Schweiz muss im Strommarkt integriert bleiben

An einer Tagung des Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich stand die Energieversorgung (der Schweiz) im Jahr 2050 zur Debatte. Dabei ging klar hervor: In puncto Strom lebt niemand mehr auf einer Insel.

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Engagiertes Podium zum Thema Stromversorgung der Schweiz: Davide Scruzzi (l.) moderierte das Gespräch zwischen Hans Killer, Urs Meister, Suzanne Thoma, Anthony Patt und Walter Steinmann. (Bild: ETH Zürich / Peter Rüegg)

Die Energiestrategie 2050 des Bundesrates sieht unterschiedliche Lösungen vor, wie der Strombedarf der Schweiz gedeckt werden kann, wenn die hiesigen Kernkraftanlagen abgeschaltet werden. Die verschiedenen Szenarien drehen sich insbesondere um die Frage, ob die Schweiz künftig den Strombedarf vor allem durch eine verstärkte Eigenproduktion decken oder sich stärker in ein europäisches Verbundsystem einbinden soll.

Vor dem Hintergrund dieser Debatte hat das Energy Science Center der ETH Zürich (ESC) in Zusammenarbeit mit dem ThinkTank foraus - Forum Aussenpolitik am vergangenen Donnerstag einen Workshop und zwei Podien unter dem Titel «Energieversorgung 2050: Herausforderungen und mögliche Lösungen» veranstaltet. Ziel des Anlasses war, zur öffentlichen Diskussion über die Schweizer Strom- und Energiestrategie im internationalen Zusammenhang beizutragen.

Ökonomisch und ökologisch wenig sinnvoll

Im ersten Teil der Veranstaltung zeigten Experten auf, welche Fragen sich rund um den Strom stellen. Sebastian Rausch, Assistenzprofessor für Ökonomie und Energiewirtschaft der ETH Zürich, erklärte, wie sich Isolation bzw. Integration in den europäischen Strommarkt für die Schweiz wirtschaftlich auswirken würde. Er machte darauf aufmerksam, dass die Schweiz mit anderen europäischen Ländern einen regen Stromhandel betreibt, insbesondere mit Deutschland, Italien und Frankreich.

«Internationaler Stromhandel erlaubt eine effizientere Nutzung der Ressourcen, insbesondere im Licht des geplanten massiven Ausbaus der erneuerbaren Energien», sagte der Ökonom. Für die Schweiz habe der internationale Strommarkt Konsequenzen: So müsse sie bei einem Netzausbau in Europa volkswirtschaftliche Verluste hinnehmen. Integriere sich die Schweiz in den europäischen Strommarkt, dann wirke sich dies positiv auf die Wohlfahrt des Landes aus.

Anthony Patt, Professor für Mensch-Umwelt-Systeme an der ETH, stellte die Frage, ob es Versorgungssicherheit durch Autarkie gebe. «Autarkie ist attraktiv, viele Schweizer wollen energieautark sein», sagte er. Heute sei die Schweiz in den europäischen Strommarkt integriert, die Versorgung werde zentral betrieben und wir seien importabhängig. Würde die Schweiz autark sein und gleichzeitig die AKWs abschalten wollen, seien bis 2070 zusätzlich 5000 Windturbinen oder 66 km2 Photovoltaik-Fläche notwendig. Dies würde die Bedarfslücke von 24 TWh decken. «Es wäre also theoretisch möglich, autark zu werden», so Patt, «aber realistisch ist dies nicht.»

Der ETH-Professor sieht die Lösung der schweizerischen Stromzukunft daher in einer Integration in den internationalen Strommarkt, der jedoch gemäss dem Umweltwissenschaftler CO2-neutral sein sollte. Nach seinen Berechnungen könnten solarthermische Kraftwerke, die in sonnenreichen Gegenden stehen, über Gleichstrom-Übertragungsleitungen an das europäische und damit auch ans schweizerische Stromnetz angekoppelt werden. Diese könnten bereits einen Grossteil des schweizerischen und europäischen Strombedarfs decken – jederzeit und verlässlich. (s. ETH News vom 22.06.2014)

Autarkie habe für die Schweiz Nachteile: Die Umweltbelastung sei höher und die Versorgungssicherheit tiefer, denn es brauche mehr Inland-Stromleitungen, mehr Erzeugungskapazität, die schlechter ausgelastet werde, und die Komplexität des Netzes würde steigen. Wasser- und Pumpspeicherkraftwerke müssten viel flexibler werden, was den Gewässern schaden würde. Letztlich würde das Ausland weniger Schweizer Wasserkraft erhalten, was ebenfalls umweltschädlich sei, weil diese ja als CO2-ärmste Energiequelle gelte. «Und auch politisch wird es schwierig, importunabhängig zu werden», sagte Patt.

Vernetzung wächst

Im dritten Referat zeigte Oberassistent Andreas Ulbig vom Institut für Elektrische Energieübertragung und Hochspannungstechnik auf, wie stark sich Europa in den vergangenen 40 Jahren bezüglich Strom vernetzt hat. Das Leitungsnetz wurde immer engmaschiger. Weiter wurden Nordafrika und die Türkei an das europäische Netz angekoppelt. Der Trend sei, dass Strom mittels Gleichstromübertragung über immer weitere Distanzen vom Ort der Erzeugung hin zum Ort des Verbrauchs transportiert und dass das dazugehörige Netz weiter ausgebaut werde.

Dazu sind in den letzten Jahren auch immer höhere Kapazitäten bei erneuerbaren Energien hinzugekommen, welche wegen ihrer eher zufälligen und nicht konstanten Erzeugung ein hohes Mass an Flexibilität verlangen. Ende 2012 betrug die in der EU installierte Windkraftkapazität 165 TWh und die Solarenergiekapazität 45 TWh. Damit ändert sich der Lastfluss durch und um die Schweiz herum. Anhand von Modellrechnungen zeigte Ulbig auf, dass die Schweiz als Transitland bis 2050 massiv an Bedeutung verlieren könnte, wenn sie sich vom Ausland abschotten würde. So könnte die Last auf der Strecke Schweiz-Italien von derzeit fast hundertprozentiger Auslastung in den Sommermonaten auf die Hälfte zurückgehen.

Hochkarätige Podien

Gleich zwei Podien mit hochkarätigen Fachleuten aus Forschung, Wirtschaft und österreichischen respektive deutschen Bundesministerien respektive Schweizer Bundesämtern gingen den Fragen nach, wie die Schweiz trotz ihrer Nichtmitgliedschaft in der EU im europäischen Strommarkt eingebunden werden kann, welche Herausforderungen sich mit der Einbindung der erneuerbaren Energien wie Photovoltaik und Windkraft der Stromwirtschaft stellen, aber auch, welche Rolle die Wasserkraft und Pumpspeicherung als Speicher für Produktionsüberschüsse von Wind- und Sonnenkraftwerken künftig spielen soll.

Am ersten Podium beteiligt waren Urban Rid, Leiter Energieabteilung des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Christian Schönbauer, vom österreichischen Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, Martin Näf, Corporate Research ABB Schweiz und BFE-Direktor Walter Steinmann. Am zweiten Podium nahmen teil: Walter Steinmann, der Ökonom Urs Meister von Avenir Suisse, Anthony Patt und Suzanne Thoma, CEO BKW AG. Moderiert wurden die Gespräche von NZZ-Redaktor Davide Scruzzi.

Stromautarkie unrealistisch und nicht erwünscht

Fazit dieser Diskussionsrunden: Politisch und wirtschaftlich ändern die Rahmenbedingungen des Strommarktes und -netzbetriebs derzeit laufend. Der Ausbau der Wind- und Solarenergiekapazitäten in Europa schreitet rasch voran, was eine zunehmende Flexibilisierung der Technik bedarf, um die Konsumenten konstant und zuverlässig mit Strom versorgen zu können. Dies hat aber auch zu Überkapazitäten geführt, welche die Strompreise in den Keller haben sausen lassen, dies zum Leidwesen der Stromkonzerne, denen die Lust zu investieren derzeit vergangen ist. Um die Energiewende zu vollziehen, ist man allerdings auf Investitionen in den Umbau der Systeme und einen Ausbau der weitgehend CO2-neutralen Wasserkraftwerke angewiesen.

Zunehmend Sorgen bereiten gewisse Energieautarkiegelüste und die politische Isolation der Schweiz vom Rest Europas – eine Insellösung wünscht keine der beiden Seiten. Dabei waren sich die Podien weitgehend einig, dass ein Autarkie-Alleingang der Schweiz keine Option ist. und das langfristig nur die Integration des Strommarktes und -netzes die Versorgung sichert. Oder wie es am Podium so schön hiess: «Die Elektronen machen vor Landesgrenzen nicht einfach halt.»

Der Zukunftsblog der ETH bloggte live von der Veranstaltung: externe Seitehttp://twitter.com/ETHZukunftsblog. Mit #energieversorgung2050 lassen sich die Tweets abrufen.

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