Mission an der Grenze des Möglichen

Vermessung des Erdmagnetfelds aus dem All: Der Geophysiker Andy Jackson geht mit der ESA-Mission SWARM an die Grenze des wissenschaftlich Möglichen.

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Der Geophysiker Andy Jackson leitet eine Teilmission des ESA-Projekts SWARM. (Bild: Giulia Marthaler / ETH Zürich)

Im Rahmen von externe SeiteSWARM werden drei identische Satelliten, bestückt mit Messgeräten, ins All gebracht. Ihre Aufgabe ist, das Erdmagnetfeld präzise zu vermessen. Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) hat ein Konsortium aus sechs Forschungsinstitutionen damit beauftragt, die Daten von SWARM auszuwerten und aufzubereiten, sodass sie der Wissenschaftsgemeinde zur freien Verfügung stehen. Eine wichtige Rolle innerhalb des SWARM-Konsortiums spielt eine Forschungsgruppe der ETH Zürich unter der Leitung von Professor Andrew Jackson vom Institut für Geophysik. Im Interview mit ETH-News erklärte er die Aufgaben und Ziele des Projekts.

ETH-News: Heute Mittag wird SWARM vom russischen Raumfahrtzentrum Plessezk in die Erdumlaufbahn geschossen. Welche Rolle spielt Ihre Forschungsgruppe in dem Projekt?
Andy Jackson: Das ETH-Team ist dafür zuständig, anhand der Daten die Verteilung der elektrischen Leitfähigkeit des Erdmantels zu ermitteln. Dies ist möglich, weil der Sonnenwind die Erde so beeinflusst, dass das Erdmagnetfeld zeitlich variiert. Diese Variationen erzeugen innerhalb des Erdmantels schwache elektrische Ströme, die sowohl auf der Erdoberfläche als auch von Satelliten aus gemessen werden können. Die Zeitmassstäbe, die hier im Spiel sind, erlauben Messungen bis etwa 1000 Kilometer tief in den Mantel hinein. An der Spitze unserer Arbeit, vor allem jener von Gruppenleiter Alexey Kuvshinov, ist das Bestreben, vom All aus ein dreidimensionales Bild der Variationen in der elektrischen Leitfähigkeit des Mantels zu erhalten. Dies ähnelt einem medizinischen Computertomogramm des Hirns. Da dies bisher noch nie jemand gemacht hat, ist dieses Vorhaben hart an der Grenze des wissenschaftlich Möglichen. Ein solches Bild würde uns aber helfen, die Konvektionsbewegungen im Erdmantel, die für die Plattentektonik verantwortlich sind, besser zu verstehen.

Was genau messen die Satelliten?
Die Satelliten sind mit zahlreichen Instrumenten ausgestattet. Dazu gehören die Drei-Komponenten-Magnetometer, die für unsere Arbeit entscheidend sind. Zur Ausstattung gehören ausserdem Beschleunigungsmesser, welche auf das Gravitationsfeld der Erde empfindlich reagieren, Geräte zur Messung des Kraftfelds der Weltraumumgebung, GPS-Empfänger und Rückstrahler zur genauen Ausrichtung sowie hochpräzise Star Tracker zur Orientierung.

Magnetisierbare Minerale, beispielsweise in erkaltender Lava, richten sich wie Kompassnadeln am Erdmagnetfeld aus. Anhand dieser Gesteine wissen wir, dass das Erdmagnetfeld in den vergangenen 200 Millionen Jahren im Durchschnitt alle 200'000 bis 300'000 Jahre seine Richtung geändert haben muss. Seit 780'000 Jahren ist das jedoch nicht mehr passiert. Erhoffen Sie sich von SWARM eine Erklärung hierfür?
Aufgrund des Unterschieds zwischen dem Zeitmassstab der Mission – vier Jahre – und dem grossen Zeitraum, über den hinweg Polumkehrungen stattfinden, ist es sehr unwahrscheinlich, dass wir zu dieser Diskussion beitragen können. Polumkehrungen dauern zwischen 5000 und 10’000 Jahren wie aus zahlreichen Sedimentproben vom Meeresgrund hervorgeht – in den Sedimentschichten sind die Veränderungen des Magnetfelds im Verlauf der Zeit aufgezeichnet.

Was sind weitere grosse Fragen, die man mit Hilfe des SWARM-Projekts beantworten möchte?
Aufgrund der sehr hohen Genauigkeit der Mission erwarten wir, dass zeitliche Veränderungen des Magnetfelds präziser als je zuvor aufgezeichnet werden können. Diese hängen eng zusammen mit den Bewegungen des flüssigen Eisens zuoberst im Erdkern. Diese Bewegungen gehören zu den Konvektionsbewegungen, die für den sogenannten «Dynamo-Effekt» verantwortlich sind. Das ist der Prozess, durch den – nach dem Faradayschen Gesetz – Energie in Bewegung und dann in Magnetfelder verwandelt wird. Unser Vermögen, diese Bewegungen kleinräumiger und detaillierter zu beobachten, wird dank der Geometrie und Konstellationseigenschaften der Mission stark verbessert. Besonders interessant ist, dass sich die Fliesseigenschaften der Konvektionsbewegungen sehr rasch innerhalb weniger Jahre verändern können.

Das Erdmagnetfeld ist auch ein Schutzschild um die Erde, der das Leben beispielsweise vor kosmischer Strahlung schützt. In den vergangenen 150 Jahren wurde das Erdmagnetfeld 10 Prozent schwächer. Ist das ein Hinweis darauf, dass sich dieses derzeit umpolt?
Diese Frage wird oft gestellt und ist schwierig zu beantworten. Zuoberst im Erdkern unterhalb Südamerikas liegt ein grosses Magnetfluss-Gebiet, dessen Polarität umgekehrt ist von jener, die in dieser Hemisphäre erwartet würde. Wir nennen diese Besonderheit ein «reverse-flux patch». Die Bewegung und möglicherweise das Wachstum dieses Gebiets hängen wahrscheinlich mit der Abschwächung des Erdmagnetfeldes zusammen. Sie sind sicher verantwortlich für ein Gebiet mit besonders schwacher Feldstärke vor der Küste Brasiliens, die sogenannte Südatlantische Anomalie. Diese wirkt sich auf die Technik aus, weil die Schwäche des Feldes auch den Schutz vor der Sonneneinstrahlung schwächt: In diesem Gebiet haben beispielsweise viele Satelliten mit niedriger Erdumlaufbahn Strahlungsschäden. Die SWARM-Mission wird uns nun dabei helfen, die Entwicklung dieses Gebiets genau zu beobachten. Wir wissen zwar nur sehr wenig über den Mechanismus von Polumkehrungen, aber es ist nicht undenkbar, dass dieses Gebiet tatsächlich ein Vorbote einer Umkehrung ist. Setzt sich der aktuelle Trend fort, dann würde er trotzdem erst in etwa 1000 bis 2000 Jahren zu einer Umkehrung führen.

Wir würden gerne wissen, wann und ob eine Polumkehrung stattfindet, obwohl wir ja eigentlich nichts dagegen tun können. Oder hat die Forschung irgendwelche Ideen?
Es gibt wirklich nichts, was wir tun können – der Erdkern ist gewaltiges Objekt mit ausserordentlichen, nicht aufzuhaltenden Felderzeugungs-Eigenschaften.

Was für Folgen wird eine solche Umpolungsphase für das Leben auf der Erde haben?
In der ganzen Erdgeschichte gab es bisher wenige Polumkehrungen und anhand von Fossilien erkennen wir keinen Einfluss auf das Leben, weder im positiven noch im negativen Sinne. Ich möchte betonen, dass das Feld inmitten einer Umkehrung nicht komplett verschwindet, sondern dass seine Stärke auf etwa 10 bis 20 Prozent der jetzigen Stärke fällt. Es verliert jedoch seine zweipolige Geometrie, sodass es mehrere magnetische Pole geben kann. Etliche Tierarten nützen das Feld zur Navigation, und deshalb wird oft gefragt, wie sie mit einer Umkehrung zurechtkommen würden. Man darf nicht vergessen, dass Tiere ihren magnetischen Kompass ständig neu einstellen müssen, um sich an die allmählichen Veränderungen des Magnetfeldes, die über Jahrhunderte hinweg stattfinden, anzupassen. Da Umkehrungen relativ langsam ablaufen - obwohl es auf der Zeitskala der biologischen Evolution ziemlich schnell ist -, könnten Tiere damit wahrscheinlich zurechtkommen. Aber da es dazu bisher kein direktes Experiment gegeben hat, können wir nichts mit Gewissheit sagen!

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