Vision Null: Warum wir langfristig kein CO2 mehr freisetzen dürfen

Jedes Klimaziel gewährt uns ein Budget an Emissionen. Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, braucht es eine vollständige Dekarbonisierung der Wirtschaft in den nächsten 50 Jahren. Dazu reicht es nicht aus, dass wir die existierenden Prozesse effizienter gestalten. Es braucht tiefgreifende Umwälzungen in fast allen Aspekten unserer Gesellschaft.

Vergrösserte Ansicht: CO2-Absenkpfad
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Nächsten Mittwoch findet an der ETH Zürich die dritte «Klimarunde» statt. Sie dreht sich um das Thema «Vision Null» und fragt nach möglichen Wegen zu einer CO2-neutralen Gesellschaft. In diesem Beitrag möchte ich den wissenschaftlichen Hintergrund dieser Vision diskutieren.

Ein Etat an globalen CO2-Emissionen

Die Forschung der letzten zehn Jahre hat klar gezeigt, dass uns für jedes gewählte Klimaziel nur eine beschränkte Menge an CO2-Emissionen zur Verfügung steht. Wie viel das genau ist, bestimmen die so genannte Klimasensitivität und die Aufnahmekapazität von Wäldern und Ozeanen, also die Stärke von CO2-Senken. Die Klimasensitivität beschreibt, wie stark sich die Erde erwärmt, wenn die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zunimmt. Und die Stärke der CO2-Senken bestimmt, wie stark CO2 in der Atmosphäre zunimmt bei einer gegebenen Menge an Emissionen.

Nehmen wir an, dass die Wälder und Ozeane wie bisher rund die Hälfte der CO2-Emissionen aufnehmen, und dass die Erde sich um ca. drei Grad Celsius erwärmt, wenn sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre im Vergleich zur vorindustriellen Zeit verdoppelt. Dann ergibt eine Abschätzung anhand einiger vereinfachender Annahmen (siehe Kasten am Ende des Beitrags), dass uns das Zwei-Grad-Ziel ein Budget von rund 800 Gigatonnen Kohlenstoff (Gt C) erlaubt. Das sind 800 Milliarden Tonnen C oder rund 3000 Milliarden Tonnen CO2. Simulationen mit den modernsten Klimamodellen, die auch Rückkopplungen zwischen dem Klima und dem Kohlenstoffkreislauf erlauben, ergeben eine sehr ähnliche Zahl. Die uns zustehenden Emissionen können wir uns als Kuchen vorstellen, den wir langsam aufessen dürfen. Der Kuchen scheint auf den ersten Blick lange zu reichen – schliesslich ist er ja dank den starken Senken im Meer und den Wäldern auch doppelt so gross, wie wenn diese uns nicht helfen würde, der Atmosphäre CO2 zu entziehen.

Schon mehr als die Hälfte weggegessen

Wenn wir aber nachrechnen, wie viel CO2 die Menschheit in den letzten 150 Jahren durch verbrannte fossile Energieträger und abgeholzte Wälder emittiert hat, dann bleibt leider nur noch weniger als die Hälfte des Kuchens übrig. Konkret haben wir von diesem Budget schon mehr als 500 Gt C verbraucht, so dass uns nur noch rund 300 Gt C bleiben [1]. Wenn wir von den heutigen Emissionen (ca. 10 Gt C pro Jahr) und deren Trends ausgehen, dann werden wir das Budget in weniger als drei Jahrzehnten aufgebraucht haben [2]. Danach darf netto kein weiteres CO2 in die Atmosphäre gelangen, ansonsten erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit stark, dass wir übers Zwei-Grad-Ziel hinausschiessen.

Vergrösserte Ansicht: Grafik Emissionen
Entwicklung der Emissionen und Illustration des CO2-Budgets für das Zwei-Grad-Ziel: Die schwarze Linie zeigt die Zunahme der Emissionen seit 1950. Die roten Flächen stellen die projizierten Emissionen in den IPCC Baseline Szenarien (ohne Klimaschutzmassnahmen) dar, während die grünen Flächen die Emissionen zeigen, die mit dem Zwei-Grad-Ziel vereinbar sind. Die verschiedenen Farben zeigen Unsicherheiten. (Figur aus Knutti und Rogelj (2015), modifiziert)

Das bedeutet, dass ab der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts die globalen CO2-Emissionen auf null gehen müssen. Demzufolge sollten wir uns nicht an einer CO2-armen, sondern an einer CO2-freien Zukunft orientieren.

Welche Reduktionsrate ist realistisch?

Ein schneller Absenkpfad würde es erlauben, dass auch zukünftige Generationen noch CO2 emittieren könnten. Solch schnelle Absenkpfade sind aber nur sehr schwierig zu erreichen. Wir haben einen starken «Lock-In»-Effekt, der dadurch zustande kommt, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten weltweit stark in die fossil getriebene Infrastruktur investiert haben und es immer noch tun. Bei durchschnittlichen Laufzeiten von fossilen Kraftwerken von mehreren Jahrzehnten haben es die neuen Energiequellen nicht einfach, diesen Markt zu knacken, auch wenn mittlerweile die Preise durchaus kompetitiv sind (siehe Blogbeitrag von Tony Patt). Zudem müssen die Windturbinen, Solarpanels, und die ganze zugehörige Infrastruktur zuerst gebaut und installiert werden. Und das bedingt den Bau von neuen Fabriken, die Ausbildung von neuen Spezialisten, und substantielle Investitionen. Das braucht Zeit. Anhand der Geschwindigkeit der Marktdiffusion von neuen Technologien in der Vergangenheit kann man abschätzen, dass es sehr schwierig wird, eine Absenkrate von mehr als sechs Prozent pro Jahr zu erreichen.

Vision Null

Selbst wenn wir diesem optimistischen Absenkpfad folgen, werden wir das globale Budget noch vor Ende des Jahrhunderts aufgebraucht haben. Bei der Aufteilung der Emissionsrechte auf die einzelnen Staaten müssen wir aber noch berücksichtigen, dass den entwickelten Ländern aufgrund ihrer vergangenen Emissionen wohl künftig proportional weniger Emissionen zur Verfügung stehen werden [3]. Und falls wir die Trendwende bei den CO2-Emissionen global verschlafen, dann kann das Zwei-Grad-Ziel nur noch mit «negativen Emissionen» erreicht werden, d.h. dass wir netto CO2 aus der Atmosphäre entfernen müssen. Das ist technologisch heute schon möglich [5], aber es ist sehr teuer, und es bleibt unklar, wo das CO2 dann gelagert werden soll.

Fazit

Für die Schweiz sehe ich die Notwendigkeit einer vollständigen Dekarbonisierung unserer Gesellschaft in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts [4]. Wir haben zwar fast 50 Jahre Zeit, diesen Prozess umzusetzen – aber es ist ein langer Weg, der nicht 2030 aufhört, sondern weiter führt bis die Emissionen auf null gesenkt sind.

Verdankung: Ich danke Prof. Reto Knutti für seinen wertvollen Beitrag zu diesem Text.

Weiterführende Informationen

[1] Aufgrund der grossen Unsicherheiten ist dieser Wert mit 500 Gt C bewusst vorsichtig gewählt. IPCC bezifferte die gesamten anthropogenen Emissionen auf 555 Gt C.

IPCC AR5, WG1, Summary for Policy Maker, schreibt: "From 1750 to 2011, CO2 emissions from fossil fuel combustion and cement production have released 375 [345 to 405] Gt C to the atmosphere, while deforestation and other land use change are estimated to have released 180 [100 to 260] GtC. This results in cumulative anthropogenic emissions of 555 [470 to 640] GtC."

[2] CO2-Zähler: externe SeiteLink

[3] Beitrag zum CO2-Kuchen und dessen Aufteilung 

[4] Beitrag zum Thema Vision Null

[5] Climeworks: externe SeiteCO2-Speicherung   

Zum Autor

Einfache Abschätzung des CO2-Budgets

Die Erwärmung der Erde, ∆T, kann in erster Näherung gut aus der Klimasensitivität, g, der Änderung der atmosphärischen CO2 Konzentration, ∆CO2atm abgeschätzt werden, d.h.

∆T = g · ∆CO2atm          (1)

Die Veränderung der atmosphärischen CO2-Konzentration hängt von den kumulierten Emissionen und der Stärke der CO2-Senken ab. Wenn wir zudem noch annehmen, dass die Stärke dieser Senken konstant sind, dann ergibt sich eine einfache Abschätzung:

∆CO2atm ≈ fair · ∫Ffoss    (2)

wobei fair die "airborne fraction" darstellt, d.h. der Anteil der Emissionen, der in der Atmosphäre bleibt, während 1-fair den Anteil darstellt, der vom Ozean und den Wäldern aufgenommen wird. Wenn wir die beiden Gleichungen kombinieren erhalten wir:

∆T ≈ g · fair · ∫Ffoss  (3)

d.h., dass die Erwärmung der Erde direkt proportional zu den kumulierten Emissionen ist. Der Proportionalitätsfaktor ist gegeben durch das Produkt der Klimasensitivität und der airborne fraction. Die erstere ist ca. 3°C pro Verdopplung der vorindustriellen CO2-Konzentration, d.h. rund 3°C pro 580 Gt C, während die airborne fraction in den letzten Jahrzehnten recht konstant ca. 50% betragen hat. Wenn wir nun das Emissionsbudget für ein bestimmtes Klimaziel wissen möchten, dann müssen wir nur (3) nach den kumulierten Emissionen auflösen, d.h.

∫Ffoss  ≈ ∆T /(g · fair)  (4)

Für das 2°C Ziel ergibt sich somit:

∫Ffoss  ≈ 2°C /(3°/580 Gt C · 0.5) = 780 Gt C

Die Unsicherheiten sind erheblich. Zudem habe ich hier einige sehr vereinfachende Annahmen gemacht. Insbesondere habe ich vernachlässigt, dass die airborne fraction mit steigenden Emissionen zunimmt, während die Klimasensitivität, oder genauer gesagt das Radiative Forcing, mit zunehmenden atmosphärischem CO2 abnimmt. Des Weiteren habe ich hier die sogenannte Equilibrium Climate Sensitivity verwendet, während man die sogenannte transient climate sensitivity benützen müsste. Schliesslich habe ich auch die Rolle von Methan, Lachgas, und anderen Treibhausgasen vernachlässigt. Das heisst, diese Herleitung dient der Illustration des Konzeptes und nicht der genauen Bestimmung des Budgets.

Für eine tiefergehende Diskussion und eine viel genauere Herleitung verweise ich auf MacDougall and Friedlingstein, (2015) (Journal of Climate, externe SeiteDOI). Siehe auch externe Seitehier.

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