Warum liegen Energieprognosen oft daneben?

Akteure in Energiewirtschaft und Politik orientieren sich häufig an Prognosen. Ein genauerer Blick zeigt, dass Vorhersagen mitunter deutlich daneben liegen. Unterschätzte Innovationsdynamik ist ein Grund dafür.

Vergrösserte Ansicht: Energieprognosen
Wie entwickelt sich der Markt? Prognosen als vermeintlich verlässliche Leitplanken in eine ungewisse Zukunft. (Bild: tzahiV / iStock)

Die Internationale Energieagentur IEA in Paris hat zum wiederholten Mal ihre Prognosen korrigiert: In den nächsten 5 Jahren werden erneuerbare Energien weltweit die am stärksten wachsende Quelle zur Stromerzeugung sein [1]. Die Aussage unterstreicht die Dynamik, welche die Energiewende mittlerweile angenommen hat. Die Erneuerbaren verändern den Stromsektor fundamental: Fluktuierende Einspeisung, veränderte Lastkurven und tiefe Stromhandelspreise stellen etablierte Firmen vor erhebliche Herausforderungen (siehe Blogbeitrag). Gerade in solch unsicheren Zeiten stützen sich Wirtschaft und Politik gerne auf Energieprognosen, um sich möglichst gut auf die Zukunft vorzubereiten.

Falsche Vorhersagen

Leider sind Prognosen oft wenig verlässlich. Die IEA korrigierte beispielsweise ihre Vorhersagen für erneuerbare Energien immer wieder deutlich nach oben [für Beispiele siehe 2]. In 2000 mass man ihnen – auch in der Zukunft – keine besondere Bedeutung bei. Der damals prognostizierte Anteil wurde dann jedoch doppelt so schnell erreicht wie vorhergesagt. Auch die Prognosen von 2010 sind heute schon Makulatur. Wie kommt es, dass ausgewiesene Experten so daneben liegen? Und wie viel Vertrauen dürfen wir demnach den aktuellen Vorhersagen schenken?

Wichtig beim Umgang mit Prognosen ist Zweierlei: Eine gesunde Portion Skepsis und die Einsicht, dass Vorhersagen oft einfach nicht möglich sind.

Unvorhersehbares und Innovationsdynamik

Ein Grund für Fehleinschätzungen ist sicherlich, dass man von der Vergangenheit auf die Zukunft schliesst (Extrapolation). Dieser Ansatz führt insbesondere dann zu Fehlern, wenn es unterwegs grössere Veränderungen gibt. Das können plötzlich auftretende Ereignisse sein wie die Finanzkrise in 2008 oder der Reaktorunfall von Fukushima in 2011, aber auch tiefgreifende politische oder strukturelle Umwälzungen.

Kartoffelschalen
Technologische Innovationen sind oft unberechenbar dynamisch. (Bild: animgoberlin / Fotolia)

Darüber hinaus gibt es Entwicklungen, die zunächst wenig auffallen, aber über die Zeit einen grossen Einfluss haben. Hierzu zählen technologische Innovationen. Sie sind oft mit selbst-verstärkenden, nicht-linearen Effekten verbunden: Wenn sich eine neue Technologie zunehmend durchsetzt, wird sie bekannter, die Nachfrage steigt, die Produktion nimmt zu und neue Firmen treten auf. Gleichzeitig entwickeln sich komplementäre Angebote (im Fall von Solar und Wind beispielsweise spezielle Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, Prognosetools, Fernüberwachung, Direktvermarktung). In der Folge sinken die Kosten, was wiederum die Verbreitung antreibt. So dreht sich das Karussell immer schneller.

Ob, wann und in welchem Ausmass diese Innovationseffekte auftreten, ist nicht vorhersagbar – sie zu unterschätzen gleichwohl ein Fehler.

Wirtschaftliche Interessen

Ein dritter, wichtiger Punkt ist, dass Prognosen nicht neutral sind. Sie können eine starke Wirkung entfalten, wenn sich nur viele Akteure an ihnen orientieren. Das kann mitunter sogar zu einer ’self-fulfilling prophecy’ führen, wie im Fall des Mooreschen Gesetzes in der Halbleiterindustrie [4].

Es ist daher davon auszugehen, dass Prognosen auch gezielt genutzt werden, um die zukünftig Entwicklung, sowie politische und wirtschaftliche Entscheidungen zu beeinflussen. Vor diesem Hintergrund ist es sicherlich ratsam, jeweils kritisch zu hinterfragen, wer eine Prognose erstellt hat und wer ein Interesse an der vorhergesagten Entwicklung haben könnte.

Fazit: Vorsicht bei Vorhersagen

Die Zukunft ist und bleibt nicht vorhersagbar. Gerade technologische Entwicklungen sind immer mit grossen Unsicherheiten behaftet und mögliche Innovationseffekte wirken der Prognostizierbarkeit entgegen. Zudem werden radikal neue Technologien am Anfang ihrer Entwicklung sowohl gerne unterschätzt (etwa von etablierten Akteuren), als auch überschätzt (typischerweise von ihren Entwicklern). In sich stark verändernden Bereichen ist die Aussagekraft von Prognosen daher stark beschränkt bis zweifelhaft. Gleichzeitig gibt es aber ein grosses Bedürfnis nach Orientierung.

Die Arbeit mit Szenarien kann in diesem Fall eine interessante Alternative zu Prognosen sein [3]. Szenarien vermeiden jegliche Vorhersage. Stattdessen beleuchten sie unterschiedliche, grundsätzlich denkbare und in sich konsistente Entwicklungspfade, um ein breites Spektrum möglicher Entwicklungen aufzuzeigen. Strategien können dann daraufhin geprüft werden, ob sie über verschiedene Szenarien hinweg robust sind. Unternehmen können Szenario-Analysen zudem strategisch nutzen, um nicht nur quantitative, sondern auch strukturelle Veränderungen (etwa bei Geschäftsmodellen) zu antizipieren.

Weiterführende Informationen

[1] IEA: externe SeiteIEA raises its five-year renewable growth forecast as 2015 marks record year

[2] Einige IEA-Prognosen der letzten Jahre:

  • Prognose 2000: Erneuerbare Energieträger [ohne Wasserkraft] werden einen kleinen, aber wachsenden Anteil zur weltweiten Stromerzeugung beitragen, der von 1.5% (in 1997) auf 2.3% in 2020 steigen wird. (...) Der Anteil der Wasserkraft sinkt [von 18% in 1997] auf 15% in 2020. IEA, World Energy Outlook 2000, Paris, p. 100-101.
  • Prognose 2010: Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien [inklusive Wasserkraft] verdreifacht sich zwischen 2008 und 2035 und ihr Anteil wird von 19% auf fast ein Drittel steigen. Dieser Zuwachs kommt vor allem von Wind- und Wasserkraft. IEA, World Energy Outlook 2010, Paris, p. 51.
  • Prognose 2016: In den nächsten fünf Jahren werden erneuerbare Energien die am stärksten wachsende Quelle der Stromerzeugung sein. Ihr Anteil wird von 23% in 2015 auf 28% in 2021 steigen. IEA, World Energy Outlook 2010, Paris, p. 51.

[3] Dominguez, D., Worch, H., Markard, J., Truffer, B., & Gujer, W. 2009. Closing the Capability Gap: Strategic Planning for the infrastructure sector. California Management Review, 51 (2): 30-50.

[4] Das externe SeiteMooresche Gesetz der Halbleiterindustrie

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Jochen Markard
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