mario Fontana, Professor für Baustatik und Konstruktion, brachte einen weiteren Punkt ins Spiel: Erfahrung. Es sei zentral, die Dicke eines Stahlblechs richtig berechnen zu können, aber am Ende entscheide sich ein erfahrener Bauingenieur eher für die sichere, dickere Variante. Und die Industrie würde wohl eine dünnere bevorzugen, tönte es lachend von der anderen Seite des Podiums. Und so wurde durch das einfache Beispiel des Stahlblechs ein zweites Spannungsfeld sichtbar: das von Theorie und Praxis. Einerseits ist die Lehre an der ETH stark der Theorie und dem Grundlagenwissen verpflichtet, andererseits ist das Studium auch eine Berufsausbildung. Die Luganer Stadträtin Christina Zanini Barzaghi gab zu bedenken, dass Ingenieure aufgrund ihres lösungsorientierten Denkens immer gefragt seien, die Kluft zwischen Theorie und Praxis also schon heute überbrückt sei.

Umnutzung von Bauwerken

In der abschliessenden Fragerunde gab es dann auch kritische Stimmen. Ob man an der ETH Zürich zu wenig innovativ bei der Ausbildung sei und möglicherweise den Anschluss an die Anforderungen der Zukunft verpasse, wurde gefragt. Weidmann entgegnete darauf, dass die Grundlagen im Wesentlichen die selben bleiben würden, aber sich Fragestellung und Ausgangslage verändern können. Als Beispiel nannte er die Erhaltung und Umnutzung von Bauwerken. «Heute müssen Bauingenieure den ganzen Lebenszyklus eines Bauwerks verstehen. Dessen Adaptierbarkeit wird ein zentrales Thema werden», sagte er mit Bestimmtheit voraus.

Bei einer Frage herrschte allerdings Einigkeit: Es müssen dringend mehr gute Bauingenieure und – wie Springman bei jeder Gelegenheit betonte – auch Bauingenieurinnen ausgebildet werden. Courtin und Affentranger stimmten darin überein, dass es schwierig sei, genügend gute Fachkräfte zu finden. Manchmal müssten interessante Aufträge sogar abgelehnt werden, weil zu wenig Leute vorhanden oder diese zu wenig flexibel seien. Bei den anwesenden Vertreterinnen und Vertretern des D-BAUG war allerdings deutlich herauszuhören, dass sie die besten Masterstudierenden gerne als Doktoranden an der ETH behalten würden. Und so entbrannte während der Diskussion ein spielerischer Kampf um Nachwuchstalente, die im Publikum sassen. Angehende Bauingenieurinnen und -ingenieure scheinen sich nicht nur für einen Traumberuf entschieden zu haben, sie haben wohl auch eine besonders krisenresistente Berufswahl getroffen.

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