Schwitzen für ein kühleres Singapur

Studierende der Professur für Landschaftsarchitektur planen die Klimatisierung der hitzegeplagten Millionenstadt Singapur. Eine stillgelegte Bahnlinie, die zum tropischen Naherholungsgebiet verwachsen ist, dient als Experimentierfeld.

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(Video: ETH Zürich)

Die Mittagshitze in Singapur ist erbarmungslos. Die Sonne über der tropischen Metropole scheint nicht, sondern sie brennt. Klimatisierte Unterführungen verbinden deshalb U-Bahnstationen mit Shopping Malls und Bürohochhäusern – ein kilometerlanges Netzwerk, das es den 5,6 Millionen Bewohnern erlaubt, dem widrigen Klima ihrer Stadt zumindest zeitweise zu entgehen.

Christophe Girot, ETH-Professor für Landschaftsarchitektur, vier Assistierende und 14 Studierende flüchten an diesem Mittwochmittag unter das weite Blechdach des Maxwell Food Centre im Chinatown. Das ist einer von unzähligen unprätentiösen Essmärkten Singapurs mit allerlei Köstlichkeiten, die Einflüsse aus den Küchen Chinas, Malaysias und Indiens verbinden – der vorherrschenden Kulturen in der ehemals britischen Kronkolonie. Über einer würzigen Nudelsuppe und chinesischen Dumplings erklärt Girot, weshalb er seine Studierenden nach Singapur gebracht hat: «Die meisten waren noch nie in Asien. Sie können sich nur schlecht vorstellen, was es heisst, in einer tropischen Metropole zu leben – ein physisches Erlebnis, das man am eigenen Körper erfahren muss.»

Aus dieser Erfahrung soll ein besseres Verständnis für das zunehmende Problem von städtischen Hitzeinseln (Urban Heat Island / UHI) wachsen. Denn in Metropolen entlang des tropischen Gürtels – Jakarta, Manila, Bangkok und Singapur – wird die Hitze zu einem gesundheitlichen und energetischen Problem. In Singapur herrschen an zentralen, stark verdichteten Orten, wie der Orchard Road, zeitweise bis zu 7 °C höhere Temperaturen als im Umland. Die andauernde anthropogene Wärmezufuhr durch Autoabgase, die Industrie, fossile Stromproduktion und die Abwärme von hunderttausenden von Klimaanlagen heizt die Städte auf – zusätzlich zum tropischen Klima. Weitere Treiber sind die verdichteten und nicht windoptimierten Gebäudeensembles und dunkle Flächen wie Asphaltstrassen und Gebäudefassaden, die Wärme speichern, statt die Sonnenstrahlung zu reflektieren.

Grünflächen zum Kühlen

Den Teufelskreis der sich selbst erhitzenden Metropolen wollen Girots Kollegen am Future Cities Lab, dem ETH-Labor für Stadtforschung in Singapur, durchbrechen. Bis Mitte Jahr erarbeiten sie im grossangelegten Projekt «Cooling Singapore» (siehe Kasten) mit Partneruniversitäten zusammen eine Roadmap mit Massnahmen, um die Stadt wieder herunterzukühlen.

Studierende auf Scan-Rundgang im Rail Corridor
Forschung trifft auf Sport: Der Rail Corridor wird schon heute von vielen Singapurern als Naherholungsgebiet genutzt. (Bild: Lina Meisen)

Die Bachelor- und Masterstudierenden, die Girot im Rahmen seines dreimonatigen Seminars «Singapore hot, Singapore cool» nach Singapur gebracht hat, sollen sie dabei unterstützen. Ihr Experimentierfeld: Die 24 Kilometer lange Grünfläche des «Rail Corridor», eine stillgelegte Eisenbahnlinie, die von Malaysia ganz im Norden der Insel, bis zum Hafen im Süden reicht. Sie war um die Jahrhundertwende unter der britischen Kolonialherrschaft gebaut worden. 1918 ging sie an Malaysia über, das ihren Betrieb 2011 einstellte. Schienen, Lichtsignale, Schilder – alles, was nicht zu aufwändig zu entfernen war – wurde zurück nach Malaysia gebracht. Zurück blieb eine weitgehend unverbaute Grünfläche, ein Korridor, den sich die Natur allmählich zurückeroberte. Heute leben eine Million Menschen im Radius von einem Kilometer um den Korridor. Ein Raum mit unglaublichem Potenzial für den Stadtstaat.

«Grünflächen in Städten erleben seit einigen Jahren eine starke Aufwertung», erklärt Girot. «Nicht nur als Dekoration, wie früher, sondern weil sie zunehmend zentrale Funktionen übernehmen.» Grünflächen tragen nachweislich zu einem angenehmeren Klima in Städten bei. Zudem kann eine gezielte Landschaftsplanung weitere Potenziale aktivieren, wie die Kühlung der Umgebung durch Wind und Wasser. «Städteplanung im 21. Jahrhundert wird immer stärker zur Landschaftsplanung», ist der preisgekrönte Landschaftsarchitekt überzeugt. «Sie wird für die Klimatisierung von Städten eine Schlüsselrolle spielen.»

Im urbanen Dschungel

Nach dem Mittagessen teilt sich die Gruppe auf. Per Uber fahre ich zusammen mit einem Assistenten und zwei Studierenden in den mittleren Teil des Rail Corridor. Am Rand einer vielbefahrenen Strasse kraxeln wir eine Böschung hoch zu einer rostigen Gusseisenbrücke. Es ist nun 32 °C heiss, die Luftfeuchtigkeit liegt bei über 80 Prozent und bei jedem Schritt treibt uns die Hitze den Schweiss aus den Poren. Wir laufen den Korridor entlang, vorbei an der zerfallenden «Bukit Timah»-Bahnhaltestelle, und dringen langsam in ein grünes Dickicht vor: riesige Farne, hohe Stauden mit winzigen, grünen Bananen, Gummibäume, verwachsen mit Lianen, auf denen gelegentlich knallgelbe Schmetterlinge landen. Aus dem Busch zirpen die Zikaden.

Jonas Haldemann und Manuel Viecelli kennen die Umgebung von Plänen, die sie in Zürich zu Beginn des Seminars studiert hatten. Kurz nach ihrer Ankunft in Singapur am Sonntag hatten die Studierenden den Korridor erstmals rekognosziert.

Studierende beim Laserscannen einer Strassenkreuzung
Nicolas Wüthrich (vorne) und Julian Fischbacher installieren den Laserscanner bei einer Strassenkreuzung in unmittelbarer Nähe des Rail Corridor. In die erzeugten Punktwolkenbilder werden sie später ihre Entwürfe für den Korridor einfügen. (Bild: Lina Meisen)

Heute sind sie mit einem 3D-Laserscanner zurückgekehrt. Jonas und Manuel setzen den blauen Kasten auf das Stativ und starten eine Messung. Der Scanner beginnt sich langsam um seine eigene Achse zu drehen, während ein runder Spiegel im offenen Mittelteil des Geräts sich rasend schnell vertikal dreht. Nun schiessen unsichtbare Laserimpulse durch die Gegend, die von sämtlichen Objekten bis zu 300 Meter Entfernung reflektiert werden; von Baumblättern, Holzpfählen, Wasserpfützen und Erdansammlungen. Jeder reflektierte Strahl wird vom Scanner anschliessend zu einem Datenpunkt in einem dreidimensionalen Modell umgerechnet. Bis zu 500 000 Punkte pro Sekunde werden so aufgezeichnet. Die Intensität des reflektierten Strahls gibt Aufschluss über die Oberflächenbeschaffenheit. Zusätzlich schiesst der Scanner 80 Bilder seiner Umgebung, die zu einem 360°-Panorama zusammensetzt werden, damit die Punktwolken realitätsgetreu koloriert werden können. Girots Gruppe nutzt solche dreidimensionalen Punktwolkenmodelle seit Jahren, um grossflächige urbane Topografien und deren Charakteristiken abzubilden. Im Rahmen des Seminars erstellen die Studierenden ihre eigenen Punktwolken des Rail Corridor, um diese später mit Interventionen zur Klimatisierung der Hitzeinsel Singapur zu ergänzen.

Kurz vor Sonnenuntergang – bereits plagen uns die ersten Moskitos – haben die beiden sechs geglückte Laserscans im Kasten. Wir entfliehen dem Stück unbändigen, urbanen Regenwald, um 15 Minuten später wieder mitten in der lärmenden, wuseligen Metropole zu stehen. Eine stark heruntergekühlte U-Bahn, die im Fünfminutentakt fährt, bringt uns ins Little India, wo die Studierenden übernachten – dort, wo Singapur noch chaotisch ist und die feuchte Luft nach Masala, Nelken und Schweiss riecht.

Transkontinentale Zusammenarbeit

Christophe Girot pflegt seit vielen Jahren Kontakte nach Japan und Singapur, auch mit Professor Erwin Viray von der «Singapore University of Technology and Design» (SUTD). Ihn konnte er dafür begeistern, das Seminar zeitgleich an der SUTD anzubieten. Am Sonntagabend hatten sich die Studierenden aus Zürich und Singapur erstmals getroffen, um zwei Tage später in gemischten Teams an Entwürfen für den Korridor zu arbeiten. Am Donnerstagmorgen steht ein weiterer gemeinsamer Workshop an, diesmal an der SUTD, in der Nähe des Flughafens im Osten der Insel. Im Innenhof der modernen, organisch geschwungenen Gebäude schiessen Palmen empor und die Balkone leuchten im Violett von Bougainvilleen. «For a better world through design» steht an der weissen Fassade des Empfangsgebäudes.

«Der Austausch mit den Kollegen der ETH ist wertvoll: Sie haben einen frischen Blick auf den Rail Corridor und nutzen neue Methoden. Wir kennen dafür den lokalen Kontext und können abschätzen, was funktioniert und was nicht.»Ng Xing Ling, Masterstudentin SUTD

In einem stark klimatisierten Seminarraum haben sich die sechs Projektgruppen mit Laptops und Plänen um zusammengeschobene Arbeitstische gruppiert. Mit einem Cocktail aus unterschiedlicher Software verarbeiten sie die aufgezeichneten Daten vom Vortag zu dreidimensionalen Punktwolken. Diese integrieren sie wiederum in weniger hoch aufgelöste, dafür umfassendere Raumdaten, basierend auf Flugzeugaufzeichnungen mit einem Lidar. Bis um 22 Uhr muss jedes Team mehrere Ansichten der geplanten Intervention in unterschiedlichen Massstäben einreichen. So lange bleibt jedoch niemand. Schliesslich gilt es die Abendstunden zum Erkunden Singapurs zu nutzen: der gestylten Promenade der Marina Bay, der dampfenden Essmärkte und der Rooftop-Bars mit grandiosen Ausblicken.

Gastkritik im «Value Lab»

Am Freitagmorgen macht sich bei den Studierenden eine leichte Anspannung bemerkbar. Wir fahren für die Abschlusspräsentationen an die Westküste auf den weiträumigen Campus der «National University of Singapore» (NUS), der ältesten und grössten Hochschule der Stadt. Schon von weitem ist der CREATE Tower zu sehen, das Zentrum der mittlerweile achtjährigen akademischen Verbindung zwischen Singapur und Zürich; ein begrünter und mit Photovoltaik bedachter Glasturm. Hier ist das «Singapore-ETH Centre» (SEC) zuhause. Auf zwei Stockwerken arbeiten dort 200 Mitarbeitende aus aller Welt für die ETH – umgeben von Kollegen des MIT, der TU München und der Universität Cambridge.

Das «Future Cities Laboratory» (FCL), das auf Stadtforschung fokussierte Labor des SEC, ist Mitorganisator von Girots Seminar. Die Studierenden versammeln sich in dessen Herzstück im sechsten Stock, dem «Value Lab». Ein Loft-artiger, multifunktionaler und lichtdurchfluteter Präsentationsraum, mit einer dreimal sechs Meter grossen LED-Wand. Girot hat für die Abschlusspräsentation zwei Forscher des FCL und Abby Ng, eine Mitarbeiterin von «NParks», der Parkbehörde Singapurs, eingeladen. Jede Studentengruppe hat zehn Minuten Zeit, um ihre Intervention für einen der drei bearbeiteten Abschnitte des Rail Corridor zu präsentieren. Vier bis zehn Folien mit Skizzen, axonometrischen Ansichten, Punktwolken und Referenzbildern müssen genügen, um die Kritiker zu überzeugen.

Studentin präsentiert ihr Projekt
Ng Xing Ling will mit dem Projekt «Green Routes» neue Verbindungen schaffen für ein Gebiet, das durch den Bau einer Hauptstrasse zerrissen wurde. (Bild: Lina Meisen)

Die sechs Teams kommen in ihren Designs zu ähnlichen Ergebnissen: Der Wind soll zum Kühlen der Stadt kanalisiert werden, Gebäude und Bäume werden so regruppiert, dass dieser ungehindert fliessen kann, und zusätzliche Begrünung schafft durch Beschattung angenehme Aufenthaltsorte im Korridor. Ein besonderes Anliegen ist allen Gruppen, neue Verbindungen zwischen Stadtvierteln herzustellen, die durch den Strassenbau zerrissen wurden. Das Projekt «Pont des Arbres» geht dabei am weitesten: Ausgehend vom Korridor entwarf das Team einen grossflächigen, neuen Park, der vier Spuren Autostrasse durch Tunnel komplett zum Verschwinden bringt. Aus einem lärmigen, unattraktiven und segregierten Raum wird eine grüne, weitgehend beschattete Ruheinsel für nachbarschaftliche Begegnungen.

«In unserem Entwurf nutzen wir die Topographie des Korridors, um eine Autobahnüberdeckung in einen Park zu verwandeln. Wind und Schatten spendende Bäume schaffen am neuen Begegnungsort ein angenehmes Klima.»Nicolas Wüthrich, Bachelorstudent ETH Zürich

Die Kritiker sind begeistert vom dreidimensionalen Punktwolkenmodell des visionären Projekts. Mystischephemer wirkt die nur in Punkten dargestellte urbane Topologie. Die Darstellung ist zugleich nahbar und präzis. Girot lächelt; seit über 20 Jahren schwört er darauf. Nun ist die Technologie günstig genug und einfach zu bedienen, damit sie zum Werkzeugkasten einer neuen Generation von Landschaftsarchitekten gehören wird. Stephen Cairns, Programmleiter am FCL, ermuntert die Studierenden, ihre Vorschläge während des verbleibenden Seminars – in Zürich und in Singapur – weiter auszuarbeiten. Denn: «Meine Erfahrung ist, dass Singapurs Städteplaner überzeugende Ideen sehr ernst nehmen – ganz egal, woher sie kommen.»

Projekt «Cooling Singapore»

Das Singapore-ETH Centre (SEC) leitet aktuell das Forschungsprojekt «Cooling Singapore». In Zusammenarbeit mit lokalen und internationalen Universitäten suchen ETH-Forschende nach Möglichkeiten zur Reduktion des Hitzeinsel-Effekts im hitzegeplagten Stadtstaat. Bis Mitte Jahr wollen sie eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Roadmap entwickeln. Anhand dieser werden langfristige Massnahmen zur Temperaturreduktion und damit verbundene Forschungsprojekte koordiniert. Die Roadmap wird die Grundlage sein für ein gemeinsames Engagement von Regierung, Privatwirtschaft und Hochschulen für mehr thermischen Komfort der Bürger und Bürgerinnen in Singapur.

externe Seitewww.coolingsingapore.sg

Sommerserie

Im Rahmen einer Serie präsentiert ETH-News während der Ferienzeit regelmässig Beiträge zu Forschung und Innovation, welche etwas mit der schönsten Zeit des Jahres zu tun haben. Der Beitrag über das schwitzende Singapur ist der erste Teil der diesjährigen Serie. Weitere Artikel folgen.

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