Das Dach, die Erde und dazwischen das Haus

Vor dem Architekturgebäude auf dem Hönggerberg steht derzeit ein Prototyp einer neuen Dachkonstruktion. Er besitzt sogenannte Hybridkollektoren, die Wärme und Strom von der Sonne tanken. Das Dach ist Teil des Systems «2SOL», das Sonnenkollektoren mit Erdwärmesonden verbindet.

Vergrösserte Ansicht: Schema 2Sol
Schema des 2SOL-Systems. (Illustration: Niklaus Haller, Professur für Gebäudetechnik / ETH Zürich)

«2SOL» ist unsere Antwort auf die Frage, wie Gebäude in Zukunft ohne fossile Brennstoffe beheizt und gekühlt werden können. Die neue Dachkonstruktion entstand an der Schnittstelle von Ingenieurwesen und Architektur. Sie ist das Ergebnis eines permanenten Austauschs zwischen diesen beiden Disziplinen, die sich in der Praxis allzu oft diametral gegenüber stehen. Wir sind fest davon überzeugt, dass Lösungen für die nachhaltige Umwandlung des Gebäudeparks nur im Dialog entstehen können. Deswegen möchten wir zwei wichtige Aspekte unseres Projektes jeweils aus der Perspektive des Ingenieurs und des Architekten beleuchten:

Sonnenkollektoren und Erdwärmesonden

Sicht des Ingenieurs: Der Hybridkollektor ist die Erntemaschine im System «2SOL»: Sie erntet Strom und Wärme von der Sonne. Wir wissen, dass die Sonne unregelmässig scheint. Daher sind zusätzliche Wärmequellen notwendig. Mittels Erdwärmesonden wird das Erdreich unter dem Gebäude als Umweltwärmequelle erschlossen. Diese liefert der Wärmepumpe die Wärme auf dem notwendigen hohen Temperaturniveau. Die Wärme aus dem Hybridkollektor wird zur sommerlichen Regeneration des Erdwärmespeichers benutzt. So wird dem Erdreich bis zum Herbst wieder diejenige Menge an Wärme zugeführt, die ihm über die Winterzeit entzogen wird. Diese nachhaltige Bewirtschaftung des Erdreiches durch den Hybridkollektor ermöglicht eine gleichbleibende Effizienz des Gesamtsystems.

Sicht des Architekten: Das Dach ist Bestandteil der Hülle und fünfte Fassade eines Gebäudes. Die Integration von Photovoltaik und Solarthermie wird allgemein sehr kontrovers geführt. Wir verstehen die Umwandlung der Solarenergie als zusätzliche Hauptfunktion des Daches und plädieren deshalb für eine Neuinterpretation des Bauteils in Bezug auf Konstruktion, Form und Materialität. Wir suchen nach einer neuen konstruktiven Logik, einer Synthese aus traditionellen und neuen Anforderungen an das Bauteil Dach. Anstatt Einzeldachflächen betrachten wir das gesamte Dach. Das kann durchaus zu weniger effizienten Anlagen führen, dafür gewinnt das Dach seine raumbildende Funktion zurück. Insbesondere im Hinblick auf die anhaltende Verdrängung des Schrägdaches durch Flach- und Attikadächer weist der Ansatz grosses Potenzial auf.

Vergrösserte Ansicht: Zusammenbau Prototyp
Produktion des Prototyps in der Werkhalle von Erne Holzbau. (Bild: Niklaus Haller, Professur für Gebäudetechnik / ETH Zürich)

Gebäudetechnik als Gesamtsystem

Sicht des Ingenieurs: Die Effizienz eines Prozesses ist die treibende Motivation bei jeder Entwicklung. Dieser Grundsatz prägt die bisherige Solartechnik und generell die Gebäudetechnik, wobei meistens die einzelnen Komponenten an der Effizienz gemessen und entsprechend entwickelt werden. Was wir mit «2SOL» anstreben, ist jedoch nicht die Maximierung der Effizienz der einzelnen Komponenten, sondern die Eleganz des Systems «Gebäude» als Ganzes. Dafür müssen die Einzelkomponenten optimal aufeinander abgestimmt und das Gesamtsystem robust sein. So stand bei «2SOL» die Systemforschung anstelle der traditionellen Komponentenentwicklung im Vordergrund.

Wird das Gebäude als System betrachtet und optimiert, ergeben sich plötzlich neue Möglichkeiten: Mit der hohen Verfügbarkeit von Umweltwärme ist etwa die Wärmerückgewinnung aus der Abluft energetisch und ökonomisch plötzlich nicht mehr opportun. Dies ist mit den aktuellen Normen nicht vereinbar. Man muss beginnen, diese zu hinterfragen.

Sicht des Architekten: Die Gebäudetechnik ist und bleibt nur Mittel zum Zweck. Das Potenzial unseres Ansatzes besteht in der ganzheitlichen Betrachtung von Gebäude und Technik. Dadurch muss sich aber auch der Architekt mit dem System auseinandersetzen. Er kann sich nicht mehr nur um die Platzierung der Steckdosen und die Bereitstellung eines Technikraumes im UG kümmern – die gesamte Kette von der Energieumwandlung über die Speicherung bis hin zur Abgabe muss im Entwurf integriert werden. Diese Auseinandersetzung führt zu einer feinen Ausbalancierung von Massnahmen an der Gebäudehülle und am technischen System. Für den Architekten bedeutet das eine höhere gestalterische Freiheit – vom einzelnen Bauteil bis hin zum städtebaulichen Konzept.

Vom Konzept zur Marktlösung

Als Forscher und Entwickler haben wir den Konzeptbeweis erbracht. Jetzt folgt die Industrialisierung des Systems. «2SOL» wird nun von einer Reihe von Firmen als Gesamtlösung am Markt angeboten. So kann die Energiestrategie 2050 umgesetzt werden.

 

 

Weiterführende Informationen

Lesen Sie auch den Artikel auf ETH News: Toolbox für C02-freie Gebäude

Weitere Informationen zum System: externe Seitewww.2sol.ch

Zu den Autoren

Niklaus Haller

Mitarbeiter, Professur für Gebäudetechnik

ETH Zürich

Marc Bätschmann

Marc Bätschmann

Mitarbeiter, Professur for Gebäudetechnik

ETH Zürich

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