Meeresbakterium weckt Hoffnung

Chemiker zeigen auf, wie eine neu entdeckte Wirkstoffklasse aus einem Meeres-Bakterium in den Stoffwechsel von Pflanzen oder Krankheitserregern eingreift. Die Substanzen sind ein Hoffnungsschimmer im Kampf gegen Unkräuter und Pathogene, die gegen gängige Mittel resistent werden.

Vergrösserte Ansicht: pseudilin
Ein Pseudilin bindet in die sogenannte allosterische Tasche. Die Enzymoberfläche erscheint grau, das Kohlenstoffgerüst des Pseudilins grün. Bromatome: violett, Sauerstoffatome: rot, Stickstoffatome: blau, Metallion: gelb.

Lange konnten sich Menschen in Sicherheit wiegen: Gegen lebensbedrohende Erkrankungen wie Malaria oder Tuberkulose halfen Medikamente respektive Antibiotika. Herbizide hielten unerwünschte Konkurrenten von Kulturpflanzen in Schach und dienten der Ertragssteigerung. Nun werden diese Waffen des Menschen rapide stumpf. Bakterien und Unkräuter haben Resistenzen entwickelt gegen die Mittel, mit denen der Mensch sie vernichten will. Die Forschung sucht deshalb fieberhaft nach neuen Substanzen und Wirkmechanismen, um Krankheiten sowie Unkräuter wieder in den Griff zu bekommen.

Auf eine mögliche Lösung ist nun ein Forschungskonsortium unter der Leitung von François Diederich, Professor für Organische Chemie der ETH Zürich, gestossen. In einer neuen Studie, die in der Fachzeitschrift «Angewandte Chemie» erschienen ist, beschreiben sie einen neue Substanzgruppe und bisher unbekannte Wirkmechanismen, mit denen sowohl Malariaerreger als auch Unkräuter bekämpft werden könnten.

Terpene sichern Überleben

Die Substanzen greifen in einen bestimmten Stoffwechselvorgang dieser Organismen ein, der bei Säugetieren nicht vorkommt. Pflanzen sowie verschiedene Einzeller, darunter die Erreger von Malaria und Tuberkulose, stellen über den so genannten Mevalonat-unabhängigen Biosyntheseweg Terpene her. Zu dieser Stoffklasse gehören Steroide oder Karotinoide. «Terpene sind extrem wichtige Pflanzenstoffe, ohne die sie nicht überleben», sagt Diederich.

Dieser Syntheseweg wurde in den 1990er entdeckt und erstmals beschrieben. In der Folge fanden Wissenschaftler sieben Enzyme, welche verschiedene Ausgangsstoffe chemisch umbauen, um daraus Terpene zu bilden. Diese Enzyme wurden als Ziele für therapeutische Eingriffe erkannt: Kann man sie mit einer geeigneten Substanz hemmen, bricht die Synthese der Terpene zusammen, und der betroffene Organismus stirbt ab.

Altbekannte Wirkstoffe neu entdeckt

So blockiert ein kommerziell erhältliches Pflanzenschutzmittel das erste Enzym dieser Kette, ein Antibiotikum das zweite. Forscher zeigen jetzt auf: Auch das dritte Enzym (IspD) ist hemmbar, und zwar durch Pseudiline. Auf diese Wirkstoffe sind die Forscher dank gezielter Nachsuche in der Wirkstoffbibliothek des Chemiekonzerns BASF gestossen. Bereits in den 1960er Jahren wurden Pseudiline aus einem Meeresbakterium der Gattung Pseudomonas isoliert.

In ihrer Studie beschreiben die Forscher nun, wie Pseudilinderivate auf IspD wirken. Diese Substanzen sind gekennzeichnet durch ungewöhnlich viele Halogene wie Brom oder Chlor. Sie lagern sich unter anderem über Halogen-Brückenbindungen sowie einen Metallionkomplex an eine so genannte taschenförmige Vertiefung an der Enzymoberfläche an. Dadurch verändert das Enzym seine ursprüngliche Form, sodass es keine Substrate mehr umsetzen kann. Diese Vertiefung hat den Vorteil, dass dort Pseudiline von unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung hineinpassen, dass es also nicht das oftmals exklusive Schloss-Schlüssel-Prinzip von Enzym und Substrat braucht, um die Stoffe zu binden.

Die Forscher testeten die wieder entdeckten Wirkstoffe gegen die Ackerschmalwand, eine viel benutzte Modellpflanze, und gegen den Malariaerreger Plasmodium vivax. Die Resultate liessen aufhorchen: Gegen beide Organismen, so verschieden sie auch sind, waren die Pseudiline wirksam. Säugetierzellen aber reagieren nicht darauf, da bei ihnen die Terpen-Bildung über einen anderen Stoffwechselweg abläuft.

Nur zehn von 1900 Ideen erfolgreich

Diederich möchte nun weitere, noch wirksamere Pseudilinderivate im Labor herstellen und überprüfen. Deren Aktivität müsse um den Faktor 100 verbessert werden, damit sie für die Pharmaforschung interessant werden. Gleichzeitig dämpft er zu hohe Erwartungen an die neuen Wunderwirkstoffe. «Von 1900 Ideen, die in die Produktepipeline gelangen, werden laut einer Untersuchung der Universität St. Gallen nur 50 erfolgreich auf den Markt gebracht», sagt der ETH-Professor. Und nur eines von fünf lancierten Produkten werde zum Blockbuster.

An der Forschungsarbeit über die Pseudiline waren rund 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Partnerinstitutionen beteiligt. Neben der ETH Zürich waren auch das Tropeninstitut der Universität Basel, die TU München, die Universitäten Dresden und Hamburg sowie als Industriepartner BASF involviert. Das Pseudilinprojekt ist Teil eines Programms zum strukturbasierten Wirkstoffdesign. «Bei diesem Programm geht es um Big Science», sagt Diederich, «das kann man nur noch in grossen Konsortien, in denen 50 bis 60 Forscherinnen und Forscher zusammenarbeiten, bewältigen.»

Literatur

Kunfermann A et al. Pseudiline: halogenierte, allosterische Inhibitoren des Enzyms IspD aus dem Mevalonat-unabhängigen Biosyntheseweg. Angewandte Chemie 2014, 126, 1-7, DOI: externe Seite10.1002/ange.201309557

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