Ist der blaue Planet im roten Bereich?

Wasserkrisen werden in Zukunft die grössten Schäden verursachen, vermutet ein aktueller Report über globale Risiken. Eine Gruppe Nachhaltigkeitsforscher argumentiert dagegen, dass die weltweiten Wasservorräte noch nicht übernutzt sind. Wie kommen solch unterschiedliche Bewertungen zustande? Und weshalb definiert die UNO neue Wasserziele?

Vergrösserte Ansicht: Dürre in Kalifornien
Dürre in Kalifornien (Juli 2015). (Photo: Sherron L. Pratt / Getty Images / iStock)

Verknappt sich trinkbares Wasser weltweit, so hätte dies die gravierendsten Konsequenzen für die menschliche Gesundheit und die Wirtschaft. Zu diesem Befund kommt der diesjährige Risikobericht des World Economic Forum (WEF). Er basiert auf einer detaillierten Umfrage von fast 900 Forum-Teilnehmern zu den möglichen Auswirkungen und zur Wahrscheinlichkeit von 28 globalen Risiken [1]. An zweiter und dritter Stelle in dieser Hitparade künftiger Katastrophen kommen sich schnell ausbreitende Infektionskrankheiten und der Einsatz von Massenvernichtungswaffen. Die Wasserkrise erschien erstmals 2012 auf dem Radar der WEF-Gemeinschaft und bewegt sich seither jedes Jahr unter den drei globalen Risiken mit dem grössten Schadenspotential.

Wasserverbrauch (offenbar) im grünen Bereich

Ein neuer Bericht zu den planetaren Grenzen der Erde (siehe dazu auch diesen Blogbeitrag) kommt dagegen zu ganz anderen Schlüssen [2]: Die Autoren untersuchten, welche aktuellen Umweltveränderungen die Gefahr bergen, dass unser Planet in einen für uns ungünstigen Betriebszustand kippt. Sie identifizieren den Klimawandel, den Verlust an Biodiversität und die veränderten Nährstoffkreisläufe von Phosphor und Stickstoff als grösste Risiken für das Raumschiff Erde, weil bei diesen Umweltveränderungen die planetaren Grenzen bereits überschritten sind. Der globale Wasserverbrauch sei mit 2600 km3 pro Jahr noch deutlich von einer kritischen Schwelle entfernt. Als planetaren Grenzwert postulieren die Forschenden einen Verbrauch von etwa 4000 km3 pro Jahr. Dieser sei erst erreicht, wenn sich die globalen Abflüsse durch intensivere Bewässerung in der Landwirtschaft und Verdunstung deutlich verringerten (Bewässerung in der Landwirtschaft macht derzeit etwa 70 Prozent des Verbrauchs aus).

Vergrösserte Ansicht: Die neun planetaren Grenzen.
Das System der planetaren Grenzen umfasst neun Umweltbereiche. Eine davon ist der Wasserverbrauch, der gemäss den Autoren im Jahr 2015 noch kein kritisches Ausmass erreicht [2]. (Illustration: Azote Images/Stockholm Resilience Centre)

Die Grenzen der Debatte

Johan Rockström, Koautor der Studie über planetare Grenzen, hat die Analyse am diesjährigen WEF-Symposium in Davos präsentiert. Falls sein Vortrag überzeugend war, können wir erwarten, dass die Wasserkrise im nächsten Risikobericht des WEF um einige Plätze zurückfällt. Der grösste methodische Mangel des Berichts liegt nämlich in der Auswahl der Befragten: Fast 75 Prozent sind Männer, über 50 Prozent stammen aus Europa und Nordamerika, und die meisten nehmen an WEF-Veranstaltungen teil. Die veröffentlichte Risiko-Wahrnehmung spiegelt deshalb die Weltsicht einer exklusiven Elite aus Wirtschaft und Politik. Bezüglich Wasserverbrauch ist der blaue Planet ist also (noch) nicht im roten Bereich.

Doch daraus zu schliessen, dass mit der Wasserversorgung alles in Ordnung ist, wäre weit gefehlt. Denn das naturwissenschaftlich inspirierte Konzept der globalen Grenzen hat drastische Mängel, welche beim Thema Wasser deutlich zutage treten: Die rote Linie eines globalen Wasserverbrauchs von 4000 km3 pro Jahr (etwa 10 Prozent des Wassers, das jährlich von der Landoberfläche der Erde ins Meer fliesst) blendet aus, was die Menschen krank macht: Schlechte Wasserqualität vor Ort – meist aufgrund fehlender sanitärer Anlagen und Abwasserbehandlung.

Die prekäre Wasserversorgung auf der politischen Agenda

Mit einem ihrer Milleniumsziele wollte die UNO den Anteil der Weltbevölkerung ohne Zugang zu sicherem Trinkwasser und sanitärer Entsorgung bis zum Jahr 2015 halbieren [3]. Formell wurde das Trinkwasserziel schon 2012 erreicht, auch die Fäkalentsorgung wurde verbessert, aber nur knapp 40 Prozent der Betroffenen haben nun Zugang zu sanitären Anlagen: Der Fokus auf die rein technische Installation von Trinkwasserbrunnen ohne weitere Qualitätskontrolle hat dazu geführt, dass immer noch 1.8 Milliarden Menschen mit Wasser versorgt werden, das mit Fäkalbakterien verschmutzt ist. Die neuen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs), welche die UNO Ende September in New York verabschieden will [4], sollen deshalb weiter gehen: Bis 2030 soll die Trinkwasserqualität weltweit für alle verbessert werden. Dazu sollen 2.5 Milliarden Menschen endlich Zugang zu Toiletten erhalten. Der Anteil von unbehandeltem Abwasser, der heute etwa 80 Prozent ausmacht, soll halbiert werden. Die neueste Debatte im Wissenschaftsmagazin Science bringt die Herausforderung auf den Punkt: Die Wasser-Agenda der UNO ist global in ihrem Anspruch [5], sie kann jedoch nur auf lokaler Ebene umgesetzt werden [6]. Wenn dies gelingt, kann die Wasserkrise im Jahr 2030 aus dem «Global Risks Report» des WEF gestrichen werden.

Weiterführende Informationen

[1] WEF, The externe SeiteGlobal Risks Report 2015

[2] W. Steffen et al. (2015) Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planetScience, 347, 736 externe SeiteLink

[3] SIWI, Stockholm International Water Institute (2015) Water for Development – Charting a Water Wise Path externe SeiteLink

[4] Der externe SeiteSustainable Development Summit der UNO

[5] C.J. Vörösmarty et al. (2015) Fresh water goes global. Science, 349, 478 externe SeiteLink

[6] J. G. Hering et al. (2015) Local perspectives on water. Science 349, 479. externe SeiteLink

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