Ein Jahr lang nicht fliegen

Wissenschaftler haben sich energisch für die Klimaziele eingesetzt. Nun müssen sie auch handeln. Dafür ist das Fliegen ein idealer Testfall. Es ist im öffentlichen Bewusstsein, technische Lösungen sind unwahrscheinlich, und ein Verzicht erfordert Innovationen des Wissenschaftsbetriebs.

Vergrösserte Ansicht: Blick aus dem Flugzeug.
Für Christoph Küffer mittlerweile ein seltener Blick. (Bild: Colourbox)

Vor einem Jahr habe ich mir vorgenommen, nicht mehr zu fliegen (siehe diesen Blogbeitrag). Aus guten Gründen: Sollen die in Paris formulierten und seither von genügend Staaten ratifizierten Klimaziele erreicht werden, dann muss die Gesellschaft den CO2-Ausstoss in den nächsten Jahrzehnten auf null reduzieren. Die Wissenschaften können hier mit gutem Beispiel vorangehen und an sich selbst testen, wie ein Umbau unserer Institutionen hin zu einer klimafreundlichen Gesellschaft funktionieren kann.

Ich liebe das Reisen, und ich ändere mein Leben ungern. Es wäre also praktisch, nun berichten zu können, dass als Forscher aufs Fliegen zu verzichten unmöglich ist. Dem ist aber nicht so. Wenig oder gar nicht fliegen ist durchaus möglich – und manchmal sogar ein Gewinn. Einen Campari Soda [1] geniessen kann man jedenfalls auch im Zug. Hier meine fünf Argumente fürs Nicht-Fliegen.

Erstens: Pragmatische Lösungen finden

Aufhören zu fliegen ergab sich ähnlich selbstverständlich wie vor einigen Jahren mit dem Fliegen anzufangen. Oft reichen bereits pragmatische Massnahmen zur Flugvermeidung. Gut funktioniert etwa der Informationsaustausch über das Web, insbesondere mit langjährigen Partnern. Ich habe online an Konferenzen teilgenommen oder interkontinentale Reisen durch solche in Europa ersetzt. Vorträge schaue ich mir öfters per Videocast an. Publikationen schreibe ich seit vielen Jahren mit Kolleginnen, die ich nie treffe. Auch die Feldarbeit im Ausland lässt sich partnerschaftlich mit lokalen Forschern organisieren. Doch von Grund auf das Vertrauen für neue Partnerschaften aufzubauen, gestaltet sich ohne persönliche Treffen schwierig.

Zweitens: Schummeln erlaubt

Zugegeben, einmal bin ich geflogen. Auf die Azoren. Natürlich ist mein Stolz verletzt. Gerne würde ich heute mit weisser Weste dastehen. Aber eigentlich führt mich dies zur wichtigsten Erkenntnis meines Experiments: Das Vernünftige muss banaler Alltag werden. Das Klima retten wir nicht dank ein paar wenigen Gutmenschen, die gar nicht mehr fliegen.

Es ist effizienter, wenn alle das Fliegen teilweise reduzieren. Wer nur einen Teil der Flüge streicht, hat auch einen ersten Schritt getan. Nichts ändern, kann sich ein Wissenschaftler hingegen nicht leisten. Glaubt mir, wir meinen es ernst mit dem Klimawandel.

Drittens: Die andere Party ist meist die bessere

Als Studenten hatten wir nur eine Sorge im Leben. Am Montagmorgen zu realisieren, dass wir am Samstagabend an der falschen Party waren. Die Ökonomen nennen dies Opportunitätskosten: die Kosten der verpassten Möglichkeiten. Wer nur an den Verzicht aufs Fliegen denkt, vergisst die Vorteile des Nicht-Fliegens. Ich habe Zeit gewonnen [2]. Ich habe Neues erlebt. Zum Beispiel konnte ich aus dem Zug die Energiewende in Deutschland beobachten. In Aachen bin ich an einem neuen Windpark vor der schwarzen Kulisse eines Kohlekraftwerks vorbeigefahren, in Bayern an Dörfern gepflastert mit Solarzellen.

Und ich habe zu einer Infrastruktur des Nicht-Fliegens beigetragen. Die Reise im Nachtzug an die Beiratssitzung in Lissabon war romantisch. Leider werden die Nachtzüge in Europa zusehends gestrichen. Hoffentlich bleibt mir diese Möglichkeit noch im nächsten Jahr.

Viertens: Die Bodenhaftung nicht verlieren

Für meine Flugabstinenz war hilfreich, dass ich mich in meiner Forschung zunehmend auf konkrete, lokale Probleme in unserem Land fokussiere. Dafür arbeite ich mit Kollegen aus anderen Disziplinen und Praxisvertretern hier in der Schweiz zusammen. Für mich ist das Nicht-Fliegen gerade deshalb interessant, weil es mir ein Ansporn ist, meine Rolle als Wissenschaftler bei der Lösung von Umweltproblemen zu reflektieren. Macht es zum Beispiel wirklich Sinn, mit ETH-Studierenden für ein paar Tage oder Wochen nach Afrika oder Südamerika zu jetten, um dort am Fallbeispiel zu lehren? Ergeben sich so echte Lösungen, oder fliehen wir vor unseren eigenen Problemen zu Hause?

Flugzeug mit Kondensstreifen am Himmel. (Bild: Gudella / iStock)
Mal eben schnell um die Welt düsen, macht eben nicht in jedem Fall Sinn. (Bild: Gudella / iStock)

Lieber weniger oft fliegen, dafür sich intensiver der Widerborstigkeit von realen Problemen aussetzen. Lieber öfters die eigenen Probleme anpacken – auch wenn sich keine Lorbeeren holen lassen – als anderen deren Probleme erklären. Lieber zur Ausbildung von mehr Wissenschaftlern aus Ländern des Südens beitragen statt uns als Experten unentbehrlich fühlen.

Fünftens: Nicht-Fliegen als Innovationsanreiz

Wieso gilt die Erfindung des Fliegens als Meilenstein, während die Erfindung des Nicht-Fliegens in Innovationsprogrammen fehlt? Ich schlage vor, dass die ETH eine substanzielle Abgabe auf alle ihre Flüge erhebt. Diese Gelder könnten in einen Innovationsfonds fliessen, der Forschung für eine CO2-freie Universität finanziert.

Mein Neujahrswunsch

Ich werde auch im nächsten Jahr versuchen, nicht zu fliegen. Für 2017 wünsche ich mir, dass es zu einem Jahr mit vielen Nicht-Fliegern wird. Ganz alleine bin ich mit diesem Anliegen übrigens nicht [3].

Auch die ETH hat soeben eine Mobilitätsplattform ins Leben gerufen [4]. Sie ist Anlauf- und Koordinationsstelle für nachhaltige Mobilität an der Hochschule und will sich insbesondere auch dem Dilemma der dienstlichen Flugreisen widmen.

Dieser Beitrag erschien unter anderem auch im Tagesanzeiger Print und externe Seiteonline.

Weiterführende Informationen

[1] Immer wieder schön, auch für Nicht-Flieger: TAXI – externe SeiteCampari Soda

[2] Mein Tipp: eine Flugreise absagen und die Zeit in einer abgelegenen Alphütte verbringen, um einen liegengebliebenen Artikel endlich fertig zu schreiben.

[3] Siehe diese beiden Initiativen zur Senkung des akademischen CO2-Fussabdrucks durch weniger fliegen: externe Seiteacademic flying blog und externe Seitereduce flying to academic conferences

[4] Die Dezember-Ausgabe des Magazins life widmet sich dem Thema Mobilität an der ETH.

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