Neues Zürcher Kompetenzzentrum für Personalisierte Medizin

Die DNA-Sequenzierung hat die Lebenswissenschaften revolutioniert. Nun ist die Medizin an der Reihe: Anhand von genetischen Analysen sollen Therapien künftig standardmässig auf Patienten zugeschnitten werden. Mit einem neuen Kompetenzzentrum wollen ETH Zürich und Universität Zürich in der «Personalisierten Medizin» Führung übernehmen.

Vergrösserte Ansicht: Bild eines multiplen DNA-Sequenzalignments von Next-generation Sequencing (NGS)
Genomischen Technologien, Bioinformatik und statistische Modelle ermöglichen molekulare Profile von Patientenproben. (Bild: Professur für Computational Biology).

Niko Beerenwinkel, ETH-Professor für «Computational Biology» und Ko-Leiter des im April gegründeten «Kompetenzzentrum für Personalisierte Medizin» (CC-PM) freut sich: «Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel in der Medizin. Die klinische Anwendung personalisierter Medizin steht kurz vor dem Durchbruch.» Beerenwinkel ist überzeugt, dass die Voraussetzungen dafür in Zürich optimal sind.

«Die klinische Expertise sowie die biologische Grundlagenforschung und Technologieentwicklung, die Voraussetzung für die personalisierte Medizin sind, liegen hier mit dem Universitätsspital und der ETH Zürich nur einen Steinwurf voneinander entfernt.» Deshalb initiierten Forscher der Universität Zürich und der ETH Zürich 2013 die Gründung eines gemeinsamen Kompetenzzentrums.

In diesem Rahmen wurde eine neue Geschäftsstelle an der Universität Zürich eröffnet, welche die Zusammenarbeit der involvierten Forschungsgruppen koordiniert. Diese bleiben an ihren derzeitigen Standorten. Die Geschäftsstelle wird durch Universität und ETH mit je einer halben Million Schweizer Franken für die Periode 2014 bis 2017 finanziert.

Bio-Revolution durch DNA-Entschlüsselung

In der Personalisierung sehen viele Experten die Zukunft der Medizin. Heute gibt es praktisch keine Universität von Weltruf mehr, die nicht ein eigenes Institut oder Forschungszentrum an der Schnittstelle zwischen Medizin, Biologie und Computerwissenschaften gründet. Voraussetzung dafür waren die enormen Fortschritte in der DNA-Sequenzierung. Im Jahr 2001 feierte die Wissenschaft die erste Sequenzierung des menschlichen Genoms. Dieses besteht aus 3,3 Milliarden Basenpaaren. Dafür hatten über zweihundert Wissenschaftler in einem drei Milliarden teuren Projekt elf Jahre lang geforscht.

Mittlerweile ist die DNA-Sequenzierung in der Biologie ein Standardverfahren. Die DNA-Analyse beim Menschen dauert nur noch wenige Tage und kostet unter 5000 Franken. Dadurch haben Mediziner und Biologen ein mächtiges Werkzeug erhalten.

Zum Beispiel werden Krebstumore nicht mehr nur durch Untersuchung von Gewebeschnitten identifiziert, sondern deren genetische Veränderung über die Zeit detailliert beschrieben. Das ist essentiell. Menschen haben zwar alle grundsätzlich dieselbe DNA, doch es kommt auf die Details an: Die kleinsten Abweichungen in der DNA steuern die von Mensch zu Mensch unterschiedlichen Krankheitsverläufe.

Indem Forscher die genetische Veränderung eines Tumors sowie die Veränderung des zellulären Transkriptoms und Proteoms messen, können sie Therapien individualisieren und die Heilungschancen erhöhen. Erste Formen solcher «Personalisierter Medizin» werden heute bei Lungenkrebs bereits erfolgreich angewandt.

Berge von schwierig interpretierbaren Daten

Nun folgt der nächste Schritt: Die personalisierte Medizin soll Eingang in den klinischen Alltag finden. Das stellt Forscher und Mediziner jedoch vor neue Herausforderungen: «Die Datenmengen, die über die Genom-Sequenzierung erzeugt werden, sind riesig und sehr schwierig zu interpretieren», erklärt Beerenwinkel. «Um aus diesen Daten sinnvolle Informationen zu gewinnen, braucht es spezielle Informationssysteme sowie neue Methoden aus Bioinformatik und Statistik.»

Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, lancierten Holger Moch, Professor am Institut für Klinische Pathologie der Universität Zürich, und Wilhelm Krek, Professor für Zellbiologie an der ETH Zürich, 2013 die Gründung des CC-PM. Dadurch werden die bereits vorhandenen Kompetenzen und Infrastrukturen der beiden Hochschulen gebündelt und ausgebaut.

«Die meisten involvierten Forschungsgruppen haben auch in der Vergangenheit bereits zusammengearbeitet», sagt Holger Moch, der das CC-PM als zweiter Ko-Leiter gemeinsam mit Niko Beerenwinkel führt. «Nun schaffen wir den institutionellen Rahmen für solche Kooperationen und vereinfachen die Hochschul-übergreifende Zusammenarbeit in der personalisierten Medizin.»

Dafür werden innerhalb des CC-PM drei sich ergänzende Technologie-Plattformen geschaffen: Holger Moch führt die «Tissue, Sera and Cell Banking Technology Unit». Die Gruppe erstellt ein Archiv mit gut charakterisiertem Probenmaterial, wie Zelllinien, Gewebe und Blutsera.

Wilhelm Krek leitet die «Theragnostics Discovery Unit», die sich dem besseren Verständnis von molekularen Krankheitsmechanismen widmet. Niko Beerenwinkels «Personalized Medicine ICT Unit» erarbeitet neue Konzepte und Software für die Datenverwaltung und -analyse der neu generierten medizinischen Daten.

Integration von Sequenzierung und Patientendaten

Heute ist die personalisierte Medizin in der Onkologie, also in der Krebswissenschaft, am weitesten fortgeschritten. «In zwei Jahren werden wir vor Beginn einer Krebstherapie bereits viele Tumore sequenzieren; in fünf Jahren wird das Standard sein», prognostiziert Beerenwinkel. In Zukunft sollen laut Moch aber auch Diabetes- und Multiple Sklerose-Patienten von verbesserten Therapien profitieren.

Die grosse Hoffnung liegt auf der Integration genetischer Analysen von Biologen und Langzeit-Daten aus klinischen Studien. Durch den Vergleich von Patientendaten mit tausenden oder Millionen von Einträgen in einer Datenbank könnten Forscher Korrelationen zwischen genetischen Veränderungen von Tumoren und den Krankheitsbildern von Patienten identifizieren.

Durch die gewonnenen Erkenntnisse können die Therapien an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden. Doch die Sicherheitsanforderungen an solche Analysen sind extrem hoch.«Damit keine Persönlichkeitsrechte des Patienten verletzt werden, sind aufwendige Anonymisierungsverfahren nötig», gibt Beerenwinkel zu bedenken. Solche zu entwickeln soll ebenfalls ein Forschungsschwerpunkt des CC-PM werden.

Eine neue Generation von Medizinern

Auch die Lehre soll vom CC-PM profitieren: Doktoranden können sich ab sofort auf Personalisierte Medizin («Molecular and Tanslational Biomedicine») spezialisieren. Künftig sollen auch Angebote für Bachelor- und Masterstudierende hinzukommen. «Wir brauchen eine neue Generation von Klinikern», ist Beerenwinkel überzeugt. «Eine die weiss, wie man mit biomedizinischen Daten umgeht.» Moch ergänzt: «Mediziner und Bioinformatiker sprechen heute oft noch zwei unterschiedliche Sprachen. Wir müssen das Verständnis füreinander in der Lehre stärken.»

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