Proteinklumpen als Gedächtnis

Hefezellen können ein Gedächtnis ausbilden, und zwar durch ein Aggregat aus sich zusammenlagernden «entarteten» Proteinen. Ein ähnlicher Gedächtnismechanismus wird auch in Nervenzellen höherer Organismen vermutet.

Vergrösserte Ansicht: hefe
EM-Bild von Hefezellen, die in Teilung begriffen sind: Vergebliche Paarungsversuche werden abgespeichert. (Bild: keystone/Science Photo Library)

Hefen haben ein etwas kompliziertes Liebesleben. Zum einen kann eine Mutterzelle durch Zellteilung (Mitose) genetisch identische Tochterzellen produzieren. Zum anderen können Hefezellen aus zwei verschiedenen Paarungstypen miteinander verschmelzen und so zwei unterschiedliche Gensätze zusammenführen. Aus zwei Hefezellen mit je einem Chromosomensatz wird eine sogenannte Hefezygote mit zwei Chromosomensätzen.

Damit sich zwei verschmelzungswillige Hefezellen einander annähern können, sendet jeder Paarungstyp einen bestimmten Lockstoff aus. Nehmen sie diesen wahr, stoppt die Zellteilung, die Geschlechtspartner bilden eine besondere Verlängerung aus, eine Art Paarungsfortsatz. Treffen diese einander, können die Zellen verschmelzen und die Zygote bilden. Verfehlen sich aber die Partner, fahren beide damit fort, asexuell Nachkommen zu produzieren.

Unvermutetes Gedächtnis

Nun haben die ETH-Forscher Fabrice Caudron und Yves Barral, Professor für Biochemie, einen bisher unbekannten Mechanismus entdeckt, mit dem Hefezellen «schlechte Erfahrungen» in Sachen Fortpflanzung abspeichern können. Zeitigt ein Annäherungsversuch keine Resultate, so bildet die erfolglose Zelle ein molekulares Gedächtnis aus. Dabei wird das Protein Whi3 umgeformt und dadurch inaktiviert. Einmal verformt, «steckt» das veränderte Whi3 weitere gleichartige Proteine an. Sie lagern sich aneinander an und bilden Aggregate. Die Hefezelle kann diese kaum mehr auflösen. Die Whi3-Aggregate bewirken, dass künftige «Liebhaber» eine viel höhere Menge des Botenstoffs aussenden müssen, damit diese Zelle darauf reagiert. Ist die Menge zu gering, wird sie sich weiterhin nur mitotisch teilen.

«Bis anhin vermutete niemand, in einem einzelligen Organismus ein derartiges Gedächtnis zu finden», betont Yves Barral die Einzigartigkeit der Entdeckung. Interessanterweise bestehe eine Verbindung zwischen Gedächtnis und der Alterung. Denn mit zunehmendem Alter der Zelle häufen sich die Erinnerungsstücke in Form solcher Aggregate in einer Zelle an. «Einen passenden Geschlechtspartner zu finden, wird mit der Zeit immer schwieriger», sagt der ETH-Professor. Denn: Der Aggregationsprozess sei kaum mehr rückgängig zu machen. Nur sehr selten gehe das Gedächtnis verloren, indem die Zelle die Aggregate abbauen könne. Die Tochterzellen, die eine Mutterzelle abschnürt, erhalten das Gedächtnis nicht vererbt, die Aggregate verbleiben in der Mutter. So entsteht nicht vorbelasteter Nachwuchs, die Tochterzelle ist jung. Wie die Mutterzelle die Proteinaggregate zurückbehält, ist ein wichtiger Mechanismus, den Barral und Caudron derzeit erforschen.

Gedächtnis spart Energie

Noch unerforscht ist, weshalb Hefezellen diese Stoffe (und weitere) speichern. «Ein Gedächtnis könnte deshalb für die Hefe nützlich sein, um weitere unproduktive, aber energieintensive Paarungsversuche zu verhindern», sagt Caudron, der die vergangenen sechs Jahre in diesem Phänomen forschte. Die Hefe ist in einem Dilemma. Bildet sie nur Klone, wird die Population genetisch einheitlich und kann zum Beispiel bei einer plötzlich eintretenden Veränderung der Umweltbedingungen aussterben. Sexuelle Fortpflanzung hingegen führt zu einem genetisch variablen Bestand, doch müssen die Zellen dafür mehr Energie aufwenden. Problematisch dabei sind «mogelnde» Hefen. Produziert nämlich eine andere Zelle oder gar ein fremder Organismus den Lockstoff, ohne eine Paarungsmöglichkeit anzubieten, wartet eine unvoreingenommene Zelle vergeblich auf den vermeintlichen Partner und teilt sich währenddessen nicht mehr. Dies schaltet sie als Konkurrentin um Nährstoffe zu ihrem eigenen Nachteil aus. Deshalb lohnt es sich nur dann auf Lockstoffe zu reagieren, wenn der Fortpflanzungserfolg garantiert ist. Darauf Aussicht hat eine Hefezelle nur, wenn der Lockstoff hoch konzentriert ist und die unmittelbare Nähe eines Partners anzeigt.

Vom Bakterium zum Vielzeller

Mit ihrer Arbeit weisen die ETH-Wissenschaftler zum ersten Mal eine Form von nicht vererbbarem Gedächtnis in einem einzelligen Lebewesen nach. Das System von Proteinaggregaten scheint jedoch universell und in der Evolutionsgeschichte relativ alt zu sein. Barral weiss auch von Bakterien, die wie Hefezellen «alt» werden. Auch sie könnten über einen ähnlichen Gedächtnismechanismus verfügen, vermutet er. Nachgewiesen ist ein solcher Mechanismus auch bei der Essigfliege Drosophila. Männchen führen einen Balztanz auf, um die Gunst eines Weibchens zu gewinnen. Ist es bereits befruchtet, geht es nicht darauf ein. Das Männchen speichert diese Erfahrung in Nervenenden, den Synapsen, mithilfe von Proteinaggregaten ab. Für Barral und Caudron sind dies Hinweise darauf, dass Gedächtnisprozesse in Mehr- und Einzeller sehr ähnlich sind. «Wer hätte gedacht, dass ein Einzeller wie die Hefe uns helfen kann zu verstehen, wie wir unsere Erfahrungen speichern?» sagt Barral.

Literatur

Caudron F & Barral Y. A Super-Assembly of Whi3 Encodes Memory of Deceptive Encounters by Single Cells during Yeast Courtship, Cell (2013) online publication 5th December 2013. DOI: externe Seite10.1016/j.cell.2013.10.046

Ähnliche Themen

Forschung

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert