Bambus – das «Material der Götter»

Diesen Namen gab der kolumbianische Architekt Oscar Hidalgo-Lopez seiner 2003 erschienen Enzyklopädie über das Gras, das eine unglaubliche Vielfalt von Einsatzmöglichkeiten besitzt, angefangen von Textilien über Baumaterialien bis hin zu medizinischen Anwendungen.

Enlarged view: Bambus-Kompositmaterial im Zugtest
Ein neuer Werkstoff aus Bambusfaser und Harz im Zugtest. (Bild: Carlina Teteris)

In meiner Zeit als Scientific Director des Ethiopian Institute of Architecture, Building Construction and City Development (EiABC) in Äthiopien wurde ich immer wieder mit derselben Tatsache konfrontiert: Die gewaltigen Anstrengungen der äthiopischen Regierung, Wohnraum und Infrastruktur in den Städten zu schaffen, beruhen stets auf importierten Bautechnologien aus westlichen Ländern. Seit der erfolgreichen Verteidigung des abessinischen Reiches gegen die Italiener in der Schlacht von Adua unter Menelik II im Jahre 1896 – und dem daraus entstehenden Königreich in den Grenzen des heutigen Äthiopiens – führte das Land stets von neuem westliche Technologien und Maschinen ein, welche die Entwicklung einer eigenen Produktion und den dazu nötigen Wissensaufbau hemmten.

Und so verwundert es nicht, dass seit ca. 20 Jahren der Betonbau in den städtischen Gebieten Äthiopiens die alles dominierende Konstruktionsmethode ist. Leider fehlt solides Wissen darüber, wie diese Technologie anzuwenden ist, was zu verheerenden Bauschäden und unsicheren Gebäuden führt. Zudem hat die Wahl dieser Bautechnologie auch makroökonomische Folgen: fast 80 Prozent des nicht unerheblichen äthiopischen Staatsdefizits sind auf die Einfuhr von Zement, Stahl, Glas und Maschinen zurückzuführen, die diese Materialien verarbeiten können. Betrachtet man den Import von Stahl alleine, stellt man fest, das in ganz Afrika nur zwei der insgesamt 54 Länder überhaupt Stahl produzieren: Südafrika und Ägypten.

Bambus statt Stahl im Beton

Wann immer wir beim Aufbau unseres Instituts Stahl oder Zement brauchten, dauerte es Wochen, bis diese verfügbar waren, da grosse staatliche Baustellen Vorrang hatten. Aus diesem Dilemma heraus entwickelten wir eine Idee, die einheimische Materialien vorziehen sollte. In Äthiopien wachsen rund 70 Prozent des kompletten afrikanischen Bambusbestandes. Mein Kollege Karsten Schlesier begann, Bambus in kleinen Bauten zu testen. So lernten wir immer mehr über die beeindruckenden Materialeigenschaften dieses Grases: Zum Beispiel seine enorme Zugfestigkeit. Warum nicht den Stahl, den wir als Konstruktions- und Armierungseisen brauchen, durch Bambus ersetzen und so eines der dringlichsten Probleme der äthiopischen Bauindustrie umgehen? Wie wir bald feststellten, war dieser Gedanke nicht neu. Bereits in den 1960-er Jahren forschten Wissenschaftler in den USA an dieser Idee und errichteten sogar grosse Gebäude. Sie scheiterten aber stets daran, dass der natürliche Bambus im Beton mit der Zeit verrottete und die Gebäude nach einigen Monaten einstürzten.

Werkstoff aus Faser und Harz

Eingebettetes Bambus-Kompositmaterial im Drucktest
Das eingebettete Bambus-Material wird auf Druckbelastung geprüft (Bild: Carlina Teteris)

Dennoch blieben wir am Thema dran, und durch meine Berufung Anfang 2012 an das ETH Future Cities Laboratory in Singapur bot sich dann die Gelegenheit, dieses Vorhaben unter bestmöglichen Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln. Unser frisch gegründetes siebenköpfige Team begann, ein spezielles Labor einzurichten, das die Produktion eines Bambus-Kompositmaterials und dessen Analyse erlaubt. Unsere Idee ist es, die Bambusfaser nicht als rohes Stück Materie einzusetzen, sondern sie speziell aus dem Halm des Bambus zu extrahieren, mit einem Harz zu mischen und dann in eine neue Form zu pressen. Dazu konnten wir die Firma REHAU als Forschungspartner gewinnen.

Doch die ersten Versuche waren ernüchternd: Das Material wies wesentlich schlechtere Eigenschaften auf als der originale Bambus. Heute, zehn Monate nach Eröffnung des Labors, sind wir allerdings in der Lage, einen Werkstoff herzustellen, der die gleiche Zugfestigkeit aufweist wie Baustahl. Zusammen mit weiteren ETH-Fachbereichen und der EMPA sind wir nun daran, Eigenschaften wie die Langlebigkeit, die thermische Ausdehnung und das Kriechverhalten zu erforschen und zu optimieren. Unser Ziel: einen Werkstoff herzustellen, der in den Ländern des tropischen Gürtels als Alternative zu Stahl genutzt und produziert werden könnte.

Suche nach alternativen Baumaterialien

Was mit einer architektonischen und konstruktiven Notsituation in Äthiopien begann, hat sich mittlerweile zu einer ausgewachsenen Forschung am Future Cities Laboratory in Singapur, am EiABC in Addis Ababa und am Departement Architektur der ETH Zürich entwickelt. Geschätzte 90 Prozent der zukünftigen Urbanisierung wird in Ländern des tropischen Gürtels stattfinden – in genau jenen Regionen also, wo Bambus und andere nachwachsende Rohstoffe mit enormer Zugfestigkeit gedeihen. Wir mussten unsere eigentliche Domäne der Architektur weit verlassen, um dieses zukunftsträchtige Baumaterial zu entwickeln. Und dennoch ist das nur ein Tropfen auf den heissen Stein, da für viele weitere Baumaterialien ebenfalls nachhaltige Alternativen nötig wären. Das gilt nicht nur für Entwicklungsländer, sondern vor allem auch für die «entwickelte Welt».

Weiterführende Informationen

Mehr über Bambus und das Bambus-Projekt finden Sie hier

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