Meeresbiologin mit Mission

Korallenriffe leiden unter dem Klimawandel. Ulrike Pfreundt will mit ökologisch sinnvollen Strukturen aus dem 3D-Drucker künstliche Riffe ermöglichen, die widerstandsfähigeren Korallen neuen Lebensraum bieten.

Ulrike Pfreundt sucht nach geeigneten Oberflächenstrukturen für künstliche Riffe, um Korallenlarven wieder anzusiedeln. Im Bild: 3D-Sanddrucke von Mathias Bernhard, wie sie dereinst zum Einsatz kommen könnten. (Bild: ETH Zürich / Peter Rüegg)  
Ulrike Pfreundt sucht nach geeigneten Oberflächenstrukturen für künstliche Riffe, um Korallenlarven wieder anzusiedeln. Im Bild: 3D-Sanddrucke von Mathias Bernhard, wie sie dereinst zum Einsatz kommen könnten. (Bild: ETH Zürich / Peter Rüegg)  

Ulrike Pfreundt denkt gerne gross und weiss, was sie will. «Erwärmen sich die Weltmeere ungebremst weiter, drohen bis 2050 über 90 Prozent aller Korallenriffe abzusterben – dagegen möchte ich etwas tun», sagt die 34-jährige deutsche Forscherin.

Dass die bunt leuchtenden Lebensgemeinschaften zusehends erblassen, betrübt die Biologin sichtlich. Korallen verdanken ihre prächtigen Farben symbiotischen Algen, die in ihrem Gewebe leben und sie mit Nahrung versorgen. Wird das Wasser zu warm, stossen die Korallen die Algen ab, bleichen aus und verhungern mit der Zeit.

«Da Riffe die Brutstätte für mindestens ein Viertel aller Fischarten im Ozean sind, wirkt sich ihr Verlust verheerend auf die Stabilität mariner Ökosysteme aus», weiss Pfreundt. Das gefährdet nicht nur die globale Fischerei: Weltweit sind Millionen Menschen direkt von intakten Riffen abhängig, die ihnen Nahrung, Einkommen und Schutz vor Überschwemmungen und Küstenerosion gewähren. Pfreundt hat sich daher zum Ziel gesetzt, abgestorbene Korallenriffe wieder mit Leben zu besiedeln.

Die Regenwälder der Meere restaurieren

Pfreundt hat in Freiburg im Breisgau Molekularbiologie und Genetik studiert. «Weil ich das Leben auf seiner tiefsten Ebene verstehen wollte», erzählt sie. Schon als Kind war sie von der Vielfalt des Regenwalds fasziniert. Mit 20 Jahren entdeckte sie ihre Leidenschaft für die Lebenswelt der Meere. Seither taucht sie regelmässig und engagiert sich für marine Naturreservate. Im Nebenfach hat sie Meeresbiologie studiert und später in ihrer Doktorarbeit Genetik und Meeresbiologie kombiniert.

Da Ulrike Pfreundt gerne interdisziplinär arbeitet, kam sie 2016 mit einem ETH Postdoc Fellowship ans Institut für Umweltingenieurwissenschaften der ETH Zürich. Im Team von Professor Roman Stocker fand sie ein ideales Umfeld: Hier erforschen Biologinnen zusammen mit Physikern, Ingenieurinnen und Mathematikern, wie Mikroben und Kleinstlebewesen die Ökologie der Meere gestalten.

Resistente Korallen rekrutieren

Dazu zählen auch die komplexen Lebensgemeinschaften der Korallen. «Viele Arten vermehren sich, indem sie Spermien und Eier ins Wasser abgeben, aus denen sich schwimmende Larven entwickeln», so Pfreundt. Doch diese müssen ein geeignetes Substrat finden, auf dem sie sich niederlassen und zu jungen Korallen heranwachsen können. «Abgestorbene Korallenriffe sind schwer zugänglich für die Larven», erklärt sie. Der Grund ist, dass sterbende Riffe zerfallen und von Makroalgen überwachsen werden. Die Larven brauchen aber eine gewisse strukturelle Vielfalt und ein algenfreies, hartes Substrat, um sich anzusiedeln.

Deshalb will Pfreundt degradierte Riffe mittels künstlicher Strukturen wiederherstellen. Strategisch geplante Kunstriffe können sich mit der Zeit wieder zu selbsttragenden Lebensräumen entwickeln und Küsten schützen, ist die Meeresbiologin überzeugt.

Doch wie können künstliche Riffe helfen, wenn das Wasser schlicht zu warm ist? «Zum einen werden nicht alle Korallen unmittelbar sterben», so Pfreundt. Sie geht davon aus, dass gewisse Gebiete für Korallenriffe geeignet bleiben – etwa weil es in der Nähe eine kühlende Strömung gibt. «Zum anderen bin ich ja zum Glück nicht allein», lacht sie. Tatsächlich arbeiten Wissenschaftler weltweit mit Hochdruck daran, hitzeresistente Korallensymbiosen zu züchten oder solche in den Riffen aufzuspüren.

Knackpunkt strukturelle Komplexität

Bisherige Versuche, mit künstlichen Riffen Babykorallen zu rekrutieren, scheiterten jedoch oft. Das liegt daran, dass die meisten Kunstriffe strukturell schlicht zu wenig ausgefeilt sind: Sie bieten nicht genügend Schutzräume für junge Korallen und interagieren zu wenig mit der Strömung, um die Larven überhaupt nah genug an das Substrat zu bringen.

Genau hier setzt Pfreundt mit ihrem Vorhaben an. «Wir wissen, dass Form und Oberflächenbeschaffenheit eine elementare Rolle spielen, aber nicht im Detail welche Aspekte entscheidend sind», so die Jungforscherin. Darum arbeitet sie mit Benjamin Dillenburger und Mathias Bernhard von der Gruppe für Digitale Bautechnologien am Departement Architektur zusammen. Der Plan: mit Hilfe des 3D-Drucks geometrisch geeignete Strukturen für ökologisch sinnvolle, skalierbare Riffmodule zu entwickeln.

Zunächst geht es darum, Oberflächen mit variierenden Strukturmerkmalen wie Rillen, Löchern, Überhängen und Kanten im Millimeter- bis Zentimeterbereich zu entwickeln. Diese will Pfreundt auf ihre Interaktion mit der Wasserströmung und mit den darin transportierten Korallenlarven testen – zuerst in kontrollierten Strömungsbecken, dann in Feldversuchen im Korallenriff. Dabei wird ihr wiederum das Know-how von Roman Stockers Forschungsgruppe dienlich sein. Denn diese ist darauf spezialisiert, die Wechselwirkung feinster Wasserwirbel mit Kleinstlebewesen zu analysieren.

Eine Herzensangelegenheit

Pfreundt ist überzeugt von ihrer Idee und strahlt das auch aus. Das hilft bei der Suche nach Projektpartnern. Neben den ETH-Architekten konnte sie den Leiter des karibischen Korallen-Programms von The Nature Conservancy (TNC) für das Vorhaben begeistern. Für die Feldversuche steht sie mit zwei tropischen Meeresforschungsstationen in der Karibik in Kontakt.

Die Eckpunkte des Projekts sind also abgesteckt. Natürlich ist noch vieles offen, etwa wie der Schritt von der geeigneten Oberflächenstruktur zu grösseren Riffmodulen erfolgen soll. «Ich habe an der ETH die richtigen Menschen und die notwendige Infrastruktur gefunden, um solche Aufgaben künftig zu lösen», ist sie sicher.

Allerdings läuft ihr Arbeitsvertrag Ende 2019 aus. Um möglichst weiter an der ETH forschen zu können, sucht Pfreundt nach einer langfristigen Finanzierung für ihr Projekt. Im letzten Dezember war sie als eine von acht Finalisten für den mit 100'000 Euro dotierten finnischen Skolar Award nominiert. «Leider hat es nicht geklappt – aber ich habe viele Herzen gewonnen», schmunzelt sie.

Anfang Jahr dann ein erster Erfolg: Pfreundt erhielt von der ETH Zürich einen Career Seed Grant im Wert von 30'000 Franken. «Nun kann ich das Korallenprojekt weiter vorantreiben!», freut sie sich.

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