Wenn solarbetriebene Drohnen arktische Gletscher erkunden

Selbstfliegende Solarflugzeuge müssen ihre Tauglichkeit für «reale» Anwendungen erst noch beweisen. Bei der Überwachung von Gletschern in Polarregionen könnten sie wichtige Dienste leisten, denn die Mitternachtssonne bietet ideale Voraussetzungen für Langzeit-Solarflüge.

Vergrösserte Ansicht: AtlantikSolar startet zu einem 13-stündigen Flug.
AtlantikSolar startet zu einem 13-stündigen Flug. (Bild: Sun2Ice / ETH Zürich)

Welcher Ort eignet sich besser als die Arktis, um eine neue Generation von autonomen, solarbetriebenen Fluggeräten zu testen? Das Autonomous Systems Laboratory (ASL) der ETH Zürich entwickelte mit AtlantikSolar eine solche solare Drohne (Unmanned Aerial Vehicle (UAV)), die mehrere Tage lang ununterbrochen fliegen kann. Glaziologen der ETH Zürich wiederum, die mithilfe von UAVs Gletscher in Grönland überwachen, sind auf ein langes Flugvermögen angewiesen, um die unermessliche Weite der arktischen Gletscherlandschaft zu erfassen. Schliesslich ist der arktische Sommer mit seinem konstanten Tageslicht bestens geeignet für Solardrohnen. Die Flugdauer verlängert sich dadurch enorm.

Soweit die Theorie. Aber funktioniert das auch in der Praxis? Um das herauszufinden, haben wir – eine Gruppe von Forschenden, die sich mit autonomen Systemen beschäftigen, und von Glaziologen – gemeinsam das Projekt «Sun2Ice» lanciert. Das Ziel: die AtlantikSolar hoch im Norden unter der Mitternachtssonne auf Herz und Niere zu prüfen.

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Das Video zum Projekt Sun2Ice. (Sun2ice / ETH Zurich)

Fragiles Fluggerät in rauer Region

Qaanaaq, Nordwest-Grönland, 77 Grad Nord, rund 600 permanente Einwohner. Der Ort bildet die ideale Basis für unser Projekt: Er ist von zehn kalbenden Gletschern umgeben, gut mit dem Flugzeug erreichbar und bietet alles, was wir brauchen (Shop, Unterkünfte, Internet).

Kurz nach unserer Ankunft Anfang Juni stellt sich uns die erste grosse Herausforderung: Der Sand des Landeplatzes, den wir im Vorjahr ausgewählt hatten, wurde von starken Winterwinden verweht. Ohne ebene Landestelle könnte AtlantikSolar beim Aufsetzen zerbrechen oder die nach unten gerichtete Kamera kaputtgehen. Kaum haben wir auf dem holprigen Terrain die improvisierte Landebahn in fast einer Woche Handarbeit fertig gebaut, gibt es wieder Schwierigkeiten: Über Qaanaaq zieht dichter Nebel auf. Er hält AtlantikSolar nochmals für mehrere Tage am Boden.

Vergrösserte Ansicht: Qaanaaq im Nordwesten Grönlands ist eines der am nördlichsten gelegenen Dörfer der Welt.
Qaanaaq im Nordwesten Grönlands ist eines der am nördlichsten gelegenen Dörfer der Welt. (Bild: Sun2Ice / ETH Zürich)

Premiere im Polargebiet

Endlich. Am Morgen des 20. Juni klart der Himmel auf. Schon am Mittag hebt AtlantikSolar ab. Der Plan ist, sie kreisen zu lassen und so den ersten 24-Stunden-Flug einer solarbetriebenen Drohne im Polargebiet zu absolvieren. Der Zufall will es, dass das Datum der Landung, der 21. Juni, nicht nur mit der Sonnenwende zusammenfällt – das Beste, was wir uns für einen Solardrohnenflug wünschen können – sondern auch mit dem Nationalfeiertag Grönlands. Dies heisst: AtlantikSolar fliegt während den Feierlichkeiten und vor den Augen der Einwohner Qaanaaqs, die ohnehin bereits fasziniert von unserem seltsamen Flugobjekt sind.

Die Sterne stehen also gut für einen besonderen Event: Die Spannung steigt stündlich, und die Kaffeemaschine läuft auf Hochtouren, um das Team während 24 Stunden warm und wach zu halten ... – bis um ein Uhr morgens erneut Nebel aufkommt. Schweren Herzens muss das Team die Mission nach dreizehn Flugstunden abbrechen.

Doch halb so schlimm! Trotz sechs Stunden Flug unter schwierigen Bedingungen mit Wolken und Wind, was den Energieverbrauch erhöht, beträgt die Batteriekapazität noch über 60 Prozent. Das deutet darauf hin, dass selbst unter anhaltend schlechten Bedingungen rund 20 Flugstunden möglich sind – und unter besseren Bedingungen sicherlich mehr als 24! AtlantikSolar ist bereit für die Feldarbeit.

Forschungsflug zum Bowdoin-Gletscher

Der nächste Tag mit klarem Himmel, ohne Nebel und minimalem Wind ist der 3. Juli. AtlantikSolar erreicht den Bowdoin-Gletscher innerhalb von 1 Stunde 15 Minuten und beginnt, permanent überwacht durch einen Satelliten, die kalbende Vorderseite photogrammetrisch zu scannen. Alles verläuft problemlos, doch plötzlich ziehen im Fjord unvorhergesehene Tal-Winde auf. Es sind die stärksten Winde, denen AtlantikSolar jemals ausgesetzt war: vertikale Böen von bis zu 6 m/s und anhaltender Rückenwind von 15 m/s bei einer Fluggeschwindigkeit von gerade mal knapp 10 m/s. Doch die Drohne findet nach fünf Stunden und 230 km unbeschadet nach Qaanaaq zurück – mit beinahe voll geladenen Batterien. Das zeigt uns das Potenzial dieser Plattform für den unterbrechungsfreien Einsatz in der Kryosphäre.

AtlantikSolar auf dem Weg zum Bowdoin-Gletscher.
AtlantikSolar auf dem Weg zum Bowdoin-Gletscher. (Bild: Sun2Ice / ETH Zürich)

Entdeckung an der kalbenden Gletscherfront

Hochinteressant: AtlantikSolar sichtet eine breite Spalte an der Vorderseite des Gletschers. Wenige Tage später machen sich einige Glaziologen zum Bowdoin-Gletscher auf, um die Spalte weiter zu beobachten, bis diese schliesslich abbricht. Die Bilanz: wir haben einen einzigartigen Datensatz, der das gesamte Bruchereignis abdeckt. Damit können wir solche Vorgänge künftig besser modellieren. Das Kalben ist ein komplexer Prozess, der auch eine wichtige Rolle beim Anstieg des Meeresspiegels spielt, aber nach wie vor nicht vollständig verstanden wird.

Am Bowdoin-Gletscher entdeckt AtlantikSolar eine Spalte.
Am Bowdoin-Gletscher entdeckt AtlantikSolar eine Spalte, die rund eine Woche später einstürzt, wobei sich ein grosser Eisberg löst. (Bild: Sun2Ice / ETH Zürich)

Guillaume Jouvet hat diesen Blogeintrag mit Thomas Stastny verfasst.

Zu den Autoren

Guillaume Habert

Guillaume Jouvet

Senior Researcher an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich.

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Thomas Stastny

Thomas Stastny

Doktorand im Autonomous Systems Lab (ASL), ETH Zürich

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