Mit Gleichspannung in die Stromzukunft

Am 12. März jährt sich der Todestag von George Westinghouse zum 100. Mal. Der Erfinder verhalf der Energieübertragung mit Wechselstrom zum weltweiten Durchbruch. Um das Stromnetz der Zukunft zu bauen, forschen ETH-Ingenieure heute an der Gleichspannungstechnik.

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Herkömmliche Wechselstromnetze sind nicht dafür ausgelegt, elektrische Energie über weite Distanzen zu transportieren, wie es die Energiewende erfordert. (Bild: Flugflugfunmangel / flickr)

Als man gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann, Strom und elektrisches Licht zu nutzen, favorisierte der amerikanische Industriepatron George Westinghouse die Wechselspannung als Standard für das aufzubauende Stromnetz. Er lieferte sich mit seinem Rivalen Thomas Alva Edison, der sich für den Gleichstrom einsetzte, einen ebenso erbitterten wie skurrilen Streit, der als «Stromkrieg» in die Geschichtsbücher einging (siehe Kasten). Wechselstrom setzte sich durch, und mit ihm Westinghouse, der seither als Vorreiter jener Technik gilt, die heute weltweit die Basis für die Elektrizitätsversorgung bildet. 100 Jahre nach seinem Tod stellt sich die Frage erneut, welches die technische Stromart der Zukunft ist.

Gleichstrom im Aufwind

Wechselstrom ändert seine Richtung periodisch. Er hat gegenüber dem immer in dieselbe Richtung fliessenden Gleichstrom den Nachteil, dass er bei der Übertragung deutlich höhere Verluste produziert, die mit der Distanz zunehmen. Herkömmliche Stromnetze sind deshalb dafür ausgelegt, die elektrische Energie nur 100 bis 200 Kilometer von wenigen zentralen Kraftwerken zu den Verbrauchern im Umkreis zu transportieren.

Im Zuge der Energiewende will Europa nun nachhaltigen Strom von Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee oder von Solarkraftwerken im Süden über weite Distanzen in die Verbraucherzentren liefern. «Bestehende Wechselstromnetze sind dafür ungeeignet», sagt Christian Franck, Professor für Hochspannungstechnik an der ETH Zürich. Zusammen mit seinem Team entwickelt er Technologien für ein leistungsfähiges Stromnetz der Zukunft. «Dieses wird auf Gleichstrom basieren», ist sich Franck sicher. Im Fokus steht die sogenannte Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ), die Energie mit einem Verlust von lediglich rund drei Prozent pro Tausend Kilometer transportieren kann. HGÜ bildet die Grundlage des europäischen «Supergrid», das parallel zum bestehenden Wechselstromnetz gebaut werden soll.

«Das Stromnetz der Zukunft wird auf Gleichstrom basieren.»Christian Franck, Professor für Hochspannungstechnik

HGÜ ist an sich keine neue Technik. Sie wird zum Beispiel bereits verwendet, um das skandinavische Netz mit dem europäischen Festland durch die Nord- und Ostsee hindurch zu verbinden. Doch HGÜ-Leitungen bestehen bislang nur als Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, an deren Anfang und Ende aufwändige Umrichterstationen stehen, die den Wechselstrom verlustreich zu Gleichstrom umwandeln und wieder zurück. Um die Vorteile der Gleichstromtechnik ausschöpfen zu können, braucht es ein stabiles Netzwerk. Dazu müssen sich nicht nur die Hersteller von Gleichstromtechnik auf einen Standard einigen, sondern es müssen auch noch wesentliche technische Lücken geschlossen werden.

Sicherungen für das Supergrid

Ein Problem ist, dass es noch keine Schutzgeräte für HGÜ gibt. Fällt etwa ein Baum auf eine Leitung und verursacht einen Kurzschluss, braucht es leistungsfähige Schalter, welche die fehlerhafte Leitung schnell unterbrechen. Ähnlich wie bei den Sicherungen im Haus ist dabei die Geschwindigkeit zentral. Bei Hochspannungs-Gleichstromnetzen müssten Fehlerströme von mehreren zehntausend Ampere innerhalb von Tausendstelsekunden unterbrochen werden können. «Bislang gibt es leider nur wenige Prototypen für solche Leistungsschalter», sagt Franck. Diese können zwar den Strom schnell ausschalten, weisen aber hohe Verluste auf und sind sehr teuer. In einer Industriekooperation mit ABB arbeitet Francks Gruppe an einem Schalterkonzept, das gewöhnliche metallische Kontakte verwendet, um diese Nachteile wett zu machen. Da diese mechanisch geöffnet werden müssen, um den Strom zu unterbrechen, sind die Abschaltzeiten aber noch etwas länger.

Bestehende Freileitungen nutzen

Im Hochspannungslabor der ETH machen sich die Forscher um Franck auch Gedanken darüber, wie man ein HGÜ-Netz konkret aufbauen könnte. Das Supergrid-Konzept geht von neuen Starkstromleitungen aus, wie sie Deutschland derzeit für die Nord-Süd-Achse plant. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass sich die Bevölkerung massiv gegen solche Stromautobahnen wehrt. «Noch ist es technisch und wirtschaftlich nicht möglich, ein komplett unterirdisches Netz mit Kabeln zu realisieren, da deren Übertragungskapazität noch zu gering ist», sagt Franck. Eine Lösung sieht er darin, die bestehenden Hochspannungsmasten so umzurüsten, dass einzelne Leiter auch Gleichstrom transportieren. Damit liesse sich die nutzbare Übertragungskapazität im Idealfall fast verdreifachen. Im Rahmen eines Projekts mit Swissgrid untersuchen die Wissenschaftler, wie man Schweizer Strommasten dafür umbauen müsste.

Klimafreundliche Isoliergase

Francks Team forscht zudem an Gasen, mit denen hohe Spannungen auf engem Raum isoliert werden können, beispielsweise in Schalteranlagen von Elektrizitätswerken oder auf Plattformen im Meer. Bislang wurde hierfür am häufigsten das Isoliergas Schwefelhexafluorid (SF6) verwendet. SF6 ist aber eines der stärksten Treibhausgase überhaupt: 1 Kilogramm davon erwärmt das Klima ebenso stark wie 22800 Kilogramm CO2. Die Gruppe sucht daher nach klimaneutralen Gasmischungen, um SF6 zu ersetzen. Gelänge dies, so könnte man vermehrt Gleichstromkabel mit diesem Ersatzgas isolieren, statt wie bisher meist mit festem Polyethylen. Denn gasisolierte Leitungen haben eine deutlich höhere Übertragungskapazität. «Nachhaltige und effizientere Kabel könnten dereinst eine Alternative für neue Freileitungen werden», hofft Franck. Sind die ETH-Forschenden mit all ihren Projekten erfolgreich, könnte Thomas Alva Edison auf lange Sicht den Stromkrieg doch noch gewinnen.

Siegeszug des Wechelstroms

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Der amerikanische Unternehmer George Westinghouse förderte die Energieübertragung mit Wechselstrom. (Bild: Wikimedia Commons)

Im Stromkrieg («War of currents») um 1890 stritten sich George Westinghouse und Thomas Alva Edison über den Standard für die künftige Stromversorgung Amerikas. Dabei ging es um wirtschaftliche Interessen ihrer Industriefirmen: Edison General Electric hielt die Patentrechte für Glühlampen – das Schlüsselprodukt des ausgehenden 19. Jahrhunderts – und hatte bereits Teile New Yorks mit Gleichstrom elektrifiziert. Westinghouse Electric setzte auf Wechselstrom, für den bereits Transformatoren existierten. Sie erlaubten es, Strom mit hohen Spannungen verlustarm zu transportieren. Noch aber gab es für Wechselspannung keinen geeigneten Motor. Das änderte sich, als Nikola Tesla den mehrphasigen Elektromotor erfand, an dem sich Westinghouse die Patenterechte sicherte. Zusammen konzipierten Tesla und Westinghouse das amerikanische Stromnetz mit einer dreiphasigen Wechselspannung von 60 Hertz. Edison versuchte mit allen Mitteln, die Wechselspannung zu diskreditieren. So empfahl er, zum Tode verurteilte Gefangene mit Wechselstrom hinzurichten, und nannte dies «westinghousing» – doch vergeblich: die Vorteile von Wechselstrom überwogen damals. Westinghouse indes gelang es, die Weltausstellung 1893 in Chicago mit seiner Technik zu versorgen – eine werbewirksame Aktion, die den Siegeszug des Wechselstroms weiter beschleunigte.

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