Kohle, Klima und Entwicklung – die Rolle Indiens

Die Energiegewinnung aus Kohle nimmt weltweit zu, besonders auch in Indien. Das Land möchte den Kohleabbau in den kommenden Jahren verdoppeln. Für das Weltklima sind das schlechte Nachrichten.

Vergrösserte Ansicht: Kohlebergwerk in Indien
Von billigem Strom aus Kohlekraftwerken profitiert in Indien vor allem der Mittelstand. Die Nachteile trägt die arme Bevölkerung – etwa als Betroffene von unhaltbaren Arbeitsverhältnissen im Bergbau. (Bild: Anannya Deb / flickr)

Der für Kohle zuständige indische Minister of State Piyush Goyal, ein relativ junger, gut vernetzter und in den USA weitergebildeter Mann, hat angekündigt, den Kohleabbau Indiens in den kommenden fünf Jahren zu verdoppeln. Indien verfügt über grosse Kohlereserven, doch die Qualität der Kohle ist in der Regel schlecht, und der CO2-Ausstoss pro erzeugte Nutzenergiemenge hoch. Der aus Indien stammende Veerabhadran Ramanathan, Direktor des Centers for Atmospheric Sciences an der Scripps Institution of Oceanography, wird in einem kürzlich in der New York Times erschienenen Artikel [1] wie folgt zitiert: «If India goes deeper and deeper into coal, we’re all doomed; and no place will suffer more than India.» Dem hält Goyal in dem Artikel folgendes entgegen: «India’s development imperatives cannot be sacrificed at the altar of potential climate changes many years in the future, the West will have to recognize we have the needs of the poor.»

Die zwei Seiten der Medaille

Was ist von diesen Aussagen zu halten? Natürlich steckt in beiden Aussagen ein Körnchen Wahrheit, doch sind mehrere Differenzierungen notwendig:

1. Gemäss dem Amerikanischen Carbon Dioxide Information Analysis Center [2] hat Indiens Kohleabbau und -verbrauch im Jahr 2012 zehn Prozent zu den globalen, von der Kohle herkommenden CO2-Emissionen beigetragen. Bezogen auf die weltweiten CO2-Emissionen aller fossilen Brennstoffe, inklusive des Kalkabbaus für die Zementherstellung, sind es 4,3 Prozent. Eine Verdopplung des Kohleabbaus in Indien würde also tatsächlich zu einer signifikanten Erhöhung der weltweiten CO2-Emissionen führen.

Allerdings muss man im Auge behalten, dass sich Indiens CO2-Emissionen wohl auch bei einem Verzicht auf die geplante Intensivierung der Kohlenutzung stark erhöhen würden: Indiens steigender Energieverbrauch könnte dazu führen, dass das Land vermehrt andere fossile Brennstoffe mit nur unwesentlich tieferen CO2-Emissionen als Kohle importieren würde. Tendenziell würde dadurch vielleicht auch die Nutzung der billigen, aus Kohle produzierten Elektrizität verdrängt, und es würden Brennstoffe vermehrt direkt genutzt, was im Allgemeinen weniger effizient ist. Man denke dabei an die um Grössenordnungen höhere Effizienz von elektrischem Licht oder von elektrischen Reiskochern gegenüber Kerosinlampen und offenen Feuerstellen.

Arme sind Leidtragende und profitieren nur wenig

2. Wer profitiert von der billigen Energie aus Kohle? Die indische Wissenschaftlerin Shonali Pachauri, die an der ETH doktoriert hat und derzeit am International Institute for Applied Systems Analysis in Österreich tätig ist, hat kürzlich in einem Artikel [3] in der Fachzeitschrift Nature Climate Change gezeigt, dass in Indien weniger der Anschluss von armen Bevölkerungsschichten an das Stromnetz, als vielmehr die Zunahme des Wohlstandes des Mittelstandes und der Reichen zur Erhöhung des nationalen CO2-Ausstosses beigetragen haben. Zwar hat Indien in den vergangenen 30 Jahren nicht weniger als 650 Millionen meist in Armut lebende Personen an das Stromnetz angeschlossen, und der nationale CO2-Aussstoss hat in der Zeitspanne stark zugenommen. Doch selbst wenn man indirekte Effekte berücksichtigt, etwa dass die neu angeschlossenen Haushalte wohlhabender werden und mehr konsumieren, sind nicht mehr als 11 bis 25 Prozent der Emissionssteigerungen dem Zugang der Armen zum Stromnetz anzulasten.

Das heisst, die billige Energie hilft vor allem dem Mittelstand und weniger den Armen. Ganz abgesehen davon sind es vor allem die Armen, die unter der Kohlegewinnung leiden: als Betroffene der unhaltbaren Arbeitsverhältnisse im Kohlebergbau sowie von Umsiedlungen, die der grossflächige Tagebau notwendig macht.

Zwiespältige Rolle der Staaten

3. Was mich an dieser Diskussion besonders interessiert, ist die Rolle der Staaten, – nicht nur des indischen Staates, sondern weltweit. Denn hier wird der Bock zum Gärtner gemacht: Kohle ist global für 43 Prozent der CO2-Emissionen, die auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe (und die Zementproduktion) zurück zu führen sind, verantwortlich. Ausserdem hat die Nutzung von Kohle Umweltverschmutzungen zur Folge, wie kaum ein anderer Stoff (Russ, Staub, Schwefeldixoid (SO2) etc.). Und wie kaum in einer anderen Industrie, sind die Staaten an der Kohleindustrie beteiligt: Die Staaten vergeben Lizenzen, sind bestrebt, Arbeitsplätze zu schützen und durch billige Energie das Wirtschaftswachstum zu fördern. Die Staaten, seien sie in Europa oder anderswo, haben die Zeichen zu spät erkannt, um den Kohleabbau zur richtigen Zeit herunterzufahren.

Eine Klimapolitik, die diesem Umstand nicht Rechnung trägt, könnte sich in Probleme verstricken. Schon in einem Land wie Deutschland, wo der Klimaschutz eine von den Bürgern unterstützte hohe Priorität hat, agiert der Staat widersprüchlich. Er setzt ehrgeizige Klimaziele und installiert einen CO2-Handel, torpediert beides dann aber wieder, indem Emissionsrechte gratis verteilt werden und der Braunkohleabbau gehätschelt wird. Wir haben im Zukunftsblog bereits an anderer Stelle [4] eine Klimapolitik skizziert, in welcher der Staat eine bescheidenere Rolle hat. Vielleicht ist dies nötig, wenn das Kohleproblem gelöst werden soll.

Weiterführende Informationen

[1] The New York Times: externe SeiteCoal Rush in India Could Tip Balance on Climate Change

[2] Carbon Dioxide Information Analysis Center: externe SeiteFossil-Fuel CO2 Emissions

[3] Shonali Pachauri: Household electricity access a trivial contributor to CO2 emissions growth in India. Nature Climate Change, 2014, doi: externe Seite10.1038/nclimate2414

[4] Blogbeitrag: Haftpflicht für Schäden des Klimawandels

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